Berlin: „Tristan und Isolde“, Richard Wagner

Repertoiretauglich

Nicht besonders alt werden musste man, wenn man als Zuschauer nicht weniger als drei unterschiedliche Inszenierungen von Wagners Tristan und Isolde an der Deutschen Oper Berlin erleben wollte. 1980 vergönnte Götz Friedrich dem berühmten Liebespaar ein hölzernes Schiff, eine Blumenbank, die von gnädiger Dunkelheit umhüllt wurde, und für den dritten Akt war eine mächtige Felsenlandschaft auf die Bühne getürmt worden. Gut dreißig Jahre später verbannte Graham Vick Peter Seiffert und Eva-Maria Schnitzler in eine Optik, die sich nicht zwischen Symbolismus mit Sarg, Nackten, Umhergeisternden und krassem Naturalismus mit debilem Dritten-Akt-Tristan entscheiden konnte, so dass die weitaus kürzere Verfallsdauer im Vergleich zum Vorgänger kaum Bedauern auslösen dürfte.

© Bernd Uhlig

Mit Michael Thalheimers bereits im vergangenen Jahr am Genfer Opernhaus gezeigtem Tristan schickt Aviel Cahn, designierter Generalintendant, der in er nächsten Spielzeit sein Amt antreten wird, schon einmal einen Vorboten voraus und gibt dem scheidenden Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles die Gelegenheit, seinen zweiten Tristan nach dem Vicks an der Deutschen Oper Berlin einzustudieren und zu dirigieren. Was Günther Grass als einst als Verthalheimern verdammte und heute als Thalheimern anerkannt ist, bedeutet eine extreme Reduzierung der Optik auf das Wesentliche, was für Tristan und Isolde eine fast leere Bühne (Henrik Ahr) bedeutet, beleuchtet von einer beweglichen Wand aus 260 verspiegelten Glühbirnen, die unterschiedliche Farben wechselnd von weiß bis orange ausstrahlt. Allerdings streikte die Nummer 17 in der dritten Reihe im letzten Akt, nachdem sich die zunächst an der Decke befindliche Lichterwand wieder herabgesenkt hatte. Nicht Dunkelheit bedeutet am Schluss der Liebestod, sondern Isolde wird in ein gleißendes Licht getaucht. Ein schwarzer, quadratischer, sich ins Bühnenfüllende verlängern lassender Klotz, ein abgerissenes Schiffstau und ein Glas Wasser, aus dem der Liebestrank getrunken und das danach zerbrochen wird und von dem immerhin eine Scherbe im zweiten Akt zum folgenlosen Aufschlitzen der Pulsadern beider und im dritten von Isolde zu dem der Halsader dient, geben der Requisite nicht viel zu tun. Die Kostüme von Michaela Barth sind schwarz oder weiß oder beides und nur der Verräter Melot ist in helle Farbe gekleidet und trägt ein Messer. Sollte das Weiß des Kostüms für die Isolde des ersten Akts etwa ein Brautkleid sein, wäre das allerdings schon ein Bruch mit dem Hang zum Abstrakten, welcher der Produktion sonst innewohnt. Thalheimer selbst will diese seine Beschränkung im Optischen nicht als Minimalismus, sondern als Konzentration verstanden wissen, sieht zudem in der von Wagner gewählten Gattungsbezeichnung „Handlung“ weder eine körperliche Vereinigung der Liebenden, noch das Kampfgeschehen, sondern vermutet deren Ort in der inneren Welt, jener der Seelen. Dem Publikum, das Sänger und Orchester und Dirigenten frenetisch feierte, konnte sich mit der Optik nicht anfreunden, sondern buhte das Regieteam gnadenlos aus. Dabei hätte es anerkennen können, dass das Stück, seine Handlung, seine Charaktere nicht nur vollkommen intakt belassen wurden, sondern geradezu liebevolle Details, so im Verhältnis zwischen Isolde und Brangäne oder Tristan und Kurwenal, von einem empfindsamen Umgang mit dem Werk kündeten. Im Vergleich mit seinem Vorgänger im Haus stellt es sogar eine absolute Wohltat dar. Würde man noch etwas an der Beleuchtung arbeiten, die manchmal die Wand zum Selbstzweck und die Protagonisten fast unsichtbar werden ließ, wäre das ein zusätzlicher Gewinn.

© Bernd Uhlig

Reduktion im Optischen bedeutet für die Sänger Chance und Gefahr zugleich. Einerseits können sie sich, wenn Aktion auf der Bühne nicht gefragt ist, stärker auf den Gesang konzentrieren, was allerdings auch die Zuschauer tun, womit keinerlei Gelegenheit mehr ist, von stimmlichen Problemen abzulenken. Die Sänger in der Premiere hatten das allerdings nicht nötig. Darüber hinaus braucht eine so stark auf das Minimale setzende Optik Persönlichkeiten, deren Ausstrahlung so fesselnd ist, dass jedes Mehr an Szene eher störende Ablenkung als sinnvolle Deutung zu sein scheint. Das Protagonistenpaar an der Deutschen Oper, beinahe noch mehr ihre aus dem Ensemble stammenden treuen Gefährten, erfüllt alle diese Bedingungen auf das Schönste.

Auf eine ihm kürzlich gestellte Interviewfrage danach, was er von der Aufspaltung seines Postens auf drei Dirigenten in der kommenden Spielzeit halte, blieb Donald Runnicles aus gutem Grund die Antwort schuldig. Der heutige Abend konnte als Beweis dafür gelten, dass nur durch die Arbeit mit einem Orchestererzieher, wie es der noch amtierende, nach Dresden abwandernde Generalmusikdirektor war, ein Ergebnis wie das dieser Premiere erzielt werden kann: die raffiniertesten Finessen auskostend, wunderbar fließende Übergänge bei Lautstärke wie Tempi zelebrierend, feinste Stimmungen zaubernd und zudem auf die Bedürfnisse der Sänger eingehend. Er wurde dementsprechend nicht nur am Schluss, sondern auch nach der jeweiligen Rückkehr aus der Pause gebührend gefeiert.

© Bernd Uhlig

Der amerikanische Sänger Clay Hilley ist ein echter Heldentenor mit solider Mittellage und strahlender Höhe, sympathischem Spiel und einem Hang zu einem kleinen Fläschchen, das der treu sorgende Kurwenal sogar einmal austauschte. Dieser war mit dem Hausbariton Thomas Lehman, bewährt im deutschen wie italienischen Fach, angemessen besetzt, rührend in seiner Fürsorge und unangefochten dominierend im anspruchsvollen dritten Akt. Melot ist in dieser Produktion ein Bariton und mit Dean Murphy angemessen besetzt. Weniger mit dunkel strömender Bassfülle als mit einem differenzierten Charakterportrait imponierte der Marke von Georg Zeppenfeld. Eine mädchenhafte Isolde, die optisch gar nicht an eine Nilsson, Mödl oder Varnay erinnerte, gab die Norwegerin Elisabeth Teige, auch akustisch noch im Lyrischen verhaftet, deren unangestrengt klingendes Singen mit aufblühenden Höhen erfreute, die aber in der Textverständlichkeit noch Wünsche offen ließ. Als Idealbesetzung für die Brangäne erwies sich Irene Roberts, deren heller, geschmeidiger und leuchtender Mezzosopran pure Freude bereitete. Mit einem hochkarätigem Ensemble wie dem der Premiere, aber nur mit einem solchen, kann diese Neuproduktion auf Dauer zu einem wertvollen Baustein im Spielplan der Deutschen Oper werden.

Ingrid Wanja, 1. November 2025


Tristan und Isolde
Richard Wagner

Deutsche Oper Berlin

Premiere am 1. November 2025

Regie: Michael Thalheimer
Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles
Orchester der Deutschen Oper Berlin