Musikalisch reiht sich die Neuproduktion an der Deutschen Oper Berlin in eine mehr als hundertjährige Aufführungstradition ein, die durch große Interpreten und Interpretinnen geprägt wurde. Dafür stehen Namen wie Max Lorenz, René Kollo und Peter Seiffert als Tristan, Caterina Ligendza und Nina Stemme als Isolde (ganz zu schweigen von Astrid Varnay, Birgit Nilsson oder Ute Vinzing) sowie Dirigenten wie Ferenc Fricsay, Heinrich Hollreiser, Christian Thielemann und Sir Donald Runnicles, der bereits die letzte Neuproduktion des Werks in der Regie von Sir Graham Vick leitete, welche das Stück „im mysteriösen Seniorenheim“ verortete, wie Manuel Brug nicht zu Unrecht kommentierte. Auch diesmal wird das Liebespaar von zwei der führenden Wagner-Interpreten der jüngeren Generation verkörpert: dem US-Amerikanischen Tenor Clay Hilley und der norwegischen Sopranistin Elisabeth Teige. Beide werden gegenwärtig gehypt. Es ist allerdings keine echte Neuproduktion, sondern eine Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Gènève. Die Inszenierung hatte dort im September 2024 Premiere.
„Alles Ergreifende ist immer schlicht“, so umschrieb Michael Thalheimer seine Tristan-Inszenierung, mit der er das Werk radikal auf seinen Kern zu reduzieren vorgab. Er suche im Theater den Schmerz, nicht das Gefällige, ließ er verlautbaren und machte aus Wagners Tristan und Isolde im wahrsten Sinn des Wortes ein Lichtspiel um Tag und Nacht, Liebe und Tod. Nach der Premiere in Genf überschrieb denn auch Eleonore Büning ihre Rezension zu Recht: „Isolde im Lampenladen“. Das trifft die Sache.

Nun gut: Thalheimer interessiert an dem Stück das Universelle, das Überlebensgroße. Die Protagonisten seien „keine Figuren, die wir um die Ecke in einem Caféhaus treffen könnten. Wenn sie einander begegnen, ist es, als würden zwei Planeten kollidieren. Ohne die Möglichkeit auszuweichen.“
Zur Handlung des „inkommensurablen“ Werks, das Friedrich Nietzsche Wagners „Opus metaphysicum“ nannte. muss nicht viel gesagt werden. Wagner selbst nannte das Musikdrama übrigens eine „Handlung“: Zwei Menschen begegnen sich, verlieben sich auf den ersten Blick unsterblich ineinander, scheitern an der Realität und sterben daran. Tristan ist ein von Geburt an suizidal veranlagter Narzisst und Egomane. Vielleicht besteht die wahre Größe dieses Werks gerade darin, dass Wagner Idealität und Realität der Liebe, Wahn und Wirklichkeit der libidinösen Verfassung des Menschen (Tristan und Isolde sterben schließlich je für sich, er selbstmörderisch, sie psychopathologisch) einander gegenüberstellt, eingehüllt in trügerisch transzendierende, sehnend aphrodisische, im dirigentischen Idealfalle geradezu drogenhaften Musik, die den Zuhörer zuweilen den Verstand verlieren lässt.
An sich ein Stoff wie geschaffen für einen Regisseur, der über den Antrieb seiner Arbeit sagt: „Mich interessiert im Theater, auch in der Oper, immer der Schmerz“. In diesem Fall: „Der Weltschmerz, der in jedem Wagner-Werk aus allen Poren dringt.“. Schopenhauerischer „Ennui“ ist dem Werk nicht abzusprechen.
Man erinnere sich: Nachdem er sein Orchester im mystischen Abgrund des Bayreuther Festspielhauses überdeckelt und damit unsichtbar gemacht hatte, wollte er nach der seiner Meinung nach deprimierend stadttheaterhaft realistischen Ring-Erstaufführung auch noch das „unsichtbare Theater.“ Mihael Thalheimer, der das Bekenntnis Wagners sicherlich kennt, hat sich wohl gesagt: Wem das Sehen vergeht, der hört vermutlich besser. Über das, was in diesem neuen Berliner Tristan zu hören war, gleich mehr.
Zunächst noch Einiges zur Inszenierung: Wagner hat seiner männlichen Titelfigur angesichts des Sterbens den Satz in den Mund legt: „Wie, hör‘ ich das Licht?“ Eine synästhetische Fantasie, ohne Frage, auch beim sogenannten Liebestod Isoldes darf man von einer solchen sprechen, wenn nicht gar von einer Halluzination. Die scheinbar paradoxe Redewendung mit dem Licht war wohl die Initialzündung für die Inszenierungsidee des für seinen szenischen Minimalismus berühmt-berüchtigten Schauspielregisseurs Thalheimer.
Henrik Ahr (Bühne) und Stefan Bolliger (Licht) haben eine gigantische Installation einer Wand aus hunderten Lampen erstellt, die von den ersten Takten des Vorspiels an in unzähligen Farbmischungen Richard Wagners gigantische „Vokalsymphonie“ (Manfred Voss) kommentieren. Orange herrscht vor. Diese Lampeninstallation illuminiert einen leeren Raum, in dem die fünfstündige Oper vor sich hindümpelt. Statik, Leerlauf, ja Langeweile herrschen vor in der beinahe verweigerten Personenregie. All die vom Libretto vorgeschriebenen Requisiten sind in dieser Neuinszenierung weggelassen,. Die für das Werk so kennzeichnenden überschäumenden Emotionen werden ausgebremst.

Dabei gehört das Tristan-Libretto zu den besten, psychologisch tiefgründigsten und sprachlich kunstvollsten, die Wagner je geschrieben hat, ganz abgesehen von seiner meisterhaften Vermittlung der mittelalterlichen Vorlage (worauf der unvergleichliche Mediävist und Wagnerkenner Peter Wapnewski immer wieder hinwies). Doch darum scheint sich Thalheimer wenig gekümmert zu haben. Seine Inszenierung ist banal, ja nichtssagend, sie bietet kein verständliches Abbild oder Sinnbild der Handlung. Wer das Stück nicht gut kennt, versteht nur Bahnhof.
Isoldes Dienerin Brangäne reicht ihrer Herrin Isolde weder Todes- noch Liebestrank, das Schwert, mit dem Tristan schon in der Vorgeschichte Isoldes Verlobten Morold tötete, fehlt ebenso, vieles andere auch. Tristan und Isolde, die Oper der exzessiven Lust als Illusion völliger Verschmelzung inszeniert Michael Thalheimer – wenn man es freundlich sagen möchte – allenfalls als Studie über zwei Unberührbare, die sich kaum anfassen dürfen und können. Das trägt allerdings nicht über fünf Stunden. Spannungslosigkeit, fehlende Aktion und bildnerische Monotonie lähmen die Tragödie. Es hätte einer eindeutigeren und mutigeren Hand eines Regisseurs bedurft.
Auch sängerisch hätte die Produktion stärkerer, charaktervollerer Protagonisten bedurft. Der vielgerühmte neue amerikanische Heldentenor Clay Hilley, der für seine „starke Stimme, seinen klaren Klang und seine Ausdauer“ (New York Times) gerühmt, welche als „nahezu perfekt – kraftvoll, subtil, intelligent, jedes Wort kristallklar“ (Financial Times) beschriebenen wird, enttäuschte. Er sang allenfalls durchschnittlich mit seinem hellen Tenor ohne Charakter und Größe. Ein Tristan ohne Eigenschaften gewissermaßen.
Die Isolde ohne Charakter und Eigenschaften (um im Bilde zu bleiben) sang Elisabeth Teige.Sie ist in Ålesund in Norwegen geboren und aufgewachsen. Sie studierte Gesang am Musikkonservatorium in Trondheim und an der National Opera Academy in Oslo. Auch sie zählt inzwischen zu den Gefragtesten in ihrem Fach. Aber sie singt nur schöne Töne und bleibt ihrer Partie alles Dramatische, Furiose an Darstellung schuldig. Eine mädchenhafte Isolde, um es freundlich zu sagen. Eine mit hübscher Stimme aufwartende Isoldensängerin, aber keine Isolde! Isolde ist, nicht zu vergessen, eine starke Persönlichkeit! Gar nicht zu denken daran, was für grandiose Kaliber wir gerade an diesem Haus schon gehört haben.
Der amerikanische Bariton Thomas Lehman, der sich inzwischen als unverwechselbare Stimme in der internationalen Opernszene etabliert hat, seine Karriere begann übrigens an der Deutschen Oper Berlin, singt immerhin einen virilen Kurwenal.
Die amerikanische Mezzosopranistin Irene Roberts als Brangäne besitzt einen erfreulich kultivierten, samtig tönenden Mezzosopran, überzeugt aber in ihrem Hosenanzug und indifferentem Spiel wenig. Auch lässt ihre Wortverständlichkeit zu wünschen übrig. Letzteres gilt allerdings auch für die Sänger des Protagonistenpaares.
Georg Zeppenfeld muss als kultiviert singender wie absolut wortverständlicher König Marke nicht eigens gewürdigt werden. Längst gilt er weltweit als Vorbild noblen Singens, eine Bassautorität in jeder Hinsicht und ein Glücksfall des Wagnergesangs.
Die kleineren Partien waren sämtlich rollendeckend besetzt. Schade nur, dass eigentlich alle Sänger (von der Regie behindert) schauspielerisch nicht überzeugen durften.
Diese Inszenierung ist so belanglos wie die austauschbaren, zeitlos-modernen Allerweltskostüme von Michaela Barth: Isolde tritt im Brautkleid, in Weiß , später mit schwarzem Überwurf auf, Tristan steht im schwarzen Hemd und Hosen da. Brangäne tritt in schwarzer Hose und Weste zu weißer Bluse auf. König Marke ist in einen hellen Mantel gehüllt, Tristan-Freund Kurwenal in fließend schwarzem Anzug, Marke-Vertrauter Melot, in dessen Messer wieder mal Tristan am Ende des zweiten Aktes rennt – nachdem sich beide schon die Pulsadern aufgeschnitten hatten – agiert in korrektem, gelbem Anzug. Der Chor der Deutschen Oper sang grundsolide unter Jeremy Bines.

Kurzum: Die Inszenierung demonstriert (ich habe viele modernistische, abstrakte, minimalistische „Tristane“ gesehen) einen Paradefall von Überschätzung eines Regisseurs, der nichts Erhellendes, Faszinierendes oder Neues zum Stück zu sagen hat. Aber auch der scheidende GMD des Hauses, Sir Donald Runnicles enttäuscht gewaltig. Er hat die Bemerkung Wagners gegenüber Mathilde Wesendonck, dass eine gute Aufführung „das Publikum in den Wahnsinn treiben“ würde, Lügen gestraft. Aber nein, es war eben keine gute Aufführung. Donald Runnicles dirigiert je nach Tagesdisposition. Ich habe höchst unterschiedliche Wagnerdirigate von ihm gehört, auf- und erregende, aber auch routiniert uninspirierte.
Der Tristan kann eine rotglühende, geradezu schweißtreibend intensive Tour de Force sein, bei der man unruhig auf der Stuhlkante sitzt und Taschentücher durchnässt. Doch bei Runnicles schläft man auf dem Theatersessel eher ein, so kraftlos und langsam, zuweilen auch leise ist sein Dirigat, kein „Kraftwerk der Gefühle“, so wenig wie die Inszenierung ein „Triebwerk der Sinne“ ist. In überwiegend breitem Tempo lässt er alles Dramatische, Eruptive, Mitreißende außen vor. Obwohl das Orchester der Deutschen Oper Berlin klangschön und akkurat aufspielt, bleibt Wagners tönendes Tor zum Metaphysischen bei diesem uninspirierten Dirigat geschlossen. Schade.
Dieter David Scholz, 3. November 2025
Tristan und Isolde
Richard Wagner
Deutsche Oper Berlin
Premiere am 1. November 2025
Regie: Michael Thalheimer
Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles
Orchester der Deutschen Oper Berlin