Drei Anläufe für Simon Boccanegra
Ein Vierteljahrhundert lang als sein Sorgenkind betrachten musste Giuseppe Verdi seine Genua-Oper Simon Boccanegra, nachdem sie 1857 bei der Uraufführung in Venedig durchgefallen war. Ihre glückliche Rehabilitierung gelang schließlich mit Hilfe und auf Anregung seines Textdichters Arigo Boito, und das Werk wurde1881 in Mailand zu einem ansehnlichen, wenn auch nicht überragenden Erfolg geführt. Immer noch nicht ist es der Deutschen Oper gelungen, eine der Qualität von Stoff und Musik entsprechende Inszenierung auf die Bühne zu bringen, und dass obwohl sich drei Intendanten, Götz Friedrich, Kirsten Harms und Dietmar Schwarz, um ansehnliche Produktionen, allerdings nicht in eigener Regie, bemühten. Da hatte und hat es die Staatsoper leichter, die dem ins Baritonfach wechselnden Placido Domingo zuliebe eine kostbare Kostümschau in zurückhaltender Regie bereitstellte, in die sich sicherlich Sänger immer wieder gern engagieren lassen.
Giancarlo del Monaco war an der DOB der Regisseur einer im Imperial- oder Mussolini-Stil mit endlosen weißen Treppen, deren Bezug schnell Falten und Schmutzspuren aufwies, aufwartenden Nichtregie, aber die Sänger, darunter Renato Bruson und Kurt Rydl waren so phantastisch, dass man es sich gefallen ließ. Es folgte unter Kirsten Harms die Produktion eines Eisenbahnfetischisten namens Lorenzo Fioroni, der den Prolog in einer Stazione Centrale mit Dampflok, auf der eine Braut vergewaltigt wurde, den ersten Akt auf einem verlassenen Vorortbahnhof und den folgenden in einem Luxuszug spielen ließ. Immerhin wurde des vielzitierten Meeres dadurch gedacht, dass man mit Gummitieren und Badezeug offensichtlich zu einem Strandurlaub aufbrach. Die Resonanz war heftig, aber nicht positiv, führte sogar in der BZ zum Aufruf eines Musikjournalisten an Kirsten Harms, die Deutsche Oper, die am Abgrund stünde, zu retten.
Nun, das erwies sich als nicht nötig, denn unter ihrer Intendanz gab es auch viele schöne Erfolge, deren letzter, Tannhäuser, leider mittlerweile seine letzte, heftig umjubelte Aufführung erlebte. Zum Glück haben wir noch ihre Elektra.

Der dritte Versuch, mit dem Meisterwerk Verdis fertig zu werden, erfolgte 2023 in der Regie von Vasily Barkhatov in den Bühnenbildern von Zinovy Margolin, hat inzwischen die 8. Aufführung erlebt und hat eine nicht weniger ärgerliche Produktion zu verantworten, die sich durch endlose im Boulevard-Zeitungs-Stil, aber seriösen Zeitungen wie La Stampa und Corriere della Sera angelasteten und mit schneidender Stimme vorgetragene Meldungen über die wirkliche oder vorgetäuschte Tochter des Dogen ergeht, mit wandernden Lichtstreifen Aktschlüsse unterstreicht oder dem Publikum weismachen will, Paolo, Gabriele und Simone hätten nur ein einziges, allen gemeinsames Herrenzimmer besessen. Auch Kostümbildnerin Olga Shaishmelashvili hat sich mit dem rosafarbenen Schlafanzug für Girlie Amelia keinen Ruhm verdient. Nervig sind zudem Massen von Dienstboten, Detektiven und die fälschliche Annahme, eine Schickimicki-Gesellschaft habe Simone zum Dogen gewählt, auch die Dauereinblendungen vom glücklichen Familienleben im Hause Fiesco von einst auf einem Flachbildschirm können nicht erfreuen. Das alles macht es Sängern nicht leichter, das Publikum für das Schicksal des Dogen aus dem späten Mittelalter zu erwärmen, so wenig wie ein bisschen Videogewoge von Wellen im Pensionatszimmer von Amelia dem Sehnsuchtsort Simones gerecht werden konnte.

Paolo Arrivabeni ist ein erfahrener Kapellmeister bester alter Schule und führte das Orchester der Deutschen Oper sicher und Italianità zumindest aus dem Orchestergraben erklingen lassend durch den Abend. Auch der Chor, einstudiert von Jeremy Bynes, wirkte gleichermaßen souverän als Patrizier wie Plebejer. Achtbar schlug sich Etienne Dupuis, unlängst auch als Paolo aufgetreten, als Simone, aber das große, mitreißende Auftrumpfen in der Ansprache an die zerstrittenen Genuesen, den Hauch von Zärtlichkeit im letzten „figlia“ im Duett mit Amelia blieben ihm versagt. Diese war Gattin Nicole Car mit hellem, jugendlichem Sopran, der besonders nach der Pause Rundung und Wärme vermissen ließ. Eine mächtige Röhre von Bass setzte Liang Li für den Fiesco ein, mit „i morti ti salutano“ Grabeskälte und mit dem Segen für Gabriele Adorno Balsam verbreitend bzw. spendend. Attilio Glaser ist der Haustenor für das italienische wie andere Fächer, seine Höhe ist sicher, die Mittellage weniger präsent, und insgesamt wünscht man sich eine Tenorstimme von intensiverer melancholischer Strahlkraft. Interessant ist der Bariton von Michael Bachtadze, der dem Paolo die Bedeutung verlieh, die Verdi ihm zugestanden hatte. Vielversprechend hörte sich der Pietro von Volodymyr Morozov an, der über einen geschmeidigen Bass verfügt.

Die Deutsche Oper bleibt Verdi noch seinen Simon Boccanegra schuldig, auch wenn das Publikum sich begeistert zeigte.
Der in der kommenden Spielzeit sein Amt antretende Intendant hat für die Deutsche Oper versprochen oder auch angedroht, dass sie jünger, politischer, diverser, spartenübergreifender sein werde. Wie das wohl Simone Boccanegra bekommen würde? Bis zu eine Antwort darauf dürfte die Giorgio-Strehler-Inszenierung, die von der Scala stammt, aber auch an anderen Häusern, darunter der Staatsoper Wien, aufgeführt wurde, das Maß aller Simone-Aufführungen bleiben.
Ingrid Wanja, 7. November 2025
Simon Boccanegra
Giuseppe Verdi
Deutsche Oper Berlin
8. Aufführung am 7. November 2025
Premiere am 29. Januar 2023
Regie: Vasily Barkhatov
Musikalische Leitung: Paolo Arrivabene
Orchester der Deutschen Oper Berlin