
Schon im Januar 2024 konnte die „Süddeutsche Zeitung“ berichten, dass der Regisseur Felix Rothenhäusler an das Freiburger Theater wechseln würde. Nun ist es so weit: Mit der laufenden Spielzeit folgt Rothenhäusler dem seit 2017 an den Städtischen Bühnen amtierenden Intendanten Peter Carp. Für Freiburg hat Rothenhäusler das Theater Bremen verlassen, dessen langjähriger Hausregisseur er war und sich mit seinem Team dem neuen Wirkungsort mit großem Trommelwirbel empfohlen, kommentiert und neugierig beäugt von den Medien. Die Bremer Fäden wurden jedoch noch nicht ganz durchtrennt, sondern seine dortigen letzten Produktionen gleich mitgebracht.
So machte er am 26. September, mit Beginn des Willkommenswochenendes, im kleinen Haus seine und Jan Eichbergs Bremer Abschiedsperformance, das Musical Wasserwelt, zu seinem Entrée. Mit der Musik von Jo Flüeler und Moritz Widrig wurde dieses frei nach Hans Christian Andersens Kleiner Meerjungfrau entwickelte und im Austausch mit dem Zentrum für Marine und Umweltwissenschaften (MARUM) der Bremer Universität zu einem bunten Umweltstatement gestaltete Stück zur etwas leichtfüßigen Eröffnung. Verbunden wurde es mit einer Fotoausstellung zum Thema Tiefsee.
Die Nachfolge Peter Carps anzutreten, der die Geschicke der „Städtischen Bühnen“ mit ihren fünf Spielstätten acht Jahre erfolgreich durch alle Corona-Krisen geführt hat, ist gewiss nicht einfach. Mit einem großartigen Team, engagiertem Opern- und Schauspielensemble, den Musikern des Philharmonischen Orchesters, das seit 2022 unter Generalmusikdirektor André de Ridder zur Hochform aufläuft, hatte Carp für aufregende Opern-, Theater- und Tanzabende gesorgt, mit neuen Spielstätten und -formaten wie der „Summer Stage“ und einer „Open-Air-Bühne“ experimentiert. Uraufführungen wurden angeregt junge Regisseure und Choreographen aus nahezu allen europäischen Ländern bekamen eine Plattform. Allenthalben wurde für Diskussionsstoff gesorgt, der auch im Austausch mit der Freiburger Universität stattfand. Im Juli 2025 ist Carp verabschiedet worden, nachdem er „noch einmal aus der Fülle der Kunst“ geschöpft hatte, wie er in seiner letzten Spielzeit begleitenden Magazin unter dem Titel Noch einmal mit Gefühl betonte.

Und nun soll wohl alles anders werden? Der Auftakt jedenfalls war vom 26.–29. September ein Fest- und Feierwochenende, das Theater mit dem wunderbaren Zeichen der Gastfreundschaft geschmückt My house is your house, der Frontgiebel mit einem flammenden Herzen. Es war eine lange „Kuchentafel für alle“ quer über den Theatervorplatz aufgebaut worden und das Haus weit geöffnet für Begegnungen, Eröffnungskonzert und die eine oder andere Darbietung. Das überall ausliegende Spielzeitmagazin ist – wie derzeit alles im Haus – (nomen est omen) in rosarotes Papier getaucht. Rothenhäusler und sein Team begrüßen darin die Theaterbesucher mit dem alemannisch gefärbten „Hallo zämme“, zu dem auch die originellen Selfies passen, mit denen sich das künstlerische und technische Personal des Hauses vorstellen. Beschworen werden die „neuen fantastischen Theaterwelten“, die in „Schauspiel, Musiktheater, Tanz, Konzert, Jungem Theater“ mit allen Verantwortlichen der „Bühnentechnik, der Verwaltung, der Werkstätten“geschaffen werden sollen. Sie alle, so Rothenhäusler, „glauben an ein modernes Volkstheater – offen, vielfältig, mutig und direkt“.
Diesen temperamentvollen Absichtserklärungen entspricht denn auch die erste Inszenierung im Großen Haus. Am 4. Oktober hatte Jerry Hermans und Harvey Fiersteins 1983 im New Yorker Palace Theatre uraufgeführtes Musical La cage aux folles (Ein Käfig voller Narren) Premiere. Nach dem Pariser Theatererfolg von Jean Poirets Farce (1973) wurde bekanntlich die Musicaladaption Hermans zehn Jahre später zu einer der spektakulärsten Broadway-Erfolge. Bis heute ist sie ein Publikumsmagnet und der Klassiker unter den Travestie- und Drag-Shows. In der Regie des opern- und musicalerfahrenen Maurice Lenhard wurde die Freiburger Aufführung geradezu frenetisch gefeiert. Dirigent Johannes Knapp hatte bereits die Aufführungen der Spielzeit 2005/ 06 dirigiert, die in der Regie des damaligen Interimsintendanten Stephan Marvin für „Glamour und eine Portion Nachdenkliches“ gesorgt hatten (Alexander Dick in seiner Besprechung vom 31. Oktober 2005 in der Badischen Zeitung). Jetzt lotete er die für das Werk so typischen rhythmischen Dualitäten zwischen Revuenummern und Chansonflair noch einmal neu aus.

Mit dem bestens aufgelegten, von einigen Aushilfsmusikern erweiterten Orchester sorgte er dafür, dass mit wenigen Straffungen und den üblichen Anpassungen an das von einigen gecasteten Musical-Performern mehrheitlich aus Schauspielern bestehende Ensemble die Revueszenen und die zu Bekenntnishits der Schwulen- und Lesbenszene gewordenen Songs richtig in Szene gesetzt werden. Es wurde Raum gelassen für das Parlando z.B. der Auftrittsszene Georges (Viktor Calero), des Inhabers des „Cage aux Folles“- Etablissements in St.-Tropez und richtig aufgedreht bei den mitreißenden Cancan-Einlagen der „Cagelles“ in der Choreographie von Steven Armin Novak. Für die absichtsvoll zwischen Show-Glamour und Alltagskleidung der 1980er changierenden Kostüme ist Christina Geiger verantwortlich Das „Ich bin was ich bin“ aber, mit dem die Drag-Queen Zaza alias Albin (Vincent Glander, als Gast) am Ende des 1. Akts ihr Coming-out feiert, dafür die glamouröse Mitternachtsshow sprengt, um sich gegen ihre gerade erlebte Ausgrenzung zu wehren, hat seine Zugkraft ganz und gar nicht eingebüßt. Eine in dieser Inszenierung ebenso gekonnt ausagierte Wendung vom Spiel zum Ernst, wie der Höhepunkt des 2. Akts, als dem erzkonservativen Politiker Edouard Dindon (Henry Meyer) eine heftige Lektion in Sachen Toleranz erteilt wird. Natürlich hat die deutsche Übersetzung von Erika Gesell und Christian Severin, mit der 1985 die deutsche Erstaufführung im Berliner Theater des Westens gelang, trotz leichter Kürzungen ihre in die Jahre gekommenen Wendungen.
Aber Regisseur Lenhard, der die ihm durch viele gemeinsame Produktionen vertraute Bühnenbildnerin Malina Raßfeld und den genannten österreichischen Tänzer, Sänger und Choreographen Steven Armin Novak ins Boot geholt hat, gelang eine perfekt auf das Ensemble zugeschnittene Interpretation auf dem schmalen Grat zwischen Show und Tiefgang In die Zeit der Entstehung der „Cages“ in den 1980er Jahren gestellt, geht es ja um ein sozialkritisches Statement, das damals vor dem Hintergrund der Aidskatastrophe, die besonders in der amerikanischen Homosexuellenszene zum Horror zu werden begann, besondere Brisanz bekam. Der Altmeister des Broadway Musicals, Jerry Herman und sein Texter Harvey Fierstein, stellten allen Bedenken fast zum Trotz eine Drag-Comedy auf die Bühne, die nicht nur erstmals ein Schwulenpaar im Show Busyness thematisierte, sondern in der Schwulen- und Lesbenszene zum Kult wurde. Im Plot bringt der Heiratswunsch des bei Georges und Albin aufgewachsenen heterosexuellen Sohnes von Georges (aus einer früheren Verbindung), Jean Michel (Jakob Kunath), eine Kaskade absurder Szenen ins Rollen. Denn Jean Michel hatte sich ausgerechnet mit Anne (Lila Chrisp), der Tochter des genannten Politikers Dindon verlobt, der sich bei der Familie Georges angesagt hat, um sich von deren „Integrität“ zu überzeugen. Nun stehen Georges und Albin vor der Frage, ihre Partnerschaft und ihren Lebensstil als Travestiekünstler vor dem Sittenrichter Dindon verteidigen zu sollen.

Mit allen Ingredienzien von Slapstick und Verwechslungskomödie wird nicht nur ein eiliger Umbau der Wohnung in eine kleinbürgerliche Stube vorgenommen, in der der Herrgottswinkel nicht fehlen darf (man erkennt das mächtige Kruzifix aus der Jenufa-Produktion der vergangenen Spielzeit wieder als augenzwinkerndes Zitat), sondern beschließt Albin, der aus dem Vorstellungsroulette ausgeschlossen werden sollte, in die Rolle der Mutter zu schlüpfen. Daraus entsteht in der Inszenierung ein ausbalancierter Wechsel von rasanten Revuechoreographien, Songs und berührenden Dialogen in einem überaus gelungenen Bühnenbild. Das alles wird mit spritzigem Sound in tollen Tempi serviert, die durch das lange Finale bis zum versöhnlichen Ende durchgehalten werden! Große Begeisterung, nicht enden wollender Beifall im ausverkauften Großen Haus!
Gabriele Busch-Salmen, 14. November 2025
La Cage aux Folles
Musical in zwei Akten
Jerry Herman, Harvey Fierstein
Theater Freiburg, Großes Haus
Aufführung vom 18. Oktober 2025
Premiere 4. Oktober 2025
Regie: Maurice Lenhard
Choreografie: Steven Armin Novak
Musikalische Leitung: Johannes Knapp
Philharmonisches Orchester Freiburg (und Aushilfsmusiker)