Die jüngste Neuproduktion an der Staatsoper Stuttgart galt Leon Janacecs Oper Die schlaue Füchsin. Wer nun in diversen Opernführern nach diesem Werk sucht, wird schwerlich fündig werden. Indes wird er zweifellos auf eine Oper Janacecs mit dem Titel Das schlaue Füchslein stoßen. Dabei handelt es sich um ein und dasselbe Werk. Das Stuttgarter Inszenierungsteam um Stephan Kimmig (Regie), Katja Haß (Bühnenbild), Anja Rabes (Kostüme) und Jonathan Alexander Reimann (Choreographie) hat den ursprünglichen Titel aus dramaturgischen Gründen geändert. Der alten Interpretation der Titelheldin als eine verniedlichte Tierfigur erteilen sie eine klare Absage.

Sie sehen die Füchsin vielmehr als ein eigenständiges, kraftvolles, widersprüchliches weibliches Wesen voller Leben. Der Charakter, den ihr das Regieteam gibt, ist einer irgendwie gearteten Verniedlichung gänzlich abhold. Die Füchsin weiß, was sie will. Sie ist ein äußerst renitentes, aufständisches und rebellisches Wesen, das sich gegen die sie einengenden gesellschaftlichen Verhältnisse, das grausame Patriarchat und jegliche Art von Unterdrückung vehement auflehnt und dabei auch vor Gewalt und Grausamkeit nicht zurückschreckt. So versucht sie erfolglos, die Hennen zum Aufstand gegen den Hahn anzustacheln. Als sie bei den trägen Hühnern auf taube Ohren stößt, nimmt sie ihnen nach Indianerart praktisch die Skalpe. Mit dieser Füchsin ist nicht zu spaßen. Nachhaltig begehrt sie gegen die Gesellschaftsordnung auf und trachtet danach, sich von deren Zwängen zu befreien und ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben zu führen. Dazu ist ihr jedes Mittel recht, mag dieses auch fragwürdig sein. Diese Deutung der Füchsin ist durchaus überzeugend. Eine Verniedlichung ist aus diesem Grunde nicht angebracht. Die Umbenennung von Janacecs Oper durch das Produktionsteam hat mithin sicher seine Berechtigung.
Vorangestellt hat Kimmig seiner Inszenierung mit deutschem Text untermalte Video-Impressionen, die ein wenig an die Federzeichnungen des tschechischen Landschaftsmalers Stanislaw Lolek vom Ende des 19. Jahrhunderts gemahnen. Auf ihn geht Janacecs Oper zurück. Loleks Illustrationen gerieten zuerst in Vergessenheit, wurden aber in den 1920er Jahren nach ihrer Wiederentdeckung durch die Redaktion der Lidové noviny und ihrer comichaften Veröffentlichung ein wahrer Hit. Dieses Vorgehen des Regisseurs machte Sinn. Damit hat Kimmig geschickt ein wenig von der bisher nicht sehr umfangreichen Rezeptionsgeschichte des Werkes mit inszeniert.

Auch im Übrigen gelingt ihm eine faszinierende Deutung von Janacecs Werk. Dabei kleiden er und sein Team das Ganze gekonnt in einen modernen Rahmen. Eine romantische Naturidylle zu zeigen, entspricht nicht seinen Intentionen. Dem Programmheft ist zu entnehmen, dass er Natur als Prozess, als System von Beziehungen (Programmheft S. 20) versteht. Die Handlung spielt sich in einem Fuchsbau ab, der in einen schiefen Bilderrahmen eingepasst ist und zahlreiche Löcher aufweist, die die Eingänge zu Tunneln bilden. Diese sind als Durchlässe für das wahre Wesen alles Lebendigen zu verstehen. Gleichzeitig weckt das Bühnenbild Assoziationen an ein Raumschiff, das im Hintergrund durch eine transparente Glasscheibe abgeschlossen wird. Hinter dieser ragt ein zerstörter Wald auf, von dem aus Figuren, die wie Aliens wirken, das Geschehen manchmal neugierig beobachten. So beispielsweise die große Sex-Szene zwischen Fuchs und Füchsin, die auf einem riesigen Sofa stattfindet, sowie die anschließend erscheinende Fuchskinderschar. Der Fuchsbau lässt sich durch aus dem Boden hochfahrende Stühle und einen Tisch rasch in ein Wirtshaus verwandeln, in dem der Förster, der Lehrer und der Pfarrer ihren trüben Gedanken nachhängen. Einen Gegenstand ihres Gesprächs bildet dabei die schöne Terynka, die die ganze Zeit über unsichtbar bleibt und als Sinnbild für die Wünsche und Sehnsüchte der drei Männer interpretiert werden kann. Es ist fast wie ein Traum. Und das Traumhafte spielt in Kimmigs Konzept eine zentrale Rolle. Die Grenzen von Traum und Realität sind fließend. Und das gilt auch für die Grenzlinie zwischen Mensch und Tier, Leben und Tod und Natur und Geist. Alles geht hier nahtlos ineinander über. Tiere zeigen menschliche Züge und bei den Menschen werden tierische Wesensmerkmale spürbar. Die Menschen sind dabei normal und zeitgenössisch gekleidet. Die Tiere dagegen tragen sinnliche, bunt-schillernde Kostüme. Für sie hat Herr Reimann eine beeindruckende Körpersprache entwickelt.
Der Förster stellt gleichsam den Gegenspieler der Füchsin dar. Anhand dieser Figur zeigt Kimmig stimmig den Kampf eines männlichen Wesens mit seinen eigenen Gefühlen auf. Er sehnt sich nach einer Wesensänderung. Zuerst hart, wird der Förster im weiteren Verlauf des Stücks zunehmend weicher und sanfter. In seiner letzten Szene hat er sein Ziel schließlich ganz erreicht, erscheint offen und verletzlich. Und gerade dadurch wirkt er umso vitaler. Dieser Augenblick ist für den Regisseur der Ausgangspunkt seiner gelungenen Konzeption. Indem der Förster das pulsierende Leben um ihn herum gewahr wird, kann er sich ändern. Erst als er nicht mehr in irgendwelchen Zwängen gefangen ist, wird er fähig, die Natur so richtig zu begreifen und sich ihr gänzlich hinzugeben. Er wird eins mit der Natur und legt als äußeres Zeichen dafür die Hose des Fuchses an. Hier knüpft Kimmig an die Lehren des Biologen und Philosophen Andreas Weber an, der in seinen Schriften immer wieder betont, Mensch und Natur seien keine getrennten Sphären (so der Chefdramaturg in der Einführung). Was dem Förster hier widerfährt, geht uns alle an. Der Füchsin kommt dabei die Funktion eines Katalysators zu. Sie verkörpert dieses Lebendige. Und das Leben wirkt sogar weiter, wenn es stirbt. Von dieser Warte aus gesehen ist es durchaus begreiflich, wenn die Füchsin, nachdem sie von dem Wilderer Harasta erschossen wurde, am Ende wieder ins Leben zurückkehrt. Man merkt: Leben und Tod sind hier keine Gegensätze, sondern bilden eine Einheit. Gerade dieser eigentlich unlogische Aspekt bildet einen wesentlichen Teil des Traumes, der sich dem Zuschauer auf einer tieferen, existentiellen Ebene offenbart. Die Logik gerät hier nachhaltig an ihre Grenzen. Und das wird von Stephan Kimmig hervorragend herausgearbeitet.
Bei Ariane Matiakh, der derzeitigen Chefdirigentin der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, war Janacecs Musik in besten Händen. Sie wartete mit einer präzisen, durchsichtigen und ungemein prägnanten musikalischen Erzählweise auf und arbeitete die große Menge an Farben phantastisch heraus. Mit ausgeprägtem Stilgefühl wies sie dem grandios aufspielenden Staatsorchester Stuttgart den Weg durch die Partitur, die sie sehr inspirierend, flüssig und strahlend auslotete. Das war eine ganz große Leistung seitens Dirigentin und Musiker!

Auch mit den Sängern konnte man größtenteils zufrieden sein. Claudia Muschio sang mit vorbildlich fokussiertem, warmem und gefühlvollem Sopran eine ideale Füchsin, deren unterschiedliche Befindlichkeiten sie vokal perfekt ausdeutete. Einen ebenfalls gut italienisch fundierten, emotionalen Mezzosopran brachte Ida Ränzlöv in die Partie des Fuchses ein. Pawel Konik begann als Förster mit seinem kraftvollen, sonoren Bariton sehr markant, fand aber zunehmend auch zu weicheren, verhaltenen Tönen. Das entsprach ganz der Auffassung der Regie. Von dem den Harasta sehr kraftvoll, elegant und mit wunderbarer italienischer Technik singenden Michael Nagl hätte man gerne mehr gehört. Stimmlich gut zeichnete Andrew Bogard den Pfarrer und den Dachs, während Moritz Kallenberg (Lehrer und Mücke) nur über dünnes Tenor-Material verfügte. Zufriedenstellend gab Olivia Johnson die Försterin und die Eule. Auch bei Catriona Smiths Frau Pasek und Eichelhäher blieben keine Wünsche offen. Torsten Hofmann hätte den Herrn Pasek mit etwas besserer Körperstütze seines Tenors singen können. In der Doppelrolle von Dackel und Specht gefiel Itzeli del Rosario. Die wenigen Worte des Hahns waren bei Oscar Encinas in ordentlichen Händen. Gefällig muteten die zahlreichen Nebenrollen an. Eine ansprechende Leistung erbrachten Chor und Kinderchor der Staatsoper Stuttgart. Beide hatte Bernhard Moncado einstudiert.
Fazit: Eine absolute Rarität, die die Fahrt nach Stuttgart wieder einmal voll gelohnt hat. Der Besuch der Aufführung ist sehr zu empfehlen!
Ludwig Steinbach, 25. November 2025
Die schlaue Füchsin
Leos Janacec
Staatsoper Stuttgart
Premiere: 9. November 2025
Besuchte Aufführung: 23. November 2025
Inszenierung: Stephan Kimmig
Musikalische Leitung: Ariane Matiakh
Staatsorchester Stuttgart