Umberto Giordano
Rezension der Premiere v. 21. Juli 2022
Die Oper Sibirien von Umberto Giordano und Madame Butterfly, welche dieses Jahr in Bregenz gezeigt werden, verbindet einiges. Giordanos Werk wurde anstelle der Uraufführung von Puccinis Oper an der Mailänder Scala 1903 uraufgeführt. Puccinis Werk wurde dann nur zwei Monate später am selben Haus zum ersten Mal gezeigt. Beide Werke wurden vom Publikum anfangs ohne sonderliche Begeisterung aufgenommen. In beiden Opern wird das Schicksal einer großen Liebe erzählt und endet tragisch. Das eine Werk hat bis heute seinen Siegeszug durch die Opernhäuser gemacht, während das andere nur selten zu erleben ist.
Der Komponist Umberto Giordano hat die Kunst und Kultur Russlands eingehend studiert und für seiner Komposition verwendet. Dadurch ist ein veristisches Werk entstanden, in welchem Oper und Elemente der Volksmusik harmonisch miteinander verbunden sind und die verschiedenen Stimmungen der Handlung eindringlich untermalen.
Wir begegnen Stephana, welche der Kuppler Gleby zur Kurtisane gemacht hat. Diese will sich von dem sie umgebenden luxuriösen Lebensstil befreien. Sie begibt sich nach Sibirien, wohin Vassili, ihr Geliebter, nach einer Auseinandersetzung in Verbannung geschickt wurde und wird dort zu einer Kämpferin für Gerechtigkeit und gegen Verleumdung. Als Gleby in die gleiche Strafkolonie geschickt wird und sie dort erkennt, will er zusammen mit ihr fliehen und er verrät ihr auch seinen Fluchtplan. Sie aber will nicht mit Gleby gehen. Diese Zurückweisung verletzt ihn tief und als Rache stellt er Stephana vor den anderen Gefangenen bloss. Sie will mit Vassili flüchten, aber die Flucht misslingt. Da fällt ein Schuss.
Regisseur Vasily Barkhatov erzählt die Geschichte aus der Sicht eine alten Frau, welche auf der Suche nach ihrer Vergangenheit die einzelnen Stationen der Handlung aufsucht, um schlussendlich erkennen zu müssen, dass Stephana und Vassili ihre Eltern sind und auf der Flucht starben. Auch ihr Bruder war im selben Arbeitslager gefangen und verstorben. In der Nähe der Strafkolonie verstreut sie seine Asche, symbolhaft für das Elend, das dort herrschte.
Die Handlung mag seltsam und auch kompliziert klingen, wird aber durch einen interessanten Regieeinfall gelöst. Mittels eingespielter schwarz/weiss Videos, welche in Mailand, St. Petersburg und Sibirien gedreht wurden und die jeweilige Stimmung wiedergeben, werden die einzelnen Szenen der Oper auf der Bühne elegant miteinander verbunden. So beispielsweise in dem Moment, als die alte Frau im Video das Haus der Stephana besucht und an der Türe klingelt und gleichzeitig sich der Vorhang vor der Szene auf der Bühne hebt und man wieder ins dortige Geschehen zurückgeführt wird. So auch an der Stelle, wo die alte Frau im Archiv in St. Petersburg nach Hinweisen zum Gulag sucht und die Geschichte Ihrer Eltern findet.
Das gekonnte Zusammenspiel zwischen Video, Bühnenbild und Beleuchtung erweist sich als außerordentlich gut gelungen. Hier haben der Bühnenbildner Christian Schmidt, die Kostumbildnerin Nicole von Greavenitz und Alexander Sivanev, welcher für die Beleuchtung zuständig waren, ganze Arbeit geleistet. Für die Videos waren Pavel Kapinos, Sergey Ivanov und Christian Borchers verantwortlich.
Für die Rolle der alten Frau wurde mit Clarry Bartha die ideale Besetzung gefunden. Mit ihrer starken Persönlichkeit gelang es ihr sowohl bei den Videoaufnahmen, wie auch auf der Bühne, eindrückliche Präsenz auszustrahlen. Auch bei den kurzen Gesangpassagen konnte man sich der Wirkungskraft dieser Figur nicht entziehen.
Die Rolle der starken, verliebten Stephana war der kanadischen Sopranistin Ambur Braid anvertraut und ihr gelang ein Rollenporträt von großer Eindringlichkeit, welches sowohl spielerisch als auch durch ihre kraftvolle Stimme begeisterte. Vassili, ihr Liebhaber, wurde vom russischen Tenor Alexander Mikhailov verkörpert und sehr lyrisch gestaltet. Er passte stimmlich, wie optisch perfekt in diese Rolle.
Die Partie des unsympathischen Gleby erfordert in dieser Inszenierung viel Beweglichkeit und war mit Scott Hendricks ebenfalls ideal besetzt. Der Tenor Omer Kobiljak als Fürst Alexis überzeugte auch in dieser Aufführung durch seine schöne Stimme und seine eindrückliche Erscheinung. Die amerikanische Mezzosopranistin Fredrika Brillembourg war als Nikona zu hören. Manuel Günther als Ivan/Der Kosak, Michael Mrosek als Bankier und der Invalide, Unnsteinn Árnason als Walinoff/Der Gouverneur sowie Stanislav Vorobyov als Hauptmann/Aufseher, Rudolf Mednansky als Sergant und Bronislav Palowski als Stimme der Mugiki, boten nuancierte Rollenportraits und komplettierten das Ensemble perfekt.
Für diese Oper braucht es einen hervorragenden Chor. Da zeigte sich einmal mehr die hohe Qualität des mit den Bregenzer Festspielen seit langem verbundene Prager Philharmonischem Chors unter der Leitung von Lukáš Vasilek. Bis in die feinsten Töne, insbesondere bei den russischen Klängen, wurde man sich einmal mehr bewusst, warum dieser Chor einen so hervorragenden Ruf geniesst. Die Wiener Symphoniker wurden vom russischen Dirigenten Valentin Uryupin geleitet, welcher mit viel Temperament diese sehr farbenreiche und anspruchsvolle Partitur zum Klingen brachte. Von ganz intensiven, ab und zu etwas sehr lauten, bis hin zu allerfeinsten Tönen, die Qualität dieses Orchesters, welches seit langem zum festen Bestandteil dieses Festivals gehört, ist auf sehr hohem Niveau.
Dem Publikum hat dieser Abend gefallen und alle Mitwirkenden wurden mit starkem Beifall bedacht. Man darf den Bregenzer Festspielen gratulieren und sich bedanken, dass man auf diesem Wege ein Werk erleben konnte, welches nur sehr selten gespielt wird.
Rezension von Marco Stücklin, 14.8.22
Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN
Fotos © Karl Forster