Eötvös (Uraufführung) / Bartók
am 17. Mail 2015
Uraufführung einer neuen Oper von Peter Eötvös als „vollwertiges Pendant“zu Bartoks einziger Oper
Zwei Monate nachdem Peter Eötvös in Wien mit großem Erfolg seine erste Oper „Tri Sestri“ an der Staatsoper dirigiert hat (siehe Artikel im MerkerOnline), steht er wieder als Dirigent im Operngraben. Dieses Mal in Avignon, wo er neben „Herzog Blaubarts Burg“, die szenische Uraufführung seiner letzten Oper „Senza Sangue“ dirigiert.
Der Grund für das Entstehen dieser neuen Oper wurde bereits letzten November in der Merker-Heftausgabe – erläutert: Da ein „Opernabend“ in vielen Häusern mindestens zwei Stunden dauern muss (einschließlich Pause), haben kurze Einakter wie „Herzog Blaubarts Burg“ einen schweren Stand. An der Opéra de Paris kombinierte man 2007 die einzige Oper von Bela Bartok (1918) mit dem „Tagebuch eines Verschollenen“ (1921), einer wenig bekannten „Kammer-Oper“ von Janacek nach „23 Gedichten eines Unbekannten“. Für die Aufführungen in Paris musste Gustav Kuhn aus Erl das ursprünglich für Sänger und Klavier komponierte Werk „im Sinne Bartoks neu orchestrieren“. Im Oktober 2015 wurde „Blaubart“ in Toulouse kombiniert mit „Il Prigioniero“ von Luigi Dallapiccola (1950) und im November in Pariser mit der „Voix humaine“ von Francis Poulenc (1959), zwei musikalisch völlig andere Werke (siehe Merker 12/2015). Und nächstes Jahr will die Oper in Brüssel „Blaubart“ kombinieren mit „Lux Aeterna“ von György Ligeti, einem „a capella Gebet“ für gemischten Chor (1966). Man sieht: die Opernhäuser haben offensichtlich Schwierigkeiten, ein musikalisch vollwertiges Pendant zu „Herzog Blaubarts Burg“ zu finden.
Peter Eötvös kam nun auf die sehr gute Idee ein solch lang gesuchtes Pendant zu komponieren: er schrieb einen Einakter mit gleicher Besetzung (ein Sopran und ein Bariton), identischem (großen) Orchester und ähnlicher Thematik. In „Herzog Blaubarts Burg“ (frei nach einem Märchen von Perrault), öffnet Blaubarts neue Frau Judith sieben Türen, hinter denen sie die Vergangenheit ihres Mannes sucht. Sie findet eine Folterkammer, eine Waffenkammer, eine Schatzkammer, eine Wiese, wo Blumen auf Blut blühen und einen See aus weißen Tränen. In der siebten Kammer findet sie schlussendlich drei Frauen, mit denen Blaubart den Morgen, den Mittag und den Abend seines Lebens zugebracht hat. Judith wird mit ihnen eingeschlossen, um mit Blaubart „die Nacht zu verbringen“ – also zu sterben. In der neuen Oper „Senza Sangue“ sehen wir eine ähnliche Frau und einen ähnlichen Mann, doch läuft die Geschichte fast spiegelverkehrt ab. Das Libretto von Mari Mezei zitiert Sätze aus dem Roman „Senza Sangue“ (2002) des italienischen Schriftstellers (und Opernjournalisten!) Alessandro Baricco (1958 geboren), in dem ein kleines Mädchen sieht, wie ihr Vater und ihr Bruder durch drei Männer erschossen werden, wobei der dritte ihr das Leben lässt. Viele Jahre später wurden die beiden anderen Männer ermordet, und die inzwischen junge Frau steht mit einem Revolver vor dem dritten Mann. Doch sie will ihn nicht erschießen, da sie an eine Versöhnung „senza sangue“ („ohne Blut“) glaubt – und leben will.
In Avignon wurden beide Einakter ganz wunderbar durch Peter Eötvös selbst dirigiert, denn er war wieder „im Doppel unterwegs“, so wie er es Renate Wagner im ausgiebigen Interview im MerkerOnline erzählt hat. Seltsamerweise wurden beide Einakter in dem (quasi) selben Bühnenbild von Emmanuelle Favre und in Kostümen von Danièle Barraud gespielt, aber mit zwei unterschiedlichen Regisseuren und zwei verschiedenen Besetzungen. Dabei hat Peter Eötvös – so wie er es uns nach der Aufführung selber sagte – seine neue Oper so angedacht, dass sie an einem Abend durch dasselbe Team gegeben werden kann. Die verschiedenen Besetzungen und Regisseure erklären sich wahrscheinlich durch den Umstand, dass der Opernabend koproduziert wurde mit dem durch Agnes Havas geleiteten „Armel Oper Festival“ in Budapest. Die beiden „Blaubart“-Sänger gewannen dort letztes Jahr den ersten Preis (womit sie an dieser Produktion teilnehmen konnten), und am 27. Juni wird dieser Doppelabend – auch durch Peter Eötvös dirigiert – im Rahmen des Festivals an der Oper in Budapest aufgeführt und durch ARTE ausgestrahlt. Die beiden ungarischen „Blaubart“-Sänger, beide im Ensemble der Budapester Oper, hatten wirklich Niveau: Adrienn Miksch war eine sehr überzeugende Judith und Karoly Szemeredy wollte man einfach nicht abnehmen, dass er diese Rolle zum ersten Mal singt. Sie scheint ihm wirklich „auf die Haut“ (und in die Kehle) geschrieben zu sein, und es ist höchstwahrscheinlich, dass das Teatro Real in Madrid, die Bayerische Staatsoper und die Opéra National in Lyon, wo er schon in vielen Rollen aufgetreten ist, ihn bald alle als Blaubart haben wollen.
Nadine Duffaut, in Avignon keine Unbekannte, zeigte sich als Regisseurin mit ihrem Team von ihrer besten Seite: die Geschichte wurde deutlich, geschmackvoll und ohne viel Firlefanz erzählt. Sehr besonders war der offensichtlich von ihr auf Französisch geschriebene Prolog, der – durch den Schauspieler Philippe Murgier gespielt – dem Stück eine märchenhafte, zeitlose Note gab. In „Senza Sangue“ wurde der ungarische Regisseur Robert Alföldi dagegen sehr aktuell und konkret. „Die Frau“ (die junge französische Sängerin Albane Carrère) trat in heutigem Outfit mit einem Revolver auf und saß beinahe eine Stunde lang „dem Mann“ (Romain Bockler) an einem kleinen Tisch gegenüber – eine Konstellation die vielleicht für ein Theaterstück von Sartre gepasst hätte, die sich jedoch als wenig operntauglich erwies. Das lag vielleicht auch an dem zerstückelten Libretto, wo einige Sätze eine eigenartige italienische Prosodie entwickelten, die verfremdend wirkte. Da hätte man vielleicht einen Regisseur mit mehr Opern-Erfahrung gebraucht und Sänger, die fließend Italienisch sprechen. Das Beste am Doppelabend waren das Orchester und der Dirigent. Peter Eötvös dirigierte so gut, dass wir zwei Mal aufgestanden sind, um sicher zu sein, dass wirklich das Orchestre régional Avignon-Provence im Graben saß. Das ist kein kleines Provinz-Orchester, wie der Name vielleicht vermuten lassen könnte. Denn die Oper in Avignon, seit 1976 von Raymond Duffaut geleitet (der bis vor wenigen Wochen auch der langjährige Direktor der Festspiele in Orange war), hat eine große Operntradition. Jetzt spielte das Orchester unter der Leitung von Peter Eötvös so gut, dass es sich in diesen Werken wirklich mit dem Orchester der Pariser Oper messen konnte.
Über die neue Oper selbst, die schon einige Male konzertant gegeben wurde, teilen sich die Meinungen. „Tri Sestri“ – wir erinnern uns noch ganz genau an die umjubelte Uraufführung 1998 in Lyon – war, ist und bleibt ein großer Wurf. Doch wie Richard Strauss sich nach „Elektra“ und „Salome“ mit dem „Rosenkavalier“ zurück in eine klassischere Formensprache begab, scheint Peter Eötvös nach „Tri Sestri“ in der Oper Angst vor seiner eigenen, besonderen Klangsprache bekommen zu haben. Die Spezialisten für gegenwärtige Musik, die teilweise von weit her zu dieser Uraufführung nach Avignon gereist sind, waren zum Teil „enttäuscht“. Das Publikum nicht und wir auch nicht. Denn das Ziel dieser neuen Oper – ein stimmiges Pendant zu „Herzog Blaubarts Burg“ – wurde voll und ganz erreicht. Nur die szenische Aufführung war vielleicht nicht ganz auf der Höhe. Doch das wird sich in Zukunft sicher geben. Schon im November 2016 wird „Senza Sangue“ zusammen mit „Blaubart“ an der Hamburgischen Staatsoper aufgeführt werden. Dieses Mal mit Angela Denoke und Serguei Leiferkus. Das wird sicher ein besonderer Abend werden und wahrscheinlich der Durchbruch für „Senza Sangue“ – wir sind gespannt!
Waldemar Kamer 20.5.16
Besonderer Dank an Merker-Online – Paris