Operette und das Wagnis mit dem Musical
(besuchte Aufführung „Gasparone“ am 27.07.2013
besuchte Aufführung „Hallo, Dolly“ am 28.07.2013)
Ich gebe zu, dass ich mir diesmal lange überlegt habe nach Bad Ischl zu fahren. Nachdem das Mekka der Operette in Mörbisch bereits zum Musical schwenkt, auch die Sommeroperette Coburg langsam Musicalfestival heißen müsste, hat nun auch Prof. Dr. Michael Lakner die operettenhafte Jungfräulichkeit von Bad Ischl verloren. Erstmals steht ein Musical auf dem Programm der Lehár-Festivals und nicht genug damit, will man nächstes Jahr mit „Gigi“ und im übernächsten Jahr mit „My Fair Lady“ zwei weitere Musicals anbieten. Ich gebe gerne zu, dass ich die Operette liebe, dass ich in den Klängen schwelge und die herrlichen Melodien im Ohr nach einer Vorstellung mit nach Haus nehme. Nun denn, „Hallo, Dolly“, wie sie in Bad Ischl genannt wird, ist ein klassisches Musical – immerhin etwas. Dennoch fuhr ich mit gemischten Gefühlen, denn meine letzte Bastion der Operettenseligkeit begann zu bröckeln. Gut, ich weiß, dass sowohl die deutschen als auch die österreichischen Fernsehsender praktisch keine Operetten mehr zeigen (wie soll da unter den jüngeren die Liebe für diese Musikform aufflammen – und wo bleibt der Aufschrei und die Welle der Anrufe bei den Sendern wo die Operette bleibt und warum sie so vernachlässigt wird), ich weiß ebenso, dass dadurch die Beziehung zu einer der schönsten Musikgattungen immer mehr nachlässt, weil man sie einfach nicht mehr kennt. Aber gerade deshalb habe ich ja Bad Ischl, Mörbisch usw. geschätzt, weil sie die traditionelle Operette hoch und in Ehren gehalten haben. Nun gut, ich muss auch einsehen, dass man nur dann weiter spielen kann, wenn auch die Besucherzahlen und damit die Einnahmen einigermaßen stimmen. Nun gut, lassen wir uns also auf das Wagnis“ ein. Doch vor dem Musical erst eine wunderschöne, leider viel zu selten gespielte Operette, den „Gasparone“ von Carl Millöcker.
Es ist verwunderlich, warum eine Operette mit so vielen Ohrwürmern auf den Spielplänen so stiefmütterlich behandelt wurde. Umso erfreulicher, dass Regisseurin Dolores Schmidinger die Räubermär zu neuem Leben erweckt. Gut, ein bisschen modernisiert hat sie schon. Aus den sizilianischen Banditen von 1820 wurde eine Bande Mafiosi aus der Prohibitionszeit um 1930 herum. Mir hat es, obwohl ich immer ein Verfechter des Originalen bin, trotzdem gut gefallen. Auch etliche zusätzliche Witze und Schenkelklopfer hat Frau Schmidinger eingebaut, aber sie hat für mich nicht überzogen. Man unterhält sich köstlich und das soll es doch sein, was Operette bietet und bieten soll. Manches ist vielleicht etwas überzogen – aber immer unterhaltend. Man amüsiert sich in den zwei Stunden köstlich und was will man eigentlich mehr. Die Kostüme von Katrin Rölle und die Ausstattung von Katharina Sautner gefallen und tragen zur allgemeinen positiven Stimmung bei. Das Franz Lehár Orchester wurde von Marius Burkert straff geleitet. Er verstand es die nicht immer einfache Musik von Millöcker aufblühen zu lassen und die Feinheiten herauszuarbeiten. Dabei war er stets ein kongenialer Begleiter seiner Sänger, er führte sie behutsam und nahm das Orchester zurück, wenn es notwendig war. Er umschmeichelte die Sänger und überdeckte sie nicht. Der Chor war von Georg Smola vorzüglich eingestellt und agierte perfekt. Dies alles ließ den Solisten den notwendigen Platz zur Entfaltung. Und beginnen wir mit einem „Urgestein“ von Bad Ischl, bei der man den Eindruck hat, sie wird von Jahr zu Jahr besser. Miriam Portmann brillierte im wahrsten Sinne des Wortes als Gräfin Charlotta und überzeugte, wie auch schon die Jahre zuvor, sowohl von der stimmlichen Präsenz als auch von der darstellerischen Seite. Eine ausgezeichnete Leistung, bei sich Thomas Zisterer als Graf Erminio Saluzzo ein klein bisschen schwer tat. Sein weicher, warmer Bariton passt gut in die Rolle (fast hätte man sich die „Dunkelroten Rosen“ gewünscht, die in dieser Inszenierung jedoch verständlich nicht erklingen), ist einschmeichelnd, verlässt aber einige Male die gesangliche Linie. Insgesamt gesehen joch eine vorzügliche Leistung. Und hier muss man nun einfach Gerhard Ernst als Bürgermeister Nasoni nennen, der aus dieser Partie ein Paradestück macht. Schauspielerisch exzellent, alle Feinheiten der Rolle auskostend, kann er auch gesanglich voll überzeugen Mit dieser Darstellung wird er neben Miriam Portmann zum Liebling der Zuschauer und erntet stürmischen Beifall. Roman Martin gab seinen schüchternen Sohn Sindulfo mit viel Einsatz. Klasse auch das Pärchen Thomas Malik als feiner Buffo-Tenor und Melanie Schneider mit zartem aber sehr gefälligem Sopran als Wirt Benozzo und dessen Frau Sora. Zu erwähnen ist auch noch, die mit einer voluminösen, samtenen Altstimme die Zenobia gibt. Den Zuschauern hat es gefallen, langanhaltender Beifall für eine Operette, die zu Unrecht so selten auf die Bretter, die die Welt bedeuten, gekommen ist.
Am Sonntagmittag – vor der Aufführung von „Hallo, Dolly“ – gab mir Prof. Dr. Michael Lakner ein interessantes Interview, welches ich an anderer Stelle abdrucke, und in welchem er sein Verhältnis zum Musical beleuchtet.
Doch nun zum ersten Musical in Bad Ischl, „Hallo, Dolly“. Und ich möchte es gleich vorwegnehmen. Es war ein rauschender Erfolg. Die Zuschauer gingen mit wie selten, die gesamte Aufführung war wie aus einem Guss und die einschmeichelnden Lieder und Arien, zum Teil von exzellenten Sängern dargeboten, taten ein Übriges zum Erfolg. Doch nun erst einmal der Reihe nach.
Dr. Lakner ist mit „Hallo, Dolly“ ein großes Wagnis eingegangen. Er wollte zum einen ein jüngeres Publikum an Bad Ischl binden, welches dann – so seine Überzeugung – auch an der „guten, alten“ Operette Spaß finden könnte und er wollte dadurch die hohen Besucherzahlen bei den Publikumsrennern der letzten Jahre halten. Und dann wollte er Musicalklassiker auf die Bühnen stellen, also solche, in denen brillante Musik als Wurmfortsatz der Operette angesehen werden kann.
Das Wagnis, welches er einging, ist voll aufgegangen. Selten sah man solch abwechslungsreiche, bunte Bilder auf einer Bühne, die plötzlich viel größer wirkte, als sie in Wirklichkeit ist. Eine bunte, mitunter auch etwas schrille, aber immer eindrucksvolle und abwechslungsreiche Revue wurde uns hier geboten, die nach der Pause noch einmal ordentlich Fahrt aufnahm. Die eigentlich einfache Geschichte der Heiratsvermittlerin Dolly, die sich schließlich ihren Ehegesponst selbst angelt, wird mit tollen Kräften auf die Bühne gebracht. Und dies ist einer der Pluspunkte dieser Aufführung. Es agieren exzellente Sänger, Schauspieler und Tänzer, die alle zusammen einen bunten Bilderbogen von Fröhlichkeit überspringen lassen. Leonard Prinsloo bringt das Stück als Regisseur und Choreograph auf die Bühne, überwältigend, präzise, vielen humorvollen Anspielungen und alles bis in Detail ausgeplant. Die Choreographie Prinsloos kommt in den Balletszenen zum Ausdruck, die man selten so brillant, ja fast broadwaymäßig erlebt hat. Dazu passen die farbenfrohen Kostüme von Monika Biegler und der präzis einstudierte Chor des Lehár Festivals durch Georg Smola. Hier greift ein Rädchen in das andere und vereint alles zu einem großen Ganzen, zu einem Feuerwerk aus Musik, Tanz und Freunde. Die Darsteller fügen sich nahtlos in dieses Konzept ein. Mit Ann Mandrella in der Titelpartie der Dolly hat man zwar eine sehr jugendliche, aber bis in die Fingerspitzen glühende Dolly gefunden. Gesanglich lässt sie keine Wünsche offen, darstellerisch beeindruckend und dazu hinreißend schön. Von ihr wird man – vor allem in der Musicalszene – mit Sicherheit noch viel hören. Ihr zur Seite Kammersänger Kurt Schreibmayer als Heiratskandidat Horace Vandergelder. Er, der bereits eine lange erfolgreiche Karriere hinter sich hat, überzeugt durch blendendes Auftreten, darstellerische bis in die letzten Feinheiten ausgeklügeltes Siel und auch noch mit einem exzellenten Tenor. Ein Sängerdarsteller par excellence, der auch gesangliche Meriten setzt. Boris Pfeifer und Benjamin Plautz als Vandergelders Angestellte Cornelius Hackl und Barnaby Tucker sind ein ideales Gespann, ein Tandem, bei dem beide gleich schnell in die Pedale treten. Nicht nur im Duett mit ihren beiden Damen, ausgezeichnet auch hier Caroline Vasicek als Irene Molloy und Iva Mihanovic als ihre Angestellte, brillieren sie, nein auch in den leisen Tönen. Jan C.J. Liefhold als Ambrose Kemper und Mandy Garbrecht als Erestina Money vervollständigen das ausgezeichnete Ensemble. Michael Zehetner dirigiert das Franz Lehár Orchester und er macht dies ausgezeichnet. Sicher, präzise und auf den Punkt ist das Orchester ein kongenialer Begleiter der Sängerdarsteller. Das Publikum zeigt am Schluss mit den Füssen, was sie von dem Experiment Musical hält. Tosender, nicht endend wollender Applaus beschließt einen rundum gelungenen Abend. Man kann die Aufführung als einen Glücksfall für Bad Ischl bezeichnen, muss sich aber darüber im Klaren sein, das dies nur klappt, wenn man ausgezeichnete Kräfte zur Verfügung hat und wenn das Potential des Musicals sich dazu eignet. Ich bin heute schon gespannt auf die „Gigi“ im nächsten Jahr, wenn diese neben dem unverwüstlichen „Der Graf von Luxemburg“ gezeigt wird. Hoffen wir, dass das gute Händchen des Intendanten auch dann einen rauschenden Erfolg beschert. Zu wünschen wäre es Bad Ischl und auch in diesem Jahr kann ich wieder konsternieren, dass sich der Besuch wieder gelohnt hat.
Manfred Drescher Fotos von : www.fotohofer.at