Besuchte Aufführung am 22.03.19
Premiere am 23.02.19
Pariser Laufsteg
Nachdem am Staatstheater Braunschweig das Genre „Operette“ in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt wurde, darf man sich nicht wundern, das Lehàrs Meisterwerk „Die lustige Witwe nahezu volle Häuser einfährt; und das obwohl man versuchte dem Werk eine (gemäßigte) Frischzellenkur zu verpassen. Der Schauspieler und Regisseur Klaus Christian Schreiber hat dazu eine neue Dialogfassung erarbeitet, zu der ich mich nach der eigentlichen Kritik der Aufführung noch einmal kurz gesondert äußern möchte. Um es vorweg zu nehmen, die Fassung klappt im Wesentlichen und lässt das eigentliche Stück „sein“.
Die bekannte Handlung findet im heutigen Paris in einer herrlich durchgeknallten Mode-Party-Gesellschaft statt, wer schon einmal in diese Kreise geschnuppert hat, wird viel davon in der Aufführung entdecken. Madeleine Boyd lässt in ihrer Ausstattung quasi „unter dem Eifelturm“ spielen, was , vor allem im zweiten Akt, sehr schön dekorierend wirkt, der Hauptclou sind allerdings die wunderbar überdrehten Kostüme, da mag man jeden einzelnen Choristen auf dem Laufsteg der „Society“ anschauen, quietschig gefärbte Frisuren komplettieren das jeweilige „Outfit“. Im Grunde inszeniert der Regisseur Schreiber die „Urwitwe“ mit zahlreichen Anspielungen auf die aktuelle Medienwüste mit Facebook und Twitter, im Programmheft gibt es sogar eine recht launige Inhaltsangabe mittels „Emojis“. Die Grisetten im dritten Akt tanzen in der sehr hübschen Choreographie von Amy Share-Kissiov, leider in der handelsüblichen Fetischkostümierung, das ist nun wirklich nicht mehr originell, sondern nur noch langweilig. Zum Vilja-Lied gibt es allerdings eine recht schöne Bebilderung durch einen klassisch-romantischen Pas de Deux. Die modernen Gags wirken zunächst etwas aufgesetzt, werden später aber durch einige Lacher belohnt. Soweit also die Szene.
Ivan Lopez Reynoso dirigiert am Pult des gut aufgelegten Staatsorchesters eine recht flotte „Witwe“, für meinen Geschmack etwas zu knallig und auch zu laut; Lehàrs hervorragende Instrumentation lässt da doch viel mehr Nuancen zu, als zu hören waren. Den Sängern war er jedoch ein sicherer Begleiter. Ivi Karnezi ist eine stimmlich üppige Hanna Glawari, die in den Höhen, so des Vilja-Liedes, doch etwas flackrig wurde und wenig Pianokultur zeigte. Vincenzo Neri ein baritonaler, charmanter Danilo, den ich mir noch differenzierter vorstellen könnte, als er an diesem Abend war. Die Erotik zwischen beiden würde bei etwas langsameren Tempi sicher noch besser funktionieren, schade auch, daß das frivol aufgeladene Reiter-Duett gestrichen war. Ganz hervorragend in jeglicher Beziehung Milda Tubelyte als Valencienne mit durchaus ernster Note, weit weg von jeglicher Soubrette. Das sie eigentlich ein hoher Mezzosopran ist, konnte man bei den leuchtenden Höhen nicht merken dazu der robuste Tenor von Kwonsoo Jeon als Camille de Rosillion, sehr sicher, doch wenig Piano, da würde ich mir den sehr potenten St.Brioche von Matthias Stier, der jedoch weitaus lyrischer klingt, in dieser Partie besser vorstellen können. Michael Eder spielt und singt einen sehr gediegenen Mirko Zeta, wie Michal Proszynski einen satten Cascada. Andres Bißmeiers Faktotum Njegus kommt zunächst mit sehr sprödem Duktus daher, erst im zweiten Teil wird er zum sympathischen Schelm. Die übrigen Solisten aus dem sehr spielfreudigen Chor haben sichtlich Spaß an ihren Aufgaben. Der Chor selbst könnte mehr , als er an diesem Abend zeigt, denn es klingt alles sehr einheitlich laut, da gäbe es doch feinere Abstufungen zu entdecken (wieder einmal das Vilja-Lied!).
Insgesamt eine unterhaltsame Operettenaufführung, die Lust auf mehr macht. Hoffentlich muss das Braunschweiger Publikum bis zum nächsten Mal nicht wieder so lange warten.
Jetzt noch einmal die versprochenen Gedanken zu der modernisierten Dialogfassung oder vielmehr zu Operettenbearbeitungen, die das Genre näher an unsere Zeit rücken möchten. Natürlich wäre es sehr schön auch junge Menschen als Publikum für dieses Genre zu gewinnen, wie es übrigens an der Komischen Oper Berlin ohne Modernisierungsaspekt schon längst gelungen ist. Doch wenn ich den Blick zu den Zuschauern schweifen lasse, so sehe ich, an diesem Abend überwiegend „gestandenes“ Publikum, die Frage für wen ich so eine Aufführung mache, sei durchaus gestellt. Außerdem, mache ich das Werk durch Aktualisierung besser? Oder lasse ich den Charme von 1905 wirken, was klingt besser; ein „Olga, du kokettierst !“ oder „Olga, du flirtest !“ ? Ich persönlich mag den angewitterten Charme der Vergangenheit lieber, zumal die Gesangstexte ja auch in diesem Stil sind. Das Publikum, auch das junge, ist nicht überfordert, sich in eine andere Zeit zu versetzen und die „ewigen Inhalte“ (auch bei Lehàr) in sein eigenes Leben zu pflücken, was übrigens für gar nicht so wenige „moderne“ Inszenierungen ebenfalls gilt. Man muss nicht alles vorgekaut kriegen. Noch einmal zum Fetischballett, was ist daran eigegntlich erotisch ? Ich habe diese Kostümierung schon so oft im Operettentanz gesehen, daß ich gelangweilt gähne. Richtige Phantasie wäre erotisch, nicht vorgekaute Konsumorientierung!
Danke, wenn Sie bis hierher mitgelesen haben, denn das sind die Gedanken, die mich als operettenliebenden Kritiker immer wieder beschäftigen, wenn ich, wirklich hübsche, aber eben modern sein wollende Vorstellungen besuche. Dabei meine ich noch nicht einmal die Operettenrevoluzzer, die ein Werk oder das Genre eigentlich ganz schrecklich finden, es aber dann, zur Pein des Publikums, schlecht zertrümmern. Nicht jeder ist ein Marthaler („Pariser Leben“) oder Konwitschny („Csàrdasfürstin“), die eine Andersbefragung einer Operette gekonnt auf die Bühne bringen. Also liebe Bühnentiere, macht es anders, wenn ihr es wirklich könnt, ansonsten lasst den Bären im Wald, oder macht es „nur“gut und gediegen. Um Missverständnissen noch einmal zuvorzukommen: „Die lustige Witwe“ in Braunschweig ist wirklich ein schöner, behutsam modernisierter Abend. Das waren nur noch einmal Kritikergedanken , die ich an andere, durchlittene Operettenbearbeitungen schreiben wollte, danke.
Martin Freitag 3.4.2019
Bilder siehe unten Premierenbesprechung