MusicAeterna – Teodor Currentzis
am 17. November 2015
Es wurde völlig dunkel im Konzerthaus Dortmund, mit Einschalten der Beleuchtung ertönte wuchtig der erste d-moll-Akkord der Ouvertüre des „dramma giocoso“ von Wolfgang Amadè Mozart „Don Giovanni“. So begann am Dienstag die letzte der drei einmalig-eindrucksvollen Aufführungen von Opern Mozarts auf Texte von Lorenzo da Ponte durch das Orchester MusicAeterna unter seinem Leiter Teodor Currentzis, für „Don Giovanni“ extra im Anzug mit weisser Nelke im Knopfloch. In der ganzen Ouvertüre bewunderte man den Gegensatz zwischen den gewaltigen scharfen Tutti-Akkorden mit dem exakt gespielten punktierten Rhythmus des Andante und dann dem energischen Allegro. Nicht abgelenkt durch irgendwelche Bebilderung konnte der Zuhörer dieser intensiven Vorwegnahme des Finales folgen.
Vorweg muß auch die Wirkung eines über die musikalische Gestaltung hinausgehenden Einfalls gewürdigt werden. Als Don Giovanni gegen Ende des ersten Aktes seine maskierten Gegenspieler zum Ball einlädt, stimmt er ein Lob der Freiheit an – „viva la liberta“ , das von allen Solisten und Chor wiederholt wird. Gestern trat der Chor in Alltagskleidern durch das Publikum auf die Bühne und entfaltete während des Gesangs ein Transparent „Viva la liberta“ Wir haben auch die Freiheit, eine der bedeutendsten Opern überhaupt aufzuführen über den Mythos des nicht bereuenden Verführers unzähliger offenbar mitwirkender Frauen. Diese Freiheit gilt es zu verteidigen!.
Dabei mußte ausgerechnet der ursprünglich als Don Giovanni vorgesehene Andrè Schuen wie schon bei „Cosi fan tutte“ aus gesundheitlichen Gründen absagen. Für ihn sprang ein der weltweit auftretende Dimitris Tiliakos. Das war eine glückliche Wahl. Mit nur wenigen Blicken in die Noten zeigte er mitreissend alle stimmlichen und mit wenigen Andeutungen auch spielerischen Facetten des Titelhelden. Verführerisch klang seine Stimme mit zartem p im Duettino mit Zerlina und im Ständchen an Elviras Zofe. Überschäumende Lebensfreude zeigte er im irrsinnig schnellen Presto der „Champagner-Arie“. Mit grosser Stimme sang er stolz und ungebeugt im Finale seinem Untergang entgegen. Perfekt beherrschte er das schnelle Parlando. Das bewunderte man auch wieder bei Vito Priante, diesmal als Leporello. Bei der ganz exakt gesungenen „Registerarie“ gab er der Stimme eine zynische Färbung. Überhaupt kann man nur bewundern, wie er in fünf Tagen drei Hauptrollen in Mozart-Opern bestens bewältigen konnte..
Über dramatische Attacke im Orchester – Rezitativ und der folgenden Arie „Or sai chi l’onore“ verfügte Myrtò Papatanasiu mit exakt gesungenen Intervallen und strahlenden Spitzentönen. Letztere waren auch beim ganz weichen Legato und glockenreinen Koloraturen im „Rondo – Larghetto“ „Non mi dir“ im zweiten Akt zu bewundern. Ebenso bewundernswert klangen die langen Legato-Bögen, die unangestrengten Spitzentöne und das ergreifende p von Kenneth Tarver in beiden Arien des Don Ottavio. So gesungen wird keiner behaupten, Ottavio sei ein schwacher Charakter. Geläufige Koloraturen beherrschte auch Karina Gauvin als Donna Elvira, allerdings klebte sie ziemlich an ihren Noten und ließ die geforderte Tiefe manchmal vermissen. Entzückend mit kecken Trillern sang Christina Gansch die Zerlina, verführerisch gegenüber Masetto in ihrer ersten Arie und ganz tröstlich klingend im zweiten Aufzug. Ihr allmähliches Nachgeben im Duettino „La ci darem la mano“ mit den im Rhythmus der Herzschlags gesungenen kleinen Intervallen wird man so schnell nicht vergessen. Dagegen mimte mit kräftigem Baß Guido Loconsolo als Masetto den etwas einfältigen Bauernburschen..
Mit mächtigem Bass forderte Mika Kares als Commendatore den Don Giovanni zur Busse und Rückkehr auf, Besuchern der diesjährigen Ruhrtriennale wird er als gefeierter Wotan im „Rheingold“ in Erinnerung sein.
Wiederum erledigte der Chor seine Auftritte exakt und stimmgewaltig.
Letztlich waren es aber wieder die Mitglieder von MusicAeterna und Teodor Currentzis, die die Aufführung zu einem unvergesslichen Erlebnis machten, wieder mit Instrumenten und Stimmung nach Art der Mozart-Zeit. Jedes Ritardando und jedes sforzato wurde so natürlich gespielt, daß man merkte, so muß es sein. Äusserst exakte rhythmische Genauigkeit und tänzerischer Schwung, etwa auch bei den gegenläufigen Tanzrhythmen im ersten Finale, sorgten für die Lebendigkeit der Aufführung. Einer der schönsten Augenblicke war vorher in demselben Akt der plötzliche Wechsel vom heiteren Menuett gesungen von Leporello und den drei Masken zum folgenden ernsten Adagio „Protegga“ wo die drei vorher maskierten dann mitten im Orchester sangen. In passenden Tempi wieder mitreissend und umsichtig leitend wechselte der Dirigent je nach Erfordernis zwischen Sängern und Dirigierpult hin und her. Geistreich war wieder die Begleitung der Rezitative durch Maxim Emelyanchev am Hammerklavier und seine Continuo-Gruppe. Instrumentale Soli wurden dadurch auch sichtbar, daß die Spieler vor dem Orchester Platz nahmen, so etwa die beiden Gamben, der Cellist bei Begleitung der ersten Arie der Zerlina, die Spielerin der Mandoline zu den gezupften Streichern bei Begleitung der „Mutter aller Ständchen“ „Deh vieni“ im zweiten Akt.
Wiederum war das Publikum im vollbesetzten Konzerthaus vor Begeisterung „ganz aus dem Häuschen“, wie man so sagt, es gab riesigen Beifall Bravos, Pfiffe und alles was dazu gehört.
Kurz vor seinem Tod lebte Librettist da Ponte in New York und und sorgte dort 1825 für die erste Aufführung des „Don Giovanni“ in den USA, mit der Malibran als Zerlina! Ein Besucher, der sonst während Opern immer einschlief, sagte ihm, wie da Ponte in seinen Memoiren schreibt: „Bei einem solchen Stück… ist man derart ergriffen, daß man die ganze Nacht wach bleiben sollte“
Noch viel länger wird die Ergriffenheit andauern über die Mozart-Aufführungen im Konzerthaus Dortmund durch MusicAeterna und Teodor Currentzis.
Sigi Brockmann 18. November 2015
Foto aus „Cosi fan tutte“ Pascal Amos Rest
Die Aufführung wurde vom ZDF aufgenommen und wird irgendwann gesendet. Ebenso wird im Herbst 2016 die CD der Aufführung erscheinen.