Premiere Duisburg: 25.09.2021
besuchte Vorstellung: 10.10.2021
Ein Plädoyer für die „Corona-Produktionen“
Mieczyslaw Weinberg ist sicherlich ein Komponist, von dem wenige bisher gehört haben. Wenn doch, dann wahrscheinlich vor allem auf Grund seiner Oper „Die Passagierin“. Dabei schuf Weinberg unter anderem sechs Opern, 26 Sinfonien und 17 Streichquartette. Hierbei lohnt sich ein Blick in seine interessante Biografie, zeigt sie doch vor allem in jungen Jahren ein Leben auf der Flucht. 1939 flüchtete Weinberg aus Polen vor der deutschen Invasion nach Minsk, von dort später nach Taschkent, wo er sein Geld vor allem durch usbekische Volksmusik verdiente. Im Jahr 1943 erhielt er eine förmliche Einladung von Dmitri Schostakowitsch, woraufhin er 1943 nach Moskau übersiedelte. Schostakowitsch war es auch, der sich Anfang 1953 vehement für seinen Freund einsetzte, als dieser wegen „bürgerlich jüdischem Nationalismus“ durch das Stalin-Regime verhaftet wurde. Nach Stalins Tod kam Weinberg frei und eine lange persönliche und künstlerische Rehabilitation begann. „Masel tov!“ vertonte Weinberg bereits in den 70er-Jahren in russischer Sprache, da eine Oper in jiddische Sprache zu der Zeit in der Sowjetunion keine Chance gehabt hätte. Hieraus ergibt sich auch der deutsche Doppeltitel, da es im russischen zum Begriff „Masel tov!“ keine direkte Übersetzung gab und man daher auf den russischen Titel „Wir gratulieren!“ setzte. Dennoch dauerte es bis zur Uraufführung am 13. September 1983 im Moskauer Kammermusiktheater noch eine ganze Zeit. Musikalisch greift Weinberg neben traditionellen jiddischen Lied- und Tanzformen ebenso auf bewährte Walzer-, Polka- und Galoppformen zurück.
Auf der Suche nach passenden „Corona-Produktionen“ mit einer Spielzeit von rund 90 Minuten hat die Oper am Rhein im vergangenen Jahr Weinbergs Oper „Masel tov! Wir gratulieren!“ ausgegraben, die auf einem Theaterstück von Scholem Alejchem basiert. Im vergangenen Herbst war die Oper für wenige Termine in Düsseldorf zu sehen, der geplanten Übernahme-Premiere in Duisburg kam dann der zweiten Lockdown dazwischen. In dieser Spielzeit sollte die Premiere hier nun aber wie geplant am 25. September stattfinden. Doch an dieser Stelle noch ein paar kurze Worte zur Handlung: Auf Grund der bevorstehenden Verlobung der Tochter von Madame, laufen in der Küche die Vorbereitungen auf das Festmahl. Die Köchin Bejlja hat alle Hände voll zu tun, den Ansprüchen der wenig charmanten Hausherrin gerecht zu werden. Auch das Dienstmädchen Fradl ist in die Vorbereitungen integriert, während der fahrende Buchhändler Reb Alter, nur zu einem Schwätzchen und zu einer warmen Mahlzeit vorbeischaut. Auch Chaim, der Diener aus dem Nachbaranwesen schaut vorbei, in der Hoffnung seine Angebetete Fradl zu treffen. Trotz der Arbeit lassen sich die vier den Spaß nicht nehmen und nach einigen Gläsern Alkohol hält Chaim um die Hand von Fradl an. Auch Reb Alter und Bejlja werden vom eigenen Glück überrumpelt. Alle vier beschließen im Rausche des eigenen Glückes, sich an der garstigen Madame zu rächen.
Die komische Oper bezieht ihren eigenen Charme vor allem durch die Ausgestaltung der vier Rollen voller Menschlichkeit. Die Inszenierung von Philipp Westerbarkei überzeugt hierbei durch eine gelungenen Personenführung, ohne das Werk hierbei überinterpretieren zu wollen. Bühne und Kostüme stammen von Heike Scheele, die eine schöne Küchenkulisse geschaffen hat. Auch die zeitlich angepassten Kostüme wissen zu gefallen. Unter der musikalischen Leitung von Ralf Lange spielen die Duisburger Philharmoniker auch in kleiner Besetzung gewohnt klangstark, ohne die fünf Darsteller hiermit zu übertönen. In der Rolle der Köchen Bejlja überzeugt Kimberley Boettger-Soller mit einer besonders warmherzigen Art. Norbert Ernst spielt den Buchhändler Reb Alter mit ebenso viel Charme wie gesanglicher Präzision. Lavina Dames gibt dem jungen Dienstmädchen Fradl einen sehr lyrischen Ton, während Roman Hoza als Chaim von den vier Hauptdarstellern wohl den kleinsten Part zu übernehmen hat. Nur die Rolle der Hausherrin Madame ist noch kleiner ausgefallen, tritt diese doch erst ganz zum Ende der Inszenierung persönlich in Erscheinung. Zuvor hört man sie nur immer wieder mal ihr Befehle in die Küche rufen. Sylvia Hamvasi rundet hier die passende Besetzung aller Rollen ab.
Zu sehen ist „Masel tov! Wir gratulieren!“ noch an drei Abenden im November im Theater Duisburg. Allen Opernfreunden seien die kleineren Corona-Produktionen durchaus ans Herz gelegt. So sind in den vergangenen Monaten einige spannende Werke entstanden, die es in dieser Form wahrscheinlich nie auf die große Opernbühne geschafft hätten, in direkter Konkurrenz zum etablierten Repertoire der deutschen Opernhäuser.
Markus Lamers, 17.10.2021
Fotos: © Sandra Then