Sterne-Abend der Operette in Duisburg
Große Operette in zeitgemäßer Regie
Premiere am 13.10.2012 Deutsche Oper am Rhein / Duisburg
"Tanzen möcht ich, jauchzen möcht ich…
Wussten Sie, verehrte Operngänger, daß es in der Weltstadt Wien, die man wie keine andere mit dem Begriff "Operette" verbindet, in der Saison 1910/11 fast 50 Operettenpremieren gab? Heute können Sie diese wunderbare durchaus zeitgenössische Form des Musiktheaters dort mit der Lupe suchen. Aber nicht nur in Wien, auch bei uns am Niederrhein – eigentlich auf der ganzen Welt. Wie tragisch! Wie traurig…
Was ist eigentlich der Grund dieses Verfalls, dieser Ignoranz, bei einer Form des Musiktheaters, die doch eigentlich alle, von jung bis alt, ansprechen sollte. In einer Stunde Kálmán oder Lehar z.B. befinden sich mehr Ohrwürmer als in drei Verdi Opern zusammengenommen. Früher wurden die Operetten-Theater (spezielle Häuser nur für diese Stücke) abgeschirmt und bis zum jeweiligen Premierenabend geschützt, wie das legendäre Fort Knox. Kein Ton, keine musikalische Sequenz durfte vorher bekannt werden, denn nach der Premiere summte die halbe Stadt all die schönen Nummern, und vom kleinen Schlagerfuzzi über den Bar-Pianisten bis zum großen Opernstar wurde alles sofort nachgesungen und popmäßig vermarktet.
Das langsame Sterben der Operette begann eigentlich mit der größeren Verbreitung des Fernsehens. Unter Beteiligung der damals zeitgrößten Operettenkünstler wie – Pars pro Toto – Rudolf Schock, Anneliese Rothenberger oder später Rene Kollo, wurde die Operette via TV versülzt, verkitscht, verniedlicht und später relativ niveau- und qualitätslos verramscht. Das gleiche Bild bot sich dann bei den wenigen Opernhäuser, die sich noch an das Metier trauten, mit ähnlich trüben und kunstgewerblerischen Präsentationen. Die große Musikform Operette, die eigentlich (wenn man sie ernst nimmt) viel schwieriger und anspruchsvoller zu singen ist als große Oper, wurde hemmungslos trivialisiert und qualitativ minderwertig auf dem Jahrmarkt der Billigkeiten geopfert. Der Altersschnitt der Besucher pendelte sich auf nett gerechnet 70 Jahre ein. Operette gerierte nicht selten zur Musik vom Altenteil fürs Altenteil; exemplarisch immer noch im Parade-Operettenland von Mörbisch, wo nicht selten die 64-jährige Soubrette ihren zehn Jahre älteren Jugendfreund anhimmelte. Musikalischer Komödiantenstadel am Neusiedler See – doch nicht nur dort…
www.seefestspiele-moerbisch.at/
Heute im Jahr 2012 gehen immer noch hundertmal mehr Menschen zu André Rieus "Operettenparade" als in die gediegene Stadttheater-Produktion um die Ecke. Das ist ein großer Fehler, denn es gibt sie noch oder wieder: die ganz große Operette in zeitgemäßer Regie, hoher musikalischer Qualität und anspruchsvoller Präsentation. Die Rede ist von der "Csardasfürstin", die gestern an der Rheinoper im Duisburger Haus Premiere feierte.
Und gibt es eine schönere Operette als diese "Csardasfürstin" mit ihrer zauberhaften ewiglichen Musik, ihren sich stetig beschleunigenden Walzerquartetten, fulminanten Dreivierteltakt-Ekstasen; jedes Lied ein alter Schlager, jedes Zwischenspiel eine Wolke musikalischen Sternenstaubs: Liebe im Dreivierteltakt und das ganze im Spannungsfeld zwischen den Klippen gesellschaftlich feudaler Konvenienz und ehrlicher Emotion. Herz siegt am Ende über Kalkül – oder doch nicht… Lassen Sie sich überraschen!
"Das ist die Liebe, die dumme Liebe…"
Doch was sich dem oberflächlich brav bürgerlichen Weltbild auf den ersten Blick anscheinend so simpel anbiedert, ist bei näherem Hinsehen durchaus zwiespältig. Peter Konwitschny hat dieses Zwischen-den-Welten-Tanzen einmal in Dresden skandalös provozierender inszeniert, mit kopflos walzertanzenden Soldaten und blutigen Kriegsopfern. (UA 17.9.1915!) Viele fanden das unschön… in einer Operette!
dpa
Auf ähnliche Provokationen hatte jener im Opernmilieu als "Geheimtipp" gehandelte Regisseur Joan Anton Rechi auch angesichts des mit 75 Jahren (meine persönliche Schätzung!) nicht unangemessen angesetzten Altersdurchschnitts des gestrigen Duisburger Premierenpublikums wohlwollend verzichtet. Das Volk wollte Schönes sehen und bekam es auch, doch nicht im Gewand kitschiger Historie und Kostümorgien, sondern durchaus zeitgemäß zeitlos – und sehr beeindruckend.
Sebastian Ellrich (Kostüme) zauberte nicht nur der fabelhaften Nataliya Kovalowa in der Hauptrolle ein Nichts von Glamour, Seide und Glitter auf die fast nackte Haut, sondern bedachte auch die restlichen Damen und Herren mit kreativer Mode in mehr oder weniger opulente Schönheit mit Stil und Originalität. Alfons Flores (Bühne) zeigte endlich einmal, was ein guter Bühnenbildner auf jenem "Zauberkasten" von Theaterbühne zu imaginieren imstande ist, wenn man ihn läßt und ein gutes praktikables Regiefundament als Basis anbietet. Grandiose, fast überwältigende Bühnentechnik, die mit einer bis aufs Feinste ausziselierten Lichtregie (Volker Weinhart) einher ging. Vergessen wir nicht die fabelhafte Choreographie von Amelie Jalowy, welche die wunderbaren Tänzer perfekt ins Handlungskonzept und die Auftritte der Chöre einband.
So muss, so sollte heutige Operette inszeniert werden! Die Bildwirkung war, trotz fehlender Museal-Kostümierung und historisierenden Pappmaschee-Kulissen, gewaltig. Eine außergewöhnlich hochqualitative Regiearbeit – Maßstab und Verpflichtung für weitere Arbeiten an der Rheinoper in diesem Genre, welches ja durch die dilettantischen Stümpereien eines Harald Schmidt (Lustige Witwe) arg ramponiert und rufgeschädigt worden war. Bitte mehr solche guten Operettenproduktionen!
Der Träger des Abends allerdings – das Regieteam möge mir verzeihen: Prima la Musica – war ein fulminantes Orchester namens Duisburger Philharmoniker, welches unter einem wirklich begnadeten Dirigenten namens Wolfram Koloseus einfach Kolossales leistete. Hier wurde Emmerich Kalman wirklich auf goldenen Händen, besser Flügeln getragen.
Auch der Kritiker träumt stets vom großen Wiener Orchesterklang (leider außerhalb Wiens meist vergeblich!) – doch hier und gestern wurde er Realität. Ein Traum wurde wahr: Goldenes Blech, feinfühlig sensible Holzbläser, samtene Streicher und eine Akkuratesse, sprich Exaktheit, vor allem in diesen schwierigen niemals gerade endenden Rhythmen. Wow!
Alleine für diese traumhaften Klarinetten hat Benny Goodman sicherlich von Wolke sieben applaudiert. Was für eine imponierende Orchester-Qualität ist hier im Laufe der letzten Jahre entstanden – da müssen sich die DüSys (Düsseldorfer Symphoniker) vom großen Noch-Schwesterhaus aber merklich ins Zeug legen um demnächst bei der Düsseldorfer Premiere auch nur einigermaßen mithalten zu können. Was mich zur Frage bringt, warum verehrter General-Intendant, lieber Disponent, schickt man nicht dieses so fabelhaft jetzt eingeprobte und eingespielte Orchester für die Übernahme-Premiere dieser Csardasfürstin in die Landeshauptstadt. Besser und traumhafter kann man das Stück kaum spielen.
Wien ist nicht weit…
Gesanglich war der Abend auch in Ordnung; man bot überdurchschnittliche Qualität. Zwar kann man diese höllenschwere Partie vielleicht mit weniger Vibrato im Fortissimo und auch textverständlicher singen, aber Nataliya Kovalova bestach durch wunderbare Legati und doch sehr stimmungsvolle Interpretation neben Corby Welch – für mich die Sensation des Abends, der sich im Laufe der Jahre zu einem vielseitigen und wunderschönen Tenor entwickelt hat, welcher durchaus in naher Zukunft in den Schuhen eines René Kollo oder Rudolf Schock zuhause sein könnte.
Mit Peter Nikolaus Kante (Fürst), Cornelia Berger (seine Frau), Alma Sadé (Stasi) Florian Simson (Boni), und dem Feri von Bruno Balmelli bot auch der Rest des Ensembles eine eindrucksvolle Sangesleistung. Dazu eine passable Chorleistung dank Christoph Kurig.
Ein Operettenstern ging gestern über Duisburg auf. Bravo! Bravi! Bitte lasst ihn nicht zur Sternschnuppe verkommen.
Peter Bilsing / 14.12.
Copyright aller Produktionsbilder liegt bei der Rheinoper
Nachtrag:
zur anstehende Kündigung der Theaterehe durch die Stadt Duisburg
NOTA BENE ! – Verehrte Duisburger Volkvertreter incl. Kulturdezernent
Dieses Spitzenorchester soll demnächst auf dem Salvator Kirchplatz, dem Altstadt-Park oder passender im Garten-der-Erinnerung KURKONZERTE spielen? Wollt ihr das wirklich? Wollen das die kulturinteressierten Bürger Ihrer Stadt? Das wäre ein Schande! PB