Innsbruck: „Il trittico“

Premiere am 30. November 2019

Das „Trittico“ als drei Sätze einer Symphonie

Endlich einmal wagte sich mit dem Tiroler Landestheater – TLT wieder ein bekanntes Haus mit einer auch und gerade auf die vormalige Intendantin Brigitte Fassbaender zurückgehenden Tradition ebenso seltener wie anspruchsvoller und dabei äußerst erfolgreich aufgeführter Opern, an das schwierige „Trittico“, oder Triptychon, von Giacomo Puccini. Es sind drei Opern an einem Abend, der viel kürzer ist als nur ein Werk von Richard Wagner.

Intendant Johannes Reitmeier bewies nicht nur eine glückliche Hand mit der Auswahl des Leading Teams um Regisseur und Kostümbildner Carlos Wagner und seine Dramaturgin Susanne Bieler. Wagners phantasievoller Bühnenbildner Christophe Ouvrard konnte ein im „Trittico“ meist nicht zu umgehendes Einheitsbühnenbild geschickt auf jedes der drei Werke abstimmen, sodass man sich stets in einem neuen Ambiente wähnte. Dabei spielten auch das Licht von Florian Weisleitner und die Video-Projektionen von SlideMedia Barcelona eine wichtige Rolle. Für Wagner sind die drei Opern wie die Sätze einer Symphonie. Der erste ist ein leidenschaftliches, stürmisches Allegro, der zweite ein bleiches, schwermütiges Andante und der dritte ein Feuerwerk von Finale. Und genauso hat er sie bei allgemein guter Personenregie und viel Humoreske in „Gianni Schicchi“ auch in Szene gesetzt. Dazu suchte er einen roten Faden, der durch alle drei Stücke ginge. Er fand diesen im Element Wasser und in der Figur des Kindes. In „Il tabarro“ ist es die Seine, auf der der alte Lastkahn von Michele dümpelt; in „Suor Angelica“ der Brunnen im Klosterhof; und in „Gianni Schicchi“ der Arno, der durch das offenbar heiß geliebte Florenz fließt, dessen Einwohner nach damaligen Erkenntnissen wohl die migrationsresistenteste Stadtbevölkerung Europas gewesen sein dürfte. Über die heute ja vieldiskutierten Gründe eines möglichen Verharrens potentieller Migranten vor Ort wäre mal zu forschen. Eines könnte im Falle der hier angesprochenen Florentiner ja sein, dass dort 1597 die Kunstform Oper als Dramma per musica begann, auch wenn das zeitlich nicht ganz hinhaut. Vielleicht haben sie ja schon geahnt, was ihnen und ihren Nachkommen da entgangenen wäre…

Am schlüssigsten ist das Regie-Thema des Kindes in „Suor Angelica“. Da lässt Carlos Wagner Angelicas kleinen Sohn in ihrer Phantasie auftauchen. Sie gießen – eben mit Wasser – gemeinsam das Beet im Klosterhof und sehen die Pflanzen wachsen, wie die Hoffnung auf eine doch noch gemeinsame Zukunft. Allerdings vergiftet sich Angelica dann an ihnen und stirbt – die Realität holt sie wieder ein. In „Gianni Schicchi“ spielt der Arno eigentlich nur in Laurettas Arie eine Rolle, aber eine wichtige, denn dann legt Schicchi gezwungenermaßen los. Großartig, wie der Regisseur die grenzen- und skrupellose Gier der Verwandten Buosos zeigt, aber auch das Knechten der Schwestern durch das Reglement einer völlig entmenschlichten Ordensführung. Der trostlos grauweiß getünchte Klosterhof gleicht eher dem Gefangenenlager von Guantánamo als dem Innenhof eines Nonnenkonvents, sogar mit kleinen vergitterten Verließen, in die jede gesperrt wird, die eines vermeintlichen „Vergehens“ überführt wurde. Erschütternd ist zu beobachten, wie sklavenartig die autoritären Aufseherinnen über die jungen Schwestern herrschen, immer mit dem Anspruch, im Namen der Gottesmutter Maria zu handeln. Bei jeder noch so kleinen „Untat“, wie dem Unterlassen des Betens, jagen sie den Novizinnen heftige Schuldkomplexe ein. Wenn die kleine Schwester Genovieffa naiv darlegt, dass sie Schäferin war und alles darum geben würde, wieder mal ein Schaf streicheln zu können und ihm über das kalte Maul zu fahren – einfach rührend – , geht sie schon in vorauseilendem Gehorsam zu Boden, um die Stockschläge für solchen „Ungehorsam“ entgegenzunehmen…

In „Gianni Schicchi“ steht die gute Choreografie der vielen Personen auf der Bühne im Vordergrund, gepaart mit einer Reihe von humorvollen und sarkastischen Ideen. So entwickelt sich das Testament Buosos im wahrsten Sinne des Worte zu einer endlosen Papierschlange, ohne dass für die Erwartungsvollen etwas darin stünde. Schicchi weiß dann sehr wohl etwas damit anzufangen. Allerdings wirkt seine Verstellung als Buosos im Bett spätestens dann nicht mehr glaubwürdig, als er sich energisch neben den Notar setzt und ihm unmissverständlich klar macht, wohin die Reise mit dem Testament geht. Das war dann doch etwas überinszeniert. Mit der Leiche Buosos wird hingegen übel umgesprungen. Der Statist Andrea de Majo muss ich einiges an Herumgezerre und unsanfter Behandlung gefallen lassen. Im Hintergrund wird durch ein Rouleau passend zur Handlung des Öfteren die Silhouette von Florenz in der Abenddämmerung sichtbar. Die Kostüme im „Schicchi“ waren von ganz besonderer – auch farblicher – Fantasie und Originalität. Sie setzten sich somit optisch stark von den beiden vorhergehenden Stücken ab, die Sonderstellung von „Gianni Schicchi“ betonend.

Johannes Reitmeier und seine Operndirektorin Angelika Wolff hatten jedoch ein noch glücklicheres Händchen bei der Auswahl der Sänger. Mit der Usbekin Barno Ismatullaeva, die 2014 die Competizione dell’Opera in Tashkent gewann, erlebten wir eine Angelica von Weltklasse, so empathisch gestaltete sie die Rolle der verzweifelten Mutter. Die schon wundervoll gesungene Arie „Senza Mamma…“ sah noch eine Steigerung in den dann folgenden vokalen Herausforderungen, bei denen die Stimme neben herrlichen Spitzentönen auch eine profunde Tiefe offenbarte, und das alles mit völlig authentischer Mimik. Ismatullaeva erwies sich als Glücksfall für diese Rolle – and there is certainly more to come. Daniel Luis de Vicente gab darstellerisch und mit leuchtenden baritonalen Farben den Michele und den Schicchi. Er bewies mit seiner Wandlungsfähigkeit vom grimmigen, mit dem Leben im Unreinen stehenden Michele und dem späteren Schicchi, den er mit unglaublicher Komik und faszinierendem Mienenspiel regelrecht inszenierte, enormes darstellerisches Talent. Dazu kommt ein kräftiger, bestens geführter Bariton, der bisweilen schon ins Heldische weist. Anna-Mario Kalesidis war als schönstimmige Giorgetta ihm auch darstellerisch auf Augenhöhe. Sie kümmerte sich rührend um die gepeinigten Seeleute und schüttete ihre ganze Lebensqual ihrem Liebhaber Luigi aus. Dieser wurde mit einem kräftigen Tenor von Alejandro Roy durchlitten. Susanna von der Burg gab eine lebhafte Charakterstudie der Frugola, also des Frettchens, während sie als Äbtissin in „Suor Angelica“ genau das Gegenteil verkörperte und vor Boshaftigkeit keine Miene verzog. Johannes Maria Wimmer als ihr Ehemann Talpa (und später Betto) sowie Dale Albright als Tinca machten ihre Sache ebenfalls bestens. Das harte Leben der Besatzung auf dem alten Kahn wurde beklemmend spürbar.

In „Suor Angelica“ beeindruckte neben Barno Ismatullaeva besonders die als eiserne Lady auftretende Anna Maria Dur mit dunklem Mezzo, gnadenlos mit Eiseskälte im Durchsetzen der Enterbung Angelicas, die vor lauter Verzweiflung über den Tod ihres Sohnes gar nicht mehr wusste, was sie tat. Tatiana Rasa sang zwar mit relativ kleiner, aber umso schönerer Stimme die Schwester Genovieffa (mit ihrem Schaf). Rasa war später eine sehr gute Lauretta im „Schicchi“, bei deren vokalem Flehen der Sinneswandel ihres Vaters verständlich wurde. Nico Darmanin sang und spielte einen prägnanten und nachvollziehbar verliebten Rinuccio. Joachim Seipp mit bassbaritonalem Wagner-Timbre gab einen respektgebietenden Simone, der gleichwohl von der hier über sich hinauswachsenden Anna Maria Dur als Zita zu Boden gestoßen wurde, als er annahm, aufgrund seines Alters und des ehemaligen Bürgermeisterpostens in einem toskanischen Provinznest die drei bedeutendsten teile des Erbes Buosos in Empfang nehmen zu können – „peggio per te“… Eine beeindruckende Rollenstudie legte Unnsteinn Árnasson als Notar hin, ebenso wie Stanislav Stambolov als Arzt Spinelloccio, dem sich die ganze Verwandtschaft auf der Treppe hinunter zum falschen Buoso im Bett immer wieder entgegen warf, sobald er Anstalten machte, zu seinem Patienten hinunterzugehen – ein lustiger Regieeinfall! Alec Avedissian spielte Simones Sohn Marco und Camilla Lehmeier dessen extrovertierte Frau. Auch die kleinen Nebenrollen in „Suor Angelica“ und „Gianni Schicchi“ waren ansprechend besetzt, sodass es vom Personal her in allen Stücken große Homogenität gab. Immerhin hat das „Trittico“ so viele Solisten wie der gesamte „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner! Das war mir bis dato auch noch nicht bewusst.

Für Lukas Beikircher, den neuen Chefdirigenten des TLT, enthält das „Trittico“ mit die schönste Musik, die Puccini komponiert hat. Mit entsprechender Verve leitete er das in bester Verfassung spielende Orchester des TLT und konnte seiner Überzeugung auch klanglich Nachdruck verleihen. Dabei war ihm die Führung der Sänger stets ein großes Anliegen. Das ist ja gerade bei den Verwandtschaftsszenen im „Schicchi“ ein nicht immer leichtes Unterfangen. Der Chor des TLT, von Michel Roberge einstudiert, hatte starke Momente insbesondere in „Suor Angelica“. Auf dieses „Trittico“ kann das TLT Innsbruck stolz sein!

Fotos: Rupert Larl

Klaus Billand/10.12.2019

www.klaus-billand.com