Karlsruhe: „Tannhäuser“, Richard Wagner

© Felix Grünschloß

Zu einem bemerkenswerten Opernabend geriet die Neuproduktion von Wagners Tannhäuser am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Nach ihrer genialen Inszenierung des Werkes von 2007 an der Frankfurter Oper war dies bereits die zweite Auseinandersetzung von Vera Nemirova mit Wagners romantischer Oper. Mit dem Engagement dieser genialen Regisseurin hat die Oper Karlsruhe einen wahren Glückstreffer gelandet. Frau Nemirova hat das Stück trefflich durchdacht und mit einer phantastischen, stringenten Personenregie auf die Karlsruher Bühne gebracht. Zwar nahm sie manchmal Anleihen an ihre alte Frankfurter Regiearbeit, aber insgesamt hat sie mit einem sehr überzeugenden neuen Konzept aufgewartet, zu dem auch Paul Zoller (Bühnenbild) und Marie Thérèse Jossen-Delnon (Kostüme) einen gehörigen Anteil hatten.

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Großen Krisen wie die Corona-Pandemie, Kriege in Europa, Wirtschaftskrisen und Einbrüche haben Vera Nemirovas Sicht auf den Tannhäuser seit 2007 grundlegend verändert, wie sie im Programmheft auf S. 27 gesteht. Das Regieteam hat Wagners romantische Oper in einer dystopischen Landschaft angesiedelt. Irgendeine nicht näher bezeichnete Katastrophe ist über die Menschen hereingebrochen. Das Land liegt in Trümmern. Die prachtvolle Kastendecke eines Konzertsaales ist eingestürzt. In der Decke prangt ein riesiges Loch und auf der Erde liegen überall ausgediente Musikinstrumente herum. In diesem Ambiente heißt es für die Menschen, ihr Leben nach der Katastrophe neu zu ordnen. Das ist indes nicht so einfach. Mit der Vernichtung des Konzertsaales will Frau Nemirova offenlegen, dass auch die Kunst ihren Niedergang erlebte. Kultur hat ausgedient. Sie gibt dem Menschen nichts mehr. Dies versteht die Regisseurin als Warnsignal für die Menschen (vgl. Programmheft S. 27). Ohne Kunst und Kultur vermögen die jungen Leute kein Geschichtsbewusstsein zu entwickeln (Programmheft S. 27), und das ist ja so notwendig für unsere Gesellschaft.

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Bereits der erste Aufzug atmet bei Frau Nemirova große Intensität. Zu Beginn betreten die jungen Pilger beiderlei Geschlechts die Bühne und beginnen unter einem mitgebrachten riesigen Kreuz zu beten. Die religiöse Komponente hält jedoch nicht allzu lang an. Zu den Klängen des Venusberg-Motivs verlieren sich die nach einer Grenzerfahrung suchenden jungen Leute in einem ausgemachten Rausch, der mit dem Glauben nicht mehr allzu viel zu tun hat. Das Reich der Venus bricht überhandnehmend über sie herein und lässt sie nicht mehr aus ihren Fängen. Die Liebesgöttin verteilt geistige Getränke, die wohl Rauschmittel enthalten, an die Pilger und versucht sie auf diese Weise an sich zu binden. Dabei ist es offenkundig, dass die Pilger aus der Wartburgwelt stammen, der wahren katholischen Religiosität huldigen und auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind. Der Halt, den sie im Gebet finden, ist angesichts der Verlockungen  des Venusbergs bald verschwunden und sie geraten in Streit. Im Venusberg suchen sie etwas für ihr Leben, das sie im Gebet nicht gefunden haben. Für Vera Nemirova ist es dieVereinigung von Spiritualität und Religion mit Sinnlichkeit und Eros (vgl. Programmheft S. 28), die hier thematisiert wird. Bei Tannhäuser hat Venus mit ihren Verlockungen keinen Erfolg. Trotz ihrer zur Schau gestellten Busenfreundlichkeit vermag sie es nicht, ihn zurückzuhalten. Ihn treibt es hinweg von ihr zu seinen alten Gefährten. Die Aufspaltung der Gesellschaft kann er nicht mehr ertragen und begibt sich in Opposition zu ihr. Zunehmend versucht er, die diametral entgegengesetzten Welten von Wartburg und Venusberg, von Spiritualität und Sinnlichkeit miteinander zu vereinigen. In diesem Kampf unterliegt er aber. Mit dem Hüpfspiel auf einem am Boden aufgemalten Kreuz, zu dem ihn der junge Hirt ermuntert, kann er nicht wirklich etwas anfangen. Die Rückkehr in die Wartburg kann ihn ebenfalls nicht befriedigen, die Sänger bringen ihm nichts. Letztere tragen zum Wettstreit helle Jacketts. Den Einzug der Gäste benutzt Frau Nemirova für eine ausgemachte Bierwerbung, was ein wenig zum Schmunzeln Anlass gab.

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Elisabeth und Venus werden von der Regisseurin als starke Frauen gezeichnet. Die Liebesgöttin hat auch menschliche Züge und Elisabeth ist nicht nur eine Heilige, sondern den weltlichen Genüssen durchaus nicht abgeneigt. Hier lebt sie nicht bereits halb im Jenseits, sondern voll und ganz im Diesseits. Die Regie misst ihr die Funktion einer Dirigentin zu, die beim Sängerkrieg die Lieder der Sänger von der Seite aus dirigiert. Das macht sie gut. Nachdem Tannhäuser sich als Jünger der Venus geoutet hat, legen ihr die Sänger ein riesiges Tischtuch um, in dem sie wie eine riesige Madonna wirkt und in dem sich Tannhäuser vor seinen Feinden verbirgt – ein großartiges Bild. In gleicher Weise mutet es sehr eindringlich an, wenn Elisabeth zu Beginn des dritten Aufzuges unter den heimkehrenden Pilgern Tannhäuser sucht – indes vergebens. So beschließt sie, aus der Welt zu scheiden, und bittet Wolfram, den sie auch einmal heftig umarmt, ihr Sterbehilfe zu gewähren. Er entspricht ihrem Wunsch und erwürgt sie am Ende seines Liedes an den Abendstern. Hier zitiert Vera Nemirova sich selbst. Das hat man in ihrer alten Frankfurter Inszenierung auch so gesehen. Ein guter Regieeinfall war es, das Venus am Ende Wolfram erfolgreich verführt. Zum Schluss des Ganzen lässt die Regisseurin Elisabeth in eindringlicher Weise wieder vom Tode auferstehen und den abschließenden Chor der jungen Pilger dirigieren. Wie bereits oben gesagt, hat Frau Nemirova ausgezeichnete Arbeit geleistet. Einige ihrer Regieeinfälle gingen stark unter die Haut.

Am Pult waltete GMD Georg Fritzsch gekonnt seines Amtes. Mit sicherer Hand wies er der famos aufspielenden Badischen Staatskapelle den Weg durch Wagners vielschichtige Partitur. Der von ihm und den Musikern erzeugte Klangteppich war geradlinig, warm und weich. Auch der emotionale Faktor kam nicht zu kurz. Insgesamt wirkte seine Auffassung von der Musik recht interessant und abwechslungsreich. Gespielt wurde eine Mischfassung aus Dresdener und Pariser Fassung.

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Zum größten Teil zufrieden sein konnte man mit den sängerischen Leistungen. Leider konnte gerade Michael Weinius‘ wenig klangvoller, maskiger Tenor in der Titelrolle des Tannhäuser nicht sonderlich überzeugen. Da war ihm die mit enormer Strahlkraft ihres gut sitzenden, höhensicheren jugendlich- dramatischen Soprans aufwartende Elisabeth von Pauliina Linnosaari haushoch überlegen. Sowohl darstellerisch als auch gesanglich phantastisch gab Dorothea Spilger die Venus. Mit ihrem klangvollen, herrlich fundierten und tiefsinnigen Mezzosopran zog sie alle Facetten der Liebesgöttin, der sie auch schauspielerisch voll entsprach. Wunderbares italienisch fokussiertes, sonores und ebenmäßig dahinfliessendes Bariton-Material brachte Ks. Armin Kolarczyk für den Wolfram von Eschenbach mit. Den Landgrafen Hermann von Thüringen stattete Ks. Konstantin Gorny mit einem kräftigen, voll und rund klingenden Bass aus. Nutthaporn Thammathi war ein profund klingender Walther von der Vogelweide. Den jungen, markant und ausgesprochen klangvoll intonierenden Liangliang Zhao möchte man gerne mal in einer größeren Partie als der des Biterolf hören. Ks. Klaus Schneider und Manuel Winckhler blieben als Heinrich der Schreiber und Reinmar von Zweter vokal unauffällig. Tadellos klang Monika Hügels junger Hirte. Eine prächtige Leistung erbrachte der von  Ulrich Wagner einstudierte Badische Staatsopernchor.

Fazit: Eine Aufführung, die den Besuch gelohnt hat.

Ludwig Steinbach, 15. April 2024


Tannhäuser
Richard Wagner

Badisches Staatstheater Karlsruhe

Premiere: 31. März 2024
Besuchte Aufführung: 13. April 2024

Inszenierung: Vera Nemirova
Musikalische Leitung: Georg Fritzsch
Badische Staatskapelle