Die Tradition der Münchner Opernfestspiele reicht bis in das Jahr 1875 zurück, als zum ersten Mal ein „Festlicher Sommer“ veranstaltet wurde. In diesem Jahr feiern die Münchner Opernfestspiele ihr 150-jähriges Jubiläum. Zwei Opernpremieren – Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart und Pénélope von Gabriel Fauré – präsentieren einen neu gedeuteten Klassiker des Repertoires sowie eine zuvor noch nie an der Bayerischen Staatsoper erklungene französische Oper.
Don Giovanni – vollständig Der bestrafte Wüstling oder Don Giovanni, uraufgeführt 1787 in Prag und von E.T.A. Hoffmann als „die Oper aller Opern“ bezeichnet – ist ein dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart nach einem Libretto von Lorenzo Da Ponte.Zur Eröffnung der Opernfestspiele debütiert David Hermann – Preisträger beim Ring Award in Graz im Jahr 2000 – mit seiner mythologisch inspirierten Interpretation an der Bayerischen Staatsoper.
Don Giovanni als Metamorphose Proserpinas


Die Inszenierungsinspiration kommt direkt aus dem Libretto. In der Schlussszene, als Don Giovanni von Dämonen in die Hölle gezogen wird, singen alle: „Der Schurke soll in der Hölle bei Pluto und Proserpina bleiben.“ Da die Handlung von Don Giovanni ohnehin bereits Täuschungsmomente wie einen Maskenball und die Verkleidungsszene zwischen Don Giovanni und Leporello enthält, lässt Regisseur David Hermann Proserpina in den Körper Don Giovannis schlüpfen und integriert Pluto und Proserpina als eigenständige Figuren in die Inszenierung. Proserpina steigt auf die Erde herab und verwandelt sich in den schamlosen, vergnügungssüchtigen Don Giovanni. Außerdem ist dies das erste Mal, dass in einer Oper von Mozart eine Figur auf offener Bühne stirbt. Der Regisseur betont durch die Darstellung der Unterwelt, wie unmittelbar Mozart sich in diesem Werk mit dem Tod konfrontiert. Dies stellt eines der Highlights dieser Produktion dar.
Vor diesem Hintergrund ist es leicht nachzuvollziehen, warum die Oper sowohl mit einer Szene in der Unterwelt beginnt als auch dort endet. Außerdem erscheinen Don Giovanni und die von Tänzerin/Tänzer dargestellte stumme Proserpina (Erica D’Amico) /Pluto (Andrea Scarfi) immer wieder gleichzeitig auf der Bühne, insbesondere dann, wenn er versucht, junge Frauen zu verführen, oder wenn es sich um die Ankündigung des Todes handelt. Proserpina und Plutolenken dämonisch Don Giovannis Handlungen. Bemerkenswert ist, dass Don Giovanni und die Tänzerin bzw. der Tänzer rote Kostüme tragen – gleichsam als Verkörperung des Teufels. Mit diesem Ansatz fügt der Regisseur der Oper eine zusätzliche mythologische Dimension hinzu und verleiht dieser italienischsprachigen Oper, die im spanischen Sevilla spielt, einen Hauch von faustischem Charakter.
Außerdem erfährt Don Giovanni eine Geschlechterverwandlung, als er sich in Proserpina verwandelt. Damit möchte der Regisseur das Publikum zum Nachdenken über das biologische Geschlecht anregen: Ist das biologische Geschlecht ein Konstrukt? Und selbst wenn es konstruiert ist – handelt es sich dabei wirklich nur um eine belanglose Fiktion? Oder ist es nicht vielmehr ein wesentlicher Bestandteil der Ordnung unserer realen Welt?
Reise durch die moderne Betonstadt

Der Bühnenstil (Jo Schramm) dieser Inszenierung ist insgesamt schlicht gehalten. Dem Handlungsverlauf folgend erleben die Protagonisten ihre Abenteuer in einer graue Betonstadt. Die Handlung des Don Giovanni entfaltet sich vor dem Panorama unserer Gegenwart – etwa durch ein nüchternes Schlafzimmerinterieur, ein Standesamt, Karnevalsszenen, urbane Betonarchitektur und einen Gerichtssaal als Schauplätze. Die Szenenwechsel erfolgen durch einen drehbaren Bühnenboden, der sich um 180 Grad kippen lässt, sowie durch rotierbare Gebäudeelemente an den Bühnenseiten. Im Gegensatz zur reduzierten Bühne sind die Kostüme (Sibylle Wallum) farbenfroh und auffallend gestaltet.
Ein exzellentes Orchester und ein hervorragendes Sängerteam
Unter der musikalischen Leitung von Vladimir Jurowski begleitete das Bayerische Staatsorchester die Aufführung mit großer Präzision und Ausdruckskraft. Die eindrucksvolle Besetzung dieser Inszenierung spiegelte sich in dem nicht enden wollenden Applaus wider, der fast jede Arie begleitete. Der 32-jährige Konstantin Krimmel debütiert als Don Giovanni. Aufgrund des genannten Regiekonzepts ändert Don Giovanni sein Geschlecht, was die Anforderungen an den Darsteller deutlich erhöht. Konstantin Krimmel gelingt es jedoch, die Regieabsicht überzeugend umzusetzen und die berühmte Arien wie zum Beispiel Fin ch’han dal vino (Champagner-Arie) oder Deh! Vieni Alla Finestra (Ach, komm ans Fenster) mit einer eindrucksvollen Stimme zu meistern.

Kyle Kstelsen spielt Leporello und singt die Madamina, Il catalogo è questo (Katalog-Arie) beim Standesamt. Diese moderne Szene erleichtert es dem Publikum, eine Verbindung zu der Arie herzustellen. Denn die allgemein erwartete Treue in der Ehe steht in starkem Kontrast zu Don Giovannis Frauenheldenleben. Dadurch gewinnt die Arie an Ausdruckskraft und der Humor der Handlung wird unterstrichen.
Besonders hervorzuheben sind auch die Sopranistinnen und die Mezzosopranistin. In der Arie Non mi dir…(Sag mir nicht…) beeindruckte Vera-Lotte Boecker als Donna Anna mit einer außergewöhnlichen Beherrschung dynamischer Kontraste. Samantha Hankeys (Donna Elvira) Virtuosität in den Koloraturen kam in der Arie Mi tradì quell’alma ingrata (Mich hat jene undankbare Seele verraten) voll zur Geltung. Mit ihrer Stimme verlieh Avery Amereau als Zerlina der Arie Batti, Batti, O Bel Masetto (Schlag nur, schlag mich, lieber Masetto) eine berührende emotionale Tiefe – ihr Gesang war ein wahrer Hörgenuss.
Zusammenfassend entsteht der Eindruck, dass der Regisseur mit dieser Inszenierung viele Gedanken und Ideen vermitteln wollte, was grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Allerdings kann die Fülle an Informationen es dem Publikum stellenweise erschweren, stets den roten Faden zu erkennen. Beim Lesen des Interviews mit dem Regisseur zu dieser Produktion gewann ich zudem den Eindruck, dass manche Intentionen noch nicht ganz klar in der Inszenierung zur Geltung kommen. Die Aufführung bot aber musikalisch wie darstellerisch ein hohes Niveau, das Orchester und die Sänger wurden beim Applaus mit langanhaltendem Beifall gewürdigt.
Getong Feng, 3. Juli 2025
Don Giovanni
Wolfgang Amadeus Mozart
Bayerische Staatsoper
Besuchte Vorstellungen: 30. Juni 2025
Premiere am 27. Juni 2025
Inszenierung: David Hermann
Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski
Bayerisches Staatsorchester
Nächste Aufführungen: 4./6./8. Juli 2025, 22./25./30. Januar 2026