Hans Sachs, die Paraderolle tiefer Männerstimmen aus Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ schlechthin, sollte seine Bayreuther Karriere krönen. Der 55-jährige, im westfälischen Attendorn geborene Bassist Georg Zeppenfeld steht im Zenit seiner internationalen Laufbahn und hat seit 2010 alle Wagner-Partien seines Fachs auf dem Grünen Hügel gesungen. Und und zwar auf einem so konstant hohem Niveau, dass er rasch und anhaltend zum Publikumsliebling aufgestiegen ist. An Zustimmung fehlte es ihm auch in diesem Jahr nicht nach der Premiere der „Meistersinger von Nürnberg“. Und dennoch blieb er hinter seinen Möglichkeiten zurück. Was ihm am wenigstens angelastet werden dürfte.

Auf die Rolle hat er sich gründlich vorbereitet, wobei ihm bei seinem Rollendebüt in Salzburg vor sieben Jahren und später auch in Dresden mit Christian Thielemann ein Dirigent zur Seite stand, der ihn quasi auf Händen trug. Zeppenfelds anfängliche Bedenken, die für einen Bassbariton vorgesehene Partie liege ihm zu hoch, hat er stimmlich glänzend ausräumen können. Daniele Gatti, der bisher in Bayreuth mit einem unspektakulären Dirigat des „Parsifal“ in Erscheinung trat, zeigte sich jedoch den akustischen Problemen der „Meistersinger“ im Festspielhaus noch weniger gewachsen als seine Vorgänger Sebastian Weigle und Philippe Jordan. Was den Sängern die kräftezehrende Arbeit nicht gerade erleichterte.
Wagners kontrapunktisch fein und filigran gearbeitete Partitur orientiert sich eher an barocke Transparenz und nicht an dem auf homogenen Mischklang ausgerichteten Klang des Festspielhauses. Wenn da ein Dirigent das Orchester nicht mit Fingerspitzen führt, ist ein dicker Klangbrei unvermeidlich. Erst recht, wenn man, wie Gatti, zähe Tempi anschlägt, die genau der Vorstellung Wagners widersprechen, der die Interpreten ermahnte, „mit getreuester Natürlichkeit rasch und lebhaft zu dialogisieren“.
Also genau das, was Thielemann und Zeppenfeld in Salzburg erreichten, dem Sänger in Bayreuth nun aber verwehrt blieb. Zeppenfeld hielt sich stimmlich zurück, um den parlandohaften Deklamationston der ausgedehnten Monologe und Dialoge so präzise und wortverständlich wie möglich zu treffen, wurde aber, wie auch seine Kollegen, von Orchesterwogen brutal ausgebremst. Ganze Passagen blieben so unverständlich, teilweise sogar unhörbar. Angesichts des geistreichen Librettos blieb damit auch die komödienhaft leichte Atmosphäre auf der Strecke, so dass sich immer wieder gähnende Langeweile einstellte.
Auch die Intention des Regisseurs Matthias Davids, sich wieder auf das Stück, insbesondere auf dessen lustspielhaften Charakter zu besinnen und die Aspekte der braunen Bayreuther Rezeption nach Wagners Tod, die Barrie Kosky in seiner letzten Inszenierung in den Mittelpunkt stellte, auszuklammern, kann nicht zünden, wenn der Text nicht perfekt artikuliert und phrasiert werden kann.
Zumal Davids Konzeption mehr auf vordergründige Gags und Lacher zielt als auf ausprägte Rollenprofile. Dadurch wirkte auch Zeppenfelds Gestaltung recht unschlüssig. Dass Hans Sachs ein abgeklärt altersweiser Greis sei, diese Vorstellung gehört mittlerweile der Vergangenheit an. Sein Engagement für die Kunst und vor allem auch für Neues in der Kunst kann durchaus rebellisch überspitzt werden, in Bayreuth zuletzt in den Inszenierungen von Katharina Wagner und Barrie Kosky, auch in Jens-Daniel Herzogs Salzburger Produktion. Auch bei Matthias Davids geizt Hans Sachs nicht mit aufbrausenden Ausbrüchen. Davids gibt der Figur durchaus menschliche Züge, auch in der ambivalenten Beziehung zu Eva, scheitert aber mit seiner Intention, politische Aspekte ausklammern zu wollen. Wenn Sachs über den Wahn der Weltpolitik räsoniert, was sich in der aus nichtigem Anlass eskalierenden „Völkerschlacht“ am Ende des zweiten Akts real niederschlägt, fällt dem Regisseur nichts ein. Zeppenfeld muss sich ohne nennenswerte Personenführung als sinnierender Sachs auf seine eigenen Vorstellungen und Erfahrungen verlassen. Leichter fällt es Davids, Sachs als Kauz unter seinesgleichen darzustellen, wenn er ihn im ersten Akt geradezu unauffällig in dem phantasievollen Rittermantel der 1859 gegründeten Spaßgesellschaft „Schlaraffia“ unter die gleich gekleideten Meistersinger mischt. Und auch in der Festwiese ist Sachs inmitten des bunten Treibens optisch nicht immer leicht zu finden. Dass Davids, der Musical-Experte des Linzer Theaters, dafür unter dem Baldachin einer monströs aufgeblasenen Plastikkuh alles aufbietet, was süddeutsche Volksfest-Klischees von Kartoffel- und Weinköniginnen bis zu Schützenfesten und Gartenzwergen hergeben, ist amüsant, aber harmlos und kann die vielen Leerstellen der Inszenierung vor allem in den umfangreichen kaum oder hilflos geführten Dialogen ausgleichen.

Somit wird Zeppenfeld vom Dirigenten musikalisch und zugleich vom Regisseur szenisch ausgebremst. Möglicherweise wird sich manches im Verlauf der sieben vorgesehenen Meistersinger-Aufführungen in den kommenden vier Wochen noch ändern. Fest steht, dass Zeppenfeld als Hans Sachs wesentlich stärker vom Einfühlungsvermögen des Dirigenten abhängig ist als in seiner bisherigen Paraderolle, dem Gurnemanz im „Parsifal“.
Dass Zeppenfeld den Kraftakt von sieben Meistersinger-Aufführungen innerhalb eines Monats mit seiner perfekt geführten Stimme und seiner Bühnenerfahrung überstehen wird, ist keine Frage. Aber geradezu abenteuerlich mutet es an, wenn er in dieser Zeit auch noch fünfmal den Gurnemanz im „Parsifal“ singen wird. Eine fast so umfangreiche, in seiner einheitlicheren gesanglichen Anlage allerdings weniger anstrengende Partie, die zudem seiner sonoren Bassstimme idealer entgegenkommt als die des Sachs.
Zeppenfeld selbst sieht diese Herausforderung mit westfälischer Gelassenheit. Und wie wir ihn kennen, sind auch keine Schwächephasen zu erwarten.
Pedro Obiera, 28. Juli 2025
Die Meistersinger von Nürnberg
Richard Wagner
Premiere am 15. Juli 2025
Regie: Matthias Davids
Dirigat: Daniele Gatti
Orchester der Bayreuther Festspiele