Die Berlin Ballet Company vollzieht mit A Techno Ballet Odyssey einen bemerkenswerten Spagat: Zwischen klassischem Ballett und zeitgenössischer Clubkultur entsteht eine eigenständige Form, die Konventionen nicht nur hinterfragt, sondern konsequent hinter sich lässt. Die Inszenierung zeigt, wie zeitgenössischer Tanz neue Räume erobert – mitreißend, ästhetisch und emotional.
Das Ensemble führt seine konsequente Neuvermessung des klassischen Tanzes fort und beweist, dass diese Produktion weit mehr ist als ein experimentelles Format. Nach der Premiere 2024 im Kraftwerk Berlin entfaltet die Aufführung nun im Tempelhofer Hangar 5, auf dem ehemaligen Flughafengelände der Hauptstadt, eine eigene, ebenso eindringliche wie körperlich erfahrbare Wirkung.
Das Ziel ist klar: Ballett aus traditionellen Häusern herauszulösen und an Orte zu bringen, die erst durch Bewegung und Publikum ihre eigentliche Bestimmung finden. Der Tempelhofer Hangar erweist sich dafür als idealer Resonanzraum.

Das Konzept des Abends folgt einer klaren, zugleich offenen Dramaturgie. Ein erstes DJ-Set von rund zweieinhalb Stunden Dauer bereitet den Raum vor, setzt den Puls der Nacht und schafft eine Atmosphäre zwischen Erwartung und Spannung. Darauf folgt der Kern des Abends: eine etwa 70-minütige, immersive Ballettperformance, die bewusst auf klassische Inszenierungsformen verzichtet.
Im Zentrum der Choreographien von Arshak Ghalumyan und Alexander Abdukarimov steht eine erzählerische Struktur, lose angelehnt an die Odyssee: Eine Hauptfigur (Lucio Vidal) verliert sich in der Nacht und begibt sich auf die Suche nach dem eigenen Selbst. Die Reise entfaltet sich nicht linear, sondern über körperliche Zustände, Begegnungen und Stimmungen. Die Tänzer:innen bewegen sich nicht nur auf einer Bühne, sondern durch das Publikum und über drei verschiedene Bühnen hinweg. Die Grenzen zwischen Aufführung und Zuschauenden verschmelzen und erzeugen ein unmittelbares, fast körperliches Miterleben, bei dem das Publikum die ganze Zeit über, bewegt von der mitreißenden Musik, steht. Bemerkenswert ist die herausragende Qualität der tänzerischen und schauspielerischen Leistungen. Die Rollen wirken nicht gestellt, sondern wahrhaft gelebt. Diese Offenheit schafft großen Interpretationsspielraum und macht den besonderen Reiz der Inszenierung aus.

Musikalisch trägt der Belgrader DJ und Produzent Marko Nastić die Performance live. Der Techno dient nicht als bloßes Soundbett, sondern als dramaturgischer Motor: treibend, hypnotisch und eng verwoben mit der Bewegung. Raum, Klang und Körper verschmelzen zu einer dichten Einheit und verwandeln den Ort in eine pulsierende Schnittstelle zwischen Theater und Club.
Ein zentrales Gestaltungselement sind die Live-Filmaufnahmen, die während der Aufführung entstehen und als Projektionen an den Wänden erscheinen. Die Bilder greifen Rhythmus und Dynamik der Musik auf und erweitern die Choreografie um eine visuelle Ebene. Raum, Klang, Körper und Bild verschränken sich zu einer Gesamterfahrung, die sich permanent verändert.
Im Vergleich zur Premiere im Kraftwerk Berlin zeigt der Tempelhofer Hangar eine andere Wirkung. Während die monumentale Industriearchitektur im Kraftwerk teils eine fast sakrale Atmosphäre erzeugt, entfaltet der Hangar eine unmittelbare, körperlich erfahrbare Präsenz.

Nach dem Ende der Performance geht der Abend nahtlos in eine mehrstündige Clubnacht über. Das Outro mit einem kraftvollen DJ-Line-up trägt die zuvor aufgebaute Energie weiter und verdeutlicht: A Techno Ballet Odyssey ist nicht auf einen einzelnen Aufführungsmoment beschränkt, sondern bietet ein umfassendes, fortsetzbares Erlebnis.
Julia Klann, 16. Dezember 2025
A Techno Ballet Odyssey
Hangar 5 im Flughafen Tempelhof, Berlin
13. Dezember 2025
Berlin Ballet Company