Berlin: „Dornröschen“

21. Vorstellung am 3.7.2016, Premiere am 13.2.2015

Repertoiretauglich!

Woran misst sich der Wert einer Produktion, an der Zustimmung oder Verdammung durch die tatsächlichen oder selbsternannten Kenner oder an der jubelnden Begeisterung eines durchschnittlichen Publikums, zu dem, handelt es sich um Tschaikowskis „Dornröschen“, auch viele Kinder gehören? Die erste Choreographie des neuen Chefs des Berliner Staatsballetts, Nacho Duato, nach dem mehr oder weniger intensiv nahegelegten Abgang des alten, Vladimir Malakhov, war von den Berliner Ballettomanen im Februar 2015 mit einiger Enttäuschung aufgenommen worden, einmal weil es sich lediglich um eine Übernahme aus Petersburg (Premiere Dezember 2011) handelte, außerdem und vor allem aber wegen der sehr konventionellen Inszenierung, die mehr auf kalten Prunk als auf eine sinnvolle Gestaltung der Charaktere Wert zu legen schien.

In der als nachmittägliche Familienvorstellung ausgeschriebenen Aufführung am 3.7. beeindruckten tatsächlich erst einmal und im Prolog vor allem die wunderbaren Kostüme von Angelina Atlagic in schönen Farbabstimmungen und mit viel kostbar erscheinendem Glitzer versehen. Ihnen nicht nach stand das Bühnenbild zumindest des zweiten Akts mit der sich senkenden Dornenhecke, auf der urplötzlich üppige Rosen erblühten. Das alles trug bereits erheblich dazu bei, dass die bösen Vorahnungen angesichts der vielen Vorschulkinder im Publikum, die Vorstellung würde nicht ungestört verlaufen, sich als falsch erwiesen. Der höchst eindrucksvolle Auftritt der mit ihren bösen Höllengeistern die Bühne mit einem schwarz flatternden Tuch überziehenden Carabosse, getanzt von Rishat Yulbarisov, mag dazu auch beigetragen haben.

Für Ballettkenner besonders interessant war der Nachmittag wegen des Auftritts zweier Tänzer aus dem Petersburger Mikhailovsky-Theater in den Partien des Liebespaares. Als Aurora weckte Angelina Vorontsova nicht die Aufmerksamkeit der Ballettfreunde, sondern auch der Boulevardpresse, war es doch ihr damaliger Freund, der als mutmaßlicher Auftraggeber eines Säureattentats auf seinen Ballettchef, der ihn und seine Freundin nicht genügend bei der Rollenvergabe berücksichtigt haben sollte, vor einigen Jahren zu sechs Jahren Lagerhaft verurteilt worden war.

Angelina Vorontsova tanzte eine sehr mädchenhafte, beinahe kindliche Aurora voll nobler Anmut mit weich fließenden Bewegungen. Einen sportiven, kraftvollen Prinzen Desiré gab Leonid Sarafanov mit sympathischer Ausstrahlung. Viel tänzerische Autorität strahlte die Fliederfee von Sarah Mestrovic aus, viel Charme die Katzen Danielle Muir und Ulian Topor und Keckheit und Frische Marina Kanno (auch Blauer Vogel), Alexander Abdukarinow und Alexander Shpak als Diener-Trio. Manchmal etwas zu laut, wenigstens in den vorderen Parkettreihen, tönte es aus dem Orchestergraben unter Robert Reimer.

Fotos Yan Revazov

4.7.2016 Ingrid Wanja