Vorstellung am 11.3.2019
Zu Gast im Haus der Berliner Festspiele
Im Januar des vergangenen Jahres gastierte die von Eric Gauthier gegründete Stuttgarter Dance Company mit Marco Goerckes Choreografie Nijinski erstmals in der Hauptstadt. Der große Erfolg klingt bei den Berliner Tanzfreuden noch heute nach, so war der zweite Auftritt des Ensembles im Haus der Berliner Festspiele ausverkauft und in der Resonanz ähnlich euphorisch wie vor einem Jahr. Mega Israel war der stimmige Titel des dreiteiligen Abends, der Arbeiten bedeutender israelischer Choreografen enthielt.
Das Programm eröffnete Uprising von Hofesh Shechter, uraufgeführt 2006 in London, mit sieben Tänzern, die barfuß in verschieden farbigen T-Shirts und hellen Hosen Emotionen zwischen Annäherung und Abwehr vermitteln. Dies führt bis zur Aggression und brutalen körperlichen Attacken. Konsequent bedient Shechter das Spannungsfeld zwischen ernstem Kräftemessen, harmlosen Scherzen und intimer Zärtlichkeit.
Das choreografische Vokabular umfasst auch Bilder von stark pathologischer Wirkung, wenn die Tänzer in Krämpfen zuckend am Boden liegen, schreien oder Sprünge von bizarren Verrenkungen zeigen. Eine Szene erinnert an Häftlinge, die im Gefängnishof im Kreis marschieren. Shechter war auch für den Sound mit lärmenden, hämmernden Schlägen verantwortlich, in welche sich am Ende überraschend ein kurzer Ausschnitt aus einer Mozart-Sinfonie schiebt. Die Männer bilden zu diesen Klängen ein patriotisches Gruppenbild mit einem Tänzer, der ein rotes Fähnchen schwenkt.
Den zweiten Teil, Killer Pig von Sharon Eyal-Gai Behar, bestritten sechs Tänzerinnen in hautfarbenen Trikots. Das Stück erlebte seine Uraufführung 2009 in Oslo und zeigt die bekannte Handschrift der Choreografinnen mit roboterhaften, ermüdend gleichförmigen Bewegungen, deren synchrone Ausführung gleichwohl imponierte. Manche Figuren erinnern an Jogging, andere an katzenhaft gewandte Gänge auf dem Catwalk. Ungewöhnlich ist die Einbeziehung von klassischem Vokabular, wie Pirouetten und grand jétés, als Zitate aus bekannten Balletten. Immer wieder versuchen einzelne Individuen aus der Gemeinschaft auszubrechen, werden jedoch schnell wieder in das Kollektiv eingeholt.
Nach der Pause gab es mit Minus 16 ein Stück vom Altmeister der israelischen Tanzästhetik, Ohad Naharin, der mit seiner Batsheva Dance Company Geschichte schrieb. Minus 16 umfasst Ausschnitte aus Zachacha von 1998, Anaphaza von 1993 und Mabul von 1992. Es beginnt mit einer solistischen tour de force eines Tänzers, der chaplinesken Slapstick, Breakdance-Effekte und artistische Glanzstücke zu einem Mix von überwältigender Wirkung vereint. Danach sieht man 18 Tänzer in schwarzen Anzügen im Halbkreis auf Stühlen, was an Béjarts Bolero erinnert. Zu orientalisch anmutenden Gesängen entledigen sie sich ihrer Jacken, Hosen und Schuhe – der Kleiderberg in der Mitte des Kreises weckt Assoziationen an den Holocaust. Später gibt es auch lyrische Szenen von anrührender Sanftheit, wie das träumerische Duo auf Pergolesis Stabat Mater. Und das Finale, in welchem wild stampfende Tänzer aus dem Zuschauerraum Besucher auf die Bühne holen und mit ihnen einen ausgelassenen Tanzwirbel von überschäumendem Temperament entfachen, lässt den Abend im Publikumsjubel enden.
Bern Hoppe 12-4-2019
Bilder (c) Gautier Dance Stuttgart