
Live von den Salzburger Festspielen 2024 kommt ein Mitschnitt von Prokofjews früher, cirka zwei Stunden langer Oper Der Spieler, der jetzt von dem Label Unitel einem interessierten Publikum auf DVD zugänglich gemacht wurde. Der Spieler beruht auf Dostojewskis gleichnamigem, 1866 erstmals herausgekommenem Roman, der zahlreiche biographische Züge des russischen Schriftellers aufweist. Dieser war eine starke Spielernatur. Im Verlauf einer Erholungsreise durch Deutschland berührte Dostojewski auch Wiesbaden, wo er erstmals mit dem Roulette-Spiel in Berührung kam. Im Folgenden verlor er in Wiesbaden und auch an anderen Orten wie beispielsweise Baden-Baden hohe Summen beim Spiel. Aus diesen negativen Erfahrungen heraus schuf er einen seiner besten Romane, nämlich den Spieler, in dem er seine beim Spiel gemachten Erfahrungen verarbeitete. Dieser von persönlichen Erlebnissen Dostojewskis geprägte Roman geht stark unter die Haut. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch der junge Sergej Prokofjew von dem Buch sehr angetan war und beschloss, aus ihm einen Opernstoff zu machen, für den er selbst das Libretto schuf. Der Abschluss der Komposition erfolgte im Jahr 1917, als Prokofjew gerade 26 Jahre alt war. Die damalige politische Situation in Russland, so die Oktoberrevolution, stand einer Aufführung des Spielers allerdings im Wege. Aus der Taufe gehoben wurde er erst nach einer Umarbeitung durch den Komponisten im Jahre 1929 am Théatre de la Monnaie in Brüssel in französischer Sprache. Im Folgenden gab es nicht allzu viele Produktionen des Spielers. Nach und nach prägte sich das Werk indes immer mehr dem musikalischen Bewusstsein ein. Allmählich wurde klar, dass es sich hier um ein absolutes Meisterwerk mit einem enormen geistigen Gehalt handelt. Die Aufführungen nahmen allmählich zu. Die Salzburger Inszenierung von 2024 war ein Höhepunkt der letztjährigen Festspielsaison.
Die Handlung spielt in dem fiktiven Kurort Roulettenburg, einem Ort des Stillstands, an dem sich Hoffnung, Verzweiflung und Spielsucht aufladen. Hier treffen sich gescheiterte Existenzen, Glücksritter und gesellschaftliche Außenseiter – getrieben von Gier, Sehnsucht und Selbsttäuschung (vgl. S. 11 des Booklets). Und das sind auch die Aspekte, auf die die Inszenierung von Peter Sellars in dem Bühnenbild von George Tsypin und Camile Assafs Kostümen besonderen Wert legt. Die Handlung scheint sich hier weniger auf der Erde als vielmehr im Weltall abzuspielen. Jedenfalls erinnern die immer wieder vom Schnürboden herabschwebenden Roulette-Tische stark an Ufos. Diese sind in ihrer äußeren Erscheinungsform recht variabel und blinken oftmals sehr stark. Man fühlt sich hier etwas an Las Vegas erinnert. Das Ganze hat einen ausgemachten Revue-Charakter, der die Spielhölle von Roulettenburg als berauschende Party in einem stilisierten Casino outet. Verschiedene Lichtstimmungen und eindrucksvolle Beleuchtungseffekte verleihen der Inszenierung ein ganz eigenes Gepräge und verdeutlichen nachhaltig die Unberechenbarkeit des Glücksspiels. Das Geschehen ist von dem Regieteam geschickt im Hier und Jetzt verortet. Der moderne Charakter des Ganzen wird an keiner Stelle verleugnet. Die in zeitgenössischen Kostümen auftretenden Handlungsträger spielen mit ihren Handys und schicken sich gegenseitig Mails. Trotz der riesigen Ausmaße der Salzburger Felsenreitschule gerät das Stück unter der Ägide von Sellars eher zu einem Konversationsstück, in dem insbesondere das Manisch-Getriebene des spielsüchtigen Alexej trefflich zur Schau gestellt wird. Dabei wartet der Regisseur mit einer einfühlsamen Detailarbeit auf. Einmal schickt er den Chor in den Zuschauerraum. Mit Brecht kann er umgehen, das muss man sagen. Seine Hauptaussage besteht in der Erkenntnis, dass die Spielsucht gnadenlos menschliche Beziehungen zerstört. Dieser Aspekt hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt und atmet auch heute noch zentrale Relevanz. Das alles wird von Sellars mit Hilfe einer ausgefeilten Personenregie auf spannende Art und Weise vor den Augen des Publikums ausgebreitet. Mit dieser gelungenen Inszenierung kann man leben.
Eindrucksvoll ist das Dirigat von Timur Zangiev. Er weist den bestens disponierten Wiener Philharmonikern äußerst präzise den Weg durch Prokofjews vielschichtige Partitur. Das Hitzige und Glutvolle der Musik wird vom Dirigenten bestens herausgearbeitet. Auch auf Prägnanz, Farben und ausgefeilte Rhythmik legt er großen Wert, was ein vielschichtiges und abwechslungsreiches Klangbild ergibt.
Darstellerisch gibt es an dem sehr intensiv und aufgedreht agierenden Sean Panikkar in der Rolle des Alexej nichts auszusetzen. Gesanglich lässt er mit seinem flachen, der nötigen Körperstütze gänzlich entbehrenden Tenor aber zu wünschen übrig. Einen intensiven, glutvollen, vorbildlich fokussierten und wandelbaren Sopran bringt Asmik Grigorian für die Polina mit. Ausgezeichnete schauspielerische und auch ansprechende vokale Konturen verleiht Violeta Urmana der Antonida Vasilevna Tarasevicheva. Solide singt Peixin Chen den General. Nikole Chirka ist eine voll und rund intonierende Blanche. Den Mr. Astley stattet Michael Arivony mit wohlklingendem Bariton-Material aus. Sehr dünnstimmig präsentiert sich der Marquis von Juan Francisco Gatell. Ein kraftvolles, sonores stimmliches Portrait des Barons Wurmerhelm zeichnet Ilia Kazakov. Eine gute Leistung erbringt die von Pawel Markowicz einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor.
Fazit: Diese DVD stellt eine absolute Rarität dar, deren Anschaffung durchaus zu empfehlen ist.
Ludwig Steinbach, 11. August 2025
Der Spieler
Sergej Prokofjew
Salzburger Festspiele 2024
Inszenierung: Peter Sellars
Musikalische Leitung: Timur Zangiev
Unitel
Best.Nr.: 811608
1 DVD