Premiere Duisburg: 12.05.2022
Philosophische Oper in einem Akt
Nachdem „Der Kaiser von Atlantis“ bereits am Opernhaus Düsseldorf zu sehen war, bekommen nun auch alle Opernfreunde in Duisburg und Umgebung die Möglichkeit, sich diese sehenswerte Produktion anzuschauen. Mit einer Spielzeit von rund einer Stunde handelt es sich zwar um ein sehr kurzes Werk, welches allerdings sowohl musikalisch wie auch von der Inszenierung her überzeugen kann. Mitten im Grauen des zweiten Weltkrieges komponierte Victor Ullmann dieses Werk im Konzentrationslager Theresienstadt. Das Libretto stammt von Peter Kien, der dort ebenfalls inhaftiert war. Zu den besonderen Bedingungen zur Entstehungsgeschichte dieser Oper sei allen Besuchern die sehr interessante Einführung vor den Vorstellungen ausdrücklich empfohlen. Die Handlung der Opernparabel geht überraschend eindeutig mit der damaligen Situation um, was wohl auch ein Grund dafür gewesen sein dürfte, dass die geplante Aufführung dann doch abgesagt wurde und das Werk erstmals 1975 in Amsterdam zu erleben war. Kaiser Overall von Atlantis hat eine nahezu automatisierte Tötungsindustrie geschaffen, in der der Harlekin als Zeichen für das Leben und der personalisierte Tod nur noch tatenlos dahinvegetieren. Als der Kaiser einen Krieg Aller gegen Alle verkündet, tritt der Tod in den Streik und verweigert seine Dienste. Kein Mensch kann mehr sterben. Zunächst versucht Overall sich als Sieger über den Tod und als Überbringer des „ewigen Lebens“ darzustellen. Doch es kommt zu Aufständen, da zum Tode verurteilte am Galgen hängen, ohne sterben zu können und verletzte Soldaten von Schmerzen gequält im Leben gefangen sind. Der Tod bietet dem Herrscher an seinen Streik zu beenden, wenn der Kaiser „als erster den neuen Tod leide“. Overall nimmt dieses Angebot an und folgt dem Tod, die vorgesehene Ordnung von Leben und Tod ist wiederhergestellt. Angesichts der aktuellen politischen Lage, wirken insbesondere die letzten 15 Minuten des Werkes eindringlich aktuell, da Overall vor seinem Tod noch fragt, ob dies denn nun wirklich der letzte Krieg gewesen sei.
Ilaria Lanzino gelingt mit ihrer Inszenierung eine schlüssige und nachvollziehbare Deutung der Geschichte, die das sehr philosophische Werk mit einem feinem Gespür für die ruhigen Momente auf die große Bühne des Opernhauses bringt. Hierbei beleuchtet sie auch das Zusammenspiel von Leben und Tod auf eindrucksvolle Weise. Nur vereinzelt und an der richtigen Stelle werden große Bilder benutzt, so z. B. bei der Rede Overalls, die von einer großen Videoprojektion des Kaisers begleitet wird. Ansonsten sind es vor allem die kleinen Momente, die besonders gefallen. Sei es die Liebe von Soldat und Mädchen, die sich zu Beginn noch als gegnerische Soldaten gegenüberstehen oder das Schlussbild, bei dem der Tod sanft eine Kerze ausbläst die während der gesamten Vorstellung am Rande des Orchestergrabens brennt. Ob das Bühnenbild von Emine Güner nun eher Spinnennetz oder doch eher Marionettenfäden sein sollen ist auch beim wiederholten Besuch der Vorstellung nicht ganz so eindeutig zu bestimmen, allerdings ist dies auch egal. In beiden Fällen sind die handelnden Personen in gewisser Weise gefangen. Nach und nach zerfällt dieses Geflecht aber immer mehr. Abgerundet wird das positive Gesamtbild der Inszenierung von einem stimmigen Lichtdesign von Thomas Diek. Die Duisburger Philharmoniker spielen unter der musikalischen Leitung von Christoph Stöcker in relativ kleiner Besetzung sehr souverän und klangstark, allerdings ist es beim „Kaiser von Atlantis“ nicht unbedingt die Musik die begeistert sondern eher die Geschichte der Oper im Bezug zum gegenwärtigen Zeitgeschehen. Schön daher auch, dass sich eine ganze Schulklasse zur Premiere am Theater Duisburg eingefunden hat.
Ursprünglich war bei der Deutschen Oper am Rhein geplant, in Duisburg in identischer Besetzung zur Düsseldorfer Premiere zu spielen, allerdings machten zwei Erkrankungen sehr kurzfristige Änderungen notwendig. Der irisch-amerikanische Bariton Emmett O’Hanlon gibt wie bereits in Düsseldorf einen überzeugenden Kaiser von Atlantis. Die nicht unbedingt leichte Partie des Trommlers wurde von der Mezzosopranistin Rosarió Chavez vom Pfalztheater Kaiserslautern in kürzester Zeit bravourös einstudiert. Als Harlekin war das ehemalige Ensemblemitglied Martin Koch zu erleben, der seit einigen Jahren an der Oper Köln beschäftigt ist. Auch ihm war in keinem Moment anzumerken, wie wenig Zeit ihm zur Vorbereitung auf diese Produktion blieb. Als Gegenpart stand ihm der Tod Luke Stroker mit seinem tiefen Bass gegenüber. Abgerundet wird das Ensemble von Anke Krabbe als Mädchen, Sergej Khomov als Soldat und Thorsten Grümbel als Lautsprecher, die wie das Leitungsteam vom anwesenden Premierenpublikum mit großem Beifall bedacht wurden.
Insgesamt ist „Der Kaiser von Atlantis“ ein Stück selten gespielter Musiktheatergeschichte, die jedem empfohlen werden kann, der sich für rund eine Stunde eine sehenswerte Oper abseits des bekannten Repertoire ansehen möchte. An den kommenden Wochenenden sind noch drei Vorstellungen am Samstag Abend und eine Vorstellung am Sonntag Nachmittag angesetzt (21.05., 29.05., 04.06. und 11.06.), bevor so langsam die Sommerpause an den Theatern einsetzen wird.
Markus Lamers, 14.05.2022
Bilder: © Hans Jörg Michel