Kult à la Loy
Wiederaufnahme am 15.11.2011
Opernmuseum oder extravagante Innovation?
Mozarts Werk ‚Die Zauberflöte‘ ist Volkstheater, Märchen und Aufklärungs-parabel zugleich. Es verbindet Zauberwelt, Singspiel und große Oper zu einem Kunstwerk. Die Geschichte bietet viel Potenzial – und für die Inszenierung durchaus intelligentes Potential: Eine entführte Prinzessin, ein Prinz, der ihrer Rettung willen allen Gefahren trotzt, der Kampf zwischen den Reichen der Finsternis und des Lichts. Feuerspeiende Riesenschlangen und hilfsreiche Geistwesen. Ein zauberhaftes musikalisches Märchen mit eingängigen Melodien.
Copyright: Alle Produktionsbilder > Deutsche Oper am Rhein, Frank Heller
Mit dieser außergewöhnlichen Produktion geht es, wie mit einem guten Rotwein: im Laufe der Jahre wird sie eigentlich immer besser. Mittlerweile hat sie fast KULT-Status an der Rheinoper.
Man erwartet eine opulente Ausstattungsoper. Ägypten in einem archaischen Zeitalter. Doch Christof Loy versetzt die Szenerie in eine Bibliothek (zum Glück nicht in die Zaubererschule Hogwarts), lässt ein verzanktes Ehepaar (sehr amüsant und mit viel Wortwitz: Götz Argus und Verena Buss) das Märchen von der Zauberflöte und damit ihre eigene Lebens- und Liebesgeschichte erzählen. Kann man so machen und an sich ein interessanter Ansatz. Aber wo bleiben die phantasievollen Szenerien, die himmlischen Mächte der Sonne und Finsternis, die wilden Tiere und burlesken Figuren wie Papageno und seine Papagena?
Ein Putzgeschwader mit fratzenhaften Masken, die eher an den Hollywood-streifen Planet der Affen erinnern und ein Hausarbeiter als der Schurke Monostatos sind nicht nachvollziehbar und daher kein Ersatz für intelligente Alternativen zu gewohnten Sehweisen. Dieses Meisterwerk allein auf die realistische szenische Ebene zu transferieren banalisiert es, raubt ihm wesentliche Momente. Und selbst bei aller Mühe und Toleranz solcher Verfremdungseffekte gegenüber; letztendlich bleibt für mich Mozarts Parabel auf das humanitäre und aufklärerische Gedankengut der Freimaurerei, deren Anhänger er selbst war, die einzige inhaltliche Verbindung zu einer Bibliothek. Aber bei einer Opernaufführung muß eben auch gelten, daß die Ästhetik stimmt. Und hier ist Loy ein durchaus großer Wurf (siehe Bilder!) gelungen.
Was bleibt ist der Kampf Gut gegen Böse, die Macht der Musik sowie die alles überwindende Kraft der Liebe. Und das mit einer Musik, die so schillernd ist wie die (Ur-)Handlung, aber streng in ihrem musikalischen Aufbau. Alle drei Operngattungen Opera seria, Opera buffa und Singspiel werden zu einer Einheit. Das macht die Größe und das Genie Mozarts aus, deshalb lieben wir diese Oper.
Anette Fritsch (Pamina) und Jussi Myllys (Tamino) sowie Marco Vassalli (Papageno) und Elisabeth Selle (Papagena) brillieren als Traumpaare auf der Bühne. Mit ihren stimmlichen Qualitäten und ihrer außergewöhnlichen Spielstärke und –freude begeistern sie das Publikum. Jung, frisch und unverbraucht scheint hier das Erfolgsrezept von Intendant Meyer zu sein. Stimmen und Charakter, an denen wir an der Rheinoper noch viel Freude haben werden. Thorsten Grümbel als Sarastro und eine traumhafte Marlene Mild als Königin der Nacht stehen ihnen dabei in nichts nach. Chorleistung und hervorragend von Wolfram Koloseus eingestellte Duisburger Philharmoniker runden eine perfekte Vorstellung ab.
Loys Inszenierung wird wieder einmal die Zuschauer polarisieren. Und das ist gut so! Mozarts Werk gibt den Regisseuren aber auch alle Freiheiten in der Umsetzung und damit auch gewisse Qualen: Sinnlose Plage – Müh ohne Zweck? Oder ist dies die einzig wahre Sichtweise? Betont man den wienerischen Singspielcharakter, ist es den Intellektuellen nicht recht. Bei zuviel Hintergründigem meutert der Teil der Zuschauer, welcher sich leichte Unterhaltung verspricht. Überfordert wird hier jedenfalls keiner.
Fazit: Bitte reingehen und diskutieren. Musikalisch lohnt es sich auf jeden Fall. Und frei nach dem Motto Richard Wagner "Schafft Neues, Kinder!" ist diese Produktion durchaus mit dem Prädikat BESONDERS WERTVOLL zu dekorieren.
Ralf Linskens