im Walde mit Ledersofa und Sonnenschirm
Fiesling Wurm gerettet – nur zwei Tote
PR 4.7.13
Carlos Wagner, Regisseur der jüngsten Duisburger Verdi-Produktion „Luisa Miller“, verkündete im Vorfeld, dass diese Oper mitnichten ein Abklatsch von Schillers „Kabale und Liebe“, sondern „ein ganz anderes Drama“ sei. Das aber hat er gründlich vergeigt mit einem „opernhaften“ statt einem „bürgerlichen Tauerspiel“.
Die Rheinoper hat offensichtlich kein gutes Händchen mehr für Regisseure. Dem Eklat um den abgesetzten „Nazi-Tannhäuser“ und der allgemeinen Ablehnung von Zemlinsky´s „Florentinische Tragödie“ folgt nun eine mehr als ärgerliche Inszenierung eines Regisseurs, der bereits 2011 im selben Hause mit seiner „neu gedeuteten“ Carmen einhelligen Widerspruch eingeheimst hatte. Man fragt sich zu Recht, wie solche Entscheidungen gefällt werden; dies gilt – zumindest für die erlebte Premiere – ebenso für den sängerisch unsäglichen Auftritt des Chilenen Giancarlo Monsalve, der auf der Webseite des Hauses erstaunlicherweise als „international gefeierter Gast“ bezeichnet wird. Ob damit wirklich Opernhäuser gemeint sind ?
Den Weg der Soldatentocher Luisa Miller vom hoch behüteten Kind im Nachthemd zur einer aus Liebeskummer selbstmordwilligen jungen Frau erzählt Wagner mit Holzhammer und Dreschflegel gleichzeitig. Zentrum ist ein mit Kinderzeichnungen ausgemaltes Zimmer, welches auf einer Drehbühne in einem ordentlich zugemüllten Zauberwald a la „Herr der Ringe“ steht und bis hin zur Hundehüttengröße schrumpft, um am Ende zusammenzubrechen: Sinnbild der endenden kindlichen Unschuld der Luisa (Bühne von Kaspar Zwimpfer). Die Figuren der Wände erscheinen immer wieder als leibhaftige Tier- und Menschen-Geister, auch in Form von zahlreichen Choristen; die Figur des Bauernmädchen Laura schwebt wie das TV-Sandmännchen von oben herab. Na ja, hübsch bunt halt.
Luisas Bett mit späterer bedeutungsvoller Kissenschlacht ist der Mittelpunkt ihres Lebens, sie schläft fest weiter, auch wenn sich Wurm und Miller lautstark im Duett auf der Bettkante messen. Und ihr Kopfkissen, von ihrem Liebhaber fest an sich gedrückt, zerreißt und spuckt Unmengen schwarzer Federn aus, Vorahnung des nahenden Tode; na ja, wer das nicht kapiert!
„Ich glaub ich steh im Wald“ – ebendort spielt dann der andere Teil der Handlung; hässliche baumstumpfähnliche Gebilde mit Lianen, einer mit interner Leiter zu einer Art Mini-Hochsitz, den Vater und Sohn abwechseln erklimmen, um von dort und mit guter Fernsicht zu singen. Erkennen konnten sie ein klassisches Ledersofa, Sonnenschirm und diverse Kleinmöbel, die vom Chor herangeschafft worden waren. Aber auch viele Ungereimtheiten und Albernheiten, über die man nur den Kopf schütteln konnte.
Muss Luisa das behütete naive Kind sein, Jungmädchenfigur, bis zum Ende im weißen Nachthemdchen, das eigentlich nicht richtig mitbekommt, was da läuft ? Die aus der väterlichen Obhut sofort in die Arme eines gräflichen Liebhabers fällt und begehrt wird von einem hinterhältigen Gutsverwalter. Müssen der Graf und sein Verwalter ihr Komplott gegen Luisa mit albernen Ballettschrittchen krönen, muss der Chor sich dem anschließen, muss sich Luisa zum Schluss in ihr Mini-Kinderzimmer quälen und am Ende mit wilden Zuckungen epilepsieartig ihr junges Leben aushauchen? Und warum wird der fiese Wurm nicht von Rodolfo librettopflichtig erstochen ? Na ja, halt Glück gehabt.
Oft gleicht der musikalische Teil eine suboptimale Szene etwas aus; aber auch hier ist nur ambivalentes zu berichten. Der neue GMD Giordani Bellcampi schafft zwar ein vielschichtiges Verdi-Feeling, mit schönen Bläserfarben, hoher Präzision, viel Drive, wenn auch gelegentlich vielleicht etwas zu forsch und zu kräftig. Aber was hilft es, wenn eine Hauptfigur wie Rodolfo – wenn auch ein sehr schicker Typ – einfach grottenschlecht singt. Wenn auch gelegentliche schöne Töne in den mittleren Forte-Lagen zu vernehmen waren, so hangelt er sich mit wechselndem Timbre, mit kehligen und mühsamen Spitzentönen, mit Knödeln und Unsauberkeit durch die Partitur, sodass man ständig in Sorge war, ob er bis zum Ende durchhalten würde; als indisponiert angesagt war er jedenfalls nicht. In seine große Arie „Quando le sere“ hinein erschallten – endlich – etliche Buhs, nicht aber beim Schlussapplaus, ebenso wenig wie für das Regieteam. Das offensichtlich hochzufriedene Premierenpublikum dankte mit langem stehenden Applaus und Bravo-Rufen. Na ja, jedem sein Geschmack halt.
Ein Verdi-Feeling stellte sich nach alledem leider nicht recht ein, auch wenn noch Gutes zu berichten ist. Ganz vorzüglich die Frederica (Susan Maclean) mit ausdrucksstarkem, vollem und gut timbrierten Mezzo. Auch Boris Stasenko als Miller überzeugte mit reifer Stimmfülle und Ausdruck, herrlich sein Part in dem berühmten a-capella-Quartett. Im direkten Vergleich mit Wurm blieb Sami Luttinen allerdings eher blass, sowohl stimmlich wie auch in seiner Verkörperung des Hinterhältigen. Auch Olesya Goloneva in der Titelrolle gefiel durchweg, wenngleich die Stimme unten herum etwas mehr Substanz vertragen könnte. Den Grafen gestaltete Thorsten Grümbel überzeugend und stimmlich ausdrucksstark. Die kleinen Rollen waren adäquat gut besetzt. Leider zeigte sich auch hier wieder, dass die Rezeption selbst guter Stimmen unter einer schwachen Regie und Personenführung sehr zu leiden vermag.
So blieb der Lichtblick des Abends das große Duett der Luisa mit ihrem Vater im letzten Akt, lyrisch wunderbar ausdrucksvoll gesungen und gestaltet, vom Orchester sensibel begleitet. Na ja, wenigstens etwas.
Michael Cramer Bilder: Hans Jörg Michel