
Der Streit zwischen verschiedenen Startenören oder Operndiven um die jeweiligen Hauptrollen ist immer wieder Thema in Filmen, Witzen oder auch in den Opern selbst. Zuletzt war dies sogar am Duisburger Theater in Donizettis Opera buffa Prima la Mamma! der Fall. Ganz anders ist dies bei der Familienoper Pinocchio, die als Auftragswerk der Deutschen Oper am Rhein entstanden ist. Marius Schötz und Marthe Meinhold wurde die Aufgabe zuteil, eine kinderfreundliche Oper zu entwickeln, in der ein großer Kinderchor der Star des Abends bzw. in diesem Fall eher des Vor- oder Nachmittags ist. Herausgekommen ist eine zauberhafte Umsetzung des Pinocchio-Buches von Carlo Collodi aus dem Jahr 1883. Die Rolle des Pinocchio (ebenso wie die der Grille und der Schlange) wird hierbei vom Kinderchor am Rhein sowie von Jungen und Mädchen der Akademie für Chor und Musiktheater gemeinsam gesungen und gespielt. Was sich im ersten Moment nach einem „wilden Durcheinander” anhört, entpuppt sich als zauberhafter Glücksgriff. Es ist eine wahre Pracht, wie die rund 50 teilnehmenden Kinder – leider war die Aufführung viel zu gut, um auch nur eine Sekunde damit zu verschwenden, sie zu zählen – immer wieder sowohl gesanglich als auch szenisch eine Einheit bilden. Lin Verleger hat hierfür zauberhafte Choreografien entwickelt, bei denen die jungen Darsteller stellenweise wie eine Figur agieren und dennoch die Individualität jedes einzelnen erhalten bleibt. Teilweise werden die Sprechtexte als Gruppe vorgetragen, bei denen sich die Zuschauer fragen, wie die Kinder diesen Gleichklang hinbekommen. Immer wieder treten aber auch einzelne Darstellerinnen aus der Gruppe hervor und bringen ihre ganz eigenen Fragen in die Geschichte ein. Gesanglich ist der Kinderchor von Sabina López Miguez und Justine Wanat auf den Punkt genau einstudiert.

Bereits bei der Entstehung des Stücks waren die Kinder intensiv in die Produktion eingebunden. So durften sie beispielsweise in einem Workshop mitentscheiden, welche Szenen des Buches unbedingt in die rund 90-minütige Bühnenversion einfließen sollten. Darüber hinaus ist Pinocchio an der Deutschen Oper am Rhein keine reine Nacherzählung der bekannten Geschichte. Vielmehr geht es aus der Sicht der Kinder ums Lernen und die Schwierigkeiten, es den Erwachsenen immer recht machen zu wollen. Es ist schwierig, das Richtige zu tun, wenn man nur über wenige Erfahrungswerte verfügt. Und auch das „perfekte Land” sieht für jeden Menschen ja anders aus. Aus zahlreichen Gesprächen mit den Kindern entwickelten Marius Schötz und Marthe Meinhold ein Libretto, das die literarische Vorlage geschickt mit Fragen und Problemen der Kinder im heutigen Leben verbindet. Anstatt mit dem Zeigefinger zu drohen, setzt man auf eine originelle, tiefgründige Geschichte, die immer wieder mit Charme und klugem Humor punkten kann. Das berührt nicht nur das Herz, sondern erwischt einen immer wieder bei dem Gedanken: „Oh, wie süß ist das denn bitte gerade?” Ein großer Vorteil ist hierbei sicherlich auch, dass die beiden Autoren gleichzeitig für die Inszenierung verantwortlich sind und so ein rundes Gesamtwerk entstanden ist, in das unglaublich viel Herzblut geflossen sein muss.

Auch das Bühnenbild von Florian Kiehl, der zudem die Kostüme und Videoprojektionen entworfen hat, kann überzeugen. Immer wieder gibt es hier einige überraschende Einfälle, die nicht nur den Kindern im Publikum gefallen. So wird beispielsweise der Magen des Wals aus der Unterbühne hochgefahren, während der Wal vom Schnürboden herabgelassen wird. Die Duisburger Philharmoniker spielen unter der musikalischen Leitung von Patrick Francis Chestnut die leicht eingängige, gleichzeitig aber auch sehr geschickt komponierte Partitur in angemessener Lautstärke und präzisem Tempo. Dadurch waren auch die Kinder stets gut zu verstehen, sodass die Übertitel bei dieser Produktion selten benötigt wurden. Neben den jungen Darstellern übernahmen in der besuchten Vorstellung Günes Gürle (Geppetto / Schulleiterin), Elisabeth Freyhoff (Fuchs / Besitzerin vom Spielzeugland), Sander de Jong (Kater / Docht) und Jacob Harrisson (Schulkind Carlo / Blaue Fee) die weiteren Rollen, die allesamt treffend besetzt waren. Noëlle Haeseling, die mit dem Regieduo eine langjährige Zusammenarbeit verbindet, führte mit ruhiger und klarer Erzählstimme durch den Abend und sorgte damit für eine dramaturgisch geschickte Verbindung der einzelnen Szenen.

Abschließend bleibt an dieser Stelle nur noch die Empfehlung an alle theaterbegeisterten Menschen von 6 bis 96 Jahren, sich diese herzerwärmende Version von Pinocchio nicht entgehen zu lassen. Wer es zu den beiden verbleibenden Vorstellungen in Duisburg nun so kurzfristig nicht mehr schafft, sollte sich unbedingt rechtzeitig um Eintrittskarten für die Aufführungen in Düsseldorf bemühen, wo das Stück in der kommenden Spielzeit ab dem 30. Oktober 2025 zu sehen sein wird.
Markus Lamers, 30. Mai 2025
Pinocchio
Familienoper von Marius Schötz (Komposition / Libretto) und Marthe Meinhold (Libretto)
Deutsche Oper am Rhein – Theater Duisburg
Uraufführung: 27. April 2025
besuchte Vorstellung: 29. Mai 2025
Inszenierung: Marius Schötz / Marthe Meinhold
Musikalische Leitung: Patrick Francis Chestnut
Duisburger Philharmoniker
Weitere Aufführungen: 1. Juni und 2. Juni in Duisburg, sowie ab dem 30. Oktober im Opernhaus Düsseldorf