Besuchtes Konzert am 19. September 2019 im hr-Sendesaal
Im Rahmen seines ersten Konzertes der „Auftakt“ Serie stellten sich zwei junge Künstler dem Publikum im gut besuchten hr-Sendesaal vor.
Am Beginn stand eine zeitgenössische Komposition von Anna Clyne „This Midnight Hour“, die im Jahr 2015 uraufgeführt wurde. Das kurze Werk basiert auf zwei Gedichten und folgt in seinem Verlauf einem narrativen Pfad. Dunkle nach vorne drängende wuchtige Streicherfarben erzeugen sogleich eine rhythmisch aufgeladene Spannung. Fratzenhafte Holzbläser- und Blechbläserfarben, letztere auch immer wieder überraschend choralartig intonierend führen den Zuhörer in einen spannenden Klangsog. Dazu gibt es dann breite Streichermelodien, die an Filmmusik denken lassen.
Der junge englische Gast-Dirigent Ben Gurion, Schüler von Sir Colin Davis und erster Gast-Dirigent des BBC Philharmonic Orchestras, hatte einen erkennbar guten Zugang zu diesem Stück. Gemeinsam mit dem spielfreudigen hr-Orchester breitete er ein weit schattiertes Panorama aus, das gefiel, besonders in den weit aussschwingenden Streicherkantilenen und vor allem in den ruhigen Passagen am Schluss der Komposition. Eine hörenswerte Begegnung.
Gast-Solist war der Schweizer Pianist, Louis Schwizgebel, der eine frische und in Teilen geradezu poetische Interpretation des Klavierkonzertes No. 1 von Ludwig van Beethoven darbot. Das im Jahr 1800 uraufgeführte Werk ist hörbar an der Wiener Klassik orientiert und geht doch in der Ochestrierung neue Wege. So verwendete Beethoven Klarinetten, Trompeten und Pauken.
Im einleitenden „Allegro con brio“ trafen Schwizgebel und Gurion sehr gut den marschartigen Tonfall des ersten Satzes. Beherzt und nach vorne stürmend ertönte die Einleitung. Sicher im Wechselspiel agierte Schwizgebel, der dann am Satzende mit einer virtuosen Solo-Kadenz zu gefallen wusste. Wunderbar leicht und anmutend realisierte er mit feinem Anschlag die schwierigsten Läufe.
Von inniger Kontemplation getragen dann das liedhaft vorgetragene „Largo“. Hier offenbarte der Solist seine außerordentliche Sensibilität in innig vorgetragenen Phrasierungen, die dynamisch sehr gut mit dem hr-Sinfonieorchester abgestimmt ertönten. Es war die schlichte Natürlichkeit, die völlige Freiheit und das Ausbleiben plakativer Effekte, die diesem Satz eine besondere Eindrücklichkeit gab. Hier war erkennbar ein musikalischer Poet an den Tasten seines Flügels. So und nicht anders muss Beethoven klingen. Eine Offenbarung!
Wunderbar leicht dann das tänzerische Rondo, welches den Finalsatz krönend und überschwänglich beendete. Die pure Spielfreude der Protagonisten war überaus ansteckend. Ben Gurion gab fortwährend spannende Impulse, die Schwizgebel reaktionsschnell parierte. Das hr-Sinfonieorchester musizierte mit großer Spiellaune und gefiel vor allem in den vielen Tuttipassagen, ebenso wie in den Soloeinwürfen. Vor allem die gewichtigen Streicherzakzente betonten gut das Tänzerische dieses Finales. Das hr-Sinfonieorchester orientierte sich mit Natur-Hörnern und -Trompeten, Holzschlägeln an der Pauke an der sog. Alten Musik. Es war eine überaus spannungsgeladene Orchesterinterpretation.
Viel Freude bei den Zuhörern, die sich über eine Zugabe freuen durften, ein kantabel vorgetragenes As-Dur Impromptu op. 142 von Franz Schubert.
Nach der Pause dann die 8. Sinfonie von Antonín Dvořák, die 1890 unter Leitung des Komponisten in Prag uraufgeführt wurde.
Wunderbar traf das hr-Sinfonieorchester den einleitenden Choralteil, den die Celli sanft und bestechend klar intonierten. Fein ziselierend, wie eine Vogelstimme erklang die Flöte in einer frei anmutenden Melodie. Aufjauchzend antworteten darauf dann Trompeten und Holzbläser, die die Lebensfreude musikalisch erlebbar machten. So überzeugend das Orchester hier auch agierte, so irritierend einfallslos wirkte hier Dirigent Ben Gurion in dieser Sinfonie. Er interessierte sich vor allem für die Nebenstimmen und sorgte für hinreichende Transparenz im kompakten Orchesterklang. Dies ist allerdings viel zu wenig für dieses Meisterwerk der Symphonik.
Das anschließende Adagio gehört zur besten Musik des tschechischen Meisters. Unvergleichlich und endlos seine melodischen Einfälle. „Mein Kopf ist voll von Ideen. Wenn man sie nur sofort niederschreiben könnte“, schrieb Antonín Dvořák am 10. August 1889 an seinen Freund Alois Göbl. Sehnsüchtige Holzbläser Farben lassen vor dem Zuhörer ein Landschaftsbild entstehen, ja, sogar Vogelstimmen werden auch instrumental aus agiert. Wunderbar die Instrumentalsoli der Flöte, Klarinette und Solo-Violine. Der Komponist erlebte hörbar eine gute und schaffensreiche Zeit auf seinem Sommersitz in Vysoka. Mit diesem unvergleichlich schönen Satz schrieb der tschechische Meister einen seiner schönsten symphonischen Sätze voll tiefer Herzenspoesie. Und das hr-Sinfonieorchester vermochte es mit seinem hingebungsvollen Spiel die Zuhörer tief in diesen unvergleichlichen Sog musikalischer Landschaftsweite hineinzuziehen. Die Zeit stand still. Die Seele der Zuhörer konnte intensiv mit Schönheit und Harmonie aufgefüllt werden. Leider aber stand auch hier der Dirigent völlig neben der Musik, vermochte sie nicht zu führen oder mit emotionalem Leben zu füllen.
Der walzerartige dritte Satz lässt zuweilen an die Musik von Tschaikowski denken, mit welchem Dvořák in jener Zeit eine Freundschaft begann. Gurion fiel hierzu kein gestalterischer Gedanke ein, somit eilte dieser Satz interpretatorisch nebensächlich am Zuhörer vorbei. Kein Innehalten, keine Poesie, keine Agogik. Welche Enttäuschung!
Unbändige Spielfreude dann im finalen „Allegro ma non troppo“ herausgestellt durch die Fanfaren der einleitenden Trompeten. So sollte es klingen! Die Trompeten durften an diesem Abend jedoch nur zurückhaltend intonieren. Das folgende Aufjauchzen des herrlichen Orchesterklanges geriet arg gebremst und auch die sonst hier so überschwänglichen Triller in den Hörnern waren kaum zu erahnen. Perfekt erklang das sehr virtuose Solo der Flöte. Bestechend auch hier die spielerische Kompetenz des fabelhaften Orchesters. Aber leider war in dieser Sinfonie das hr-Sinfonieorchester interpretatorisch völlig unterfordert, weil der Dirigent keine gestalterischen Impulse zu vermitteln wusste. Somit konnte es nur mit seiner fantastischen Klangqualität für sich einnehmen. Wie anders es in dieser Symphonie agieren konnte, nun dass zeigte es vor einiger Zeit unter dem hinreißenden Gast-Dirigenten Manfred Honeck, der Dvořáks großer Symphonie alle musikalischen Ehren angediehen ließ, nachzuhören auf der Internetseite des Orchesters bei youtube.
Am Schluß kurzer und enden wollender Applaus für eine sehr ambivalente Interpretation.
Dirk Schauß, 20.9.2019
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