Premiere am 7. Dezember 2019
In tschechischer Originalsprache
Janáčeks Werke, Ausnahme vielleicht Das schlaue Füchslein, gelten unverdienter Weise als „Kassengift“, obwohl die gängigen Werke wie Jenufa oder Katja Kabanova durchgehend schöne Musik bieten und auch eine nachvollziehbare, ergreifende Handlung. Leider kann man all das über Die Sache Makropulos nicht sagen. Sie ist reine Literatur- und Dialog-Oper. Vergleichbar vielleicht mit Giselher Klebes Opern. Ketzerisch könnte man sagen, dass neben den ersten fünf Minuten des beeindruckenden Vorspiels nur noch die letzten 15 das Normalpublikum begeistern. Warum man, trotz einer wirklich guten deutschen Übersetzung von Max Brod das Stück im Original spielt, bleibt mir rätselhaft. Insbesondere, da ja der tschechische Wort- und Ton-Duktus bei nicht Originalsprachlern nicht ansatzweise vorhanden ist. So kleben alle Zuschauer zwangsläufig an den Übertiteln. Kein schöner Anblick für die Künstler …
Karel Čapeks Urstück war noch eine Komödie, während Janáček daraus eine seltsam verquaste und schwer verdauliche, krude Mischung aus Science Fiction, Krimi, Dystopie und Altenheim-Love-Story machte. Wenn Regisseur Dietrich Hilsdorf die Geschichte als so spannend wie einen Hitchcock empfindet, dann sei es drum. Wahrscheinlich habe ich dann den Meister des Suspense anders in Erinnerung. Gelangweilt habe ich mich jedenfalls bei einem dieser durch die Bank meisterhaften, echten Kriminalfilme auch beim zehnten Mal nie.
Da das sperrige Werk recht unbekannt ist, hier der kurz gefasste Inhalt: Emilia Marty ist seit dem Jahre 1611 durch einen Zaubertrank ihres alchemistischen Vaters unsterblich. Von einem aus unerfindlichen Gründen über 100 Jahre dauernden Erbstreit erhofft sie sich, irgendwie in den Besitz des Zaubertrank-Rezepts zu gelangen. Sie möchte sich das ewige Weiterleben damit sichern, das aus ebenso unerfindlichen Gründen wohl langsam zu Ende geht. Zum Schluss erkennt sie jedoch, dass es durchaus sinnvoll ist, jetzt zu sterben
Das Bühnenbild von Dieter Richter zeigt im ersten Aufzug eine groteske Anwaltskanzlei, die eigentlich nur aus riesigen Aktenkisten-Wänden und hinaufführenden Treppen besteht. Kafkas Prozess lässt grüßen. Im zweiten Akt geht nicht der Vorhang zu, sondern im Saal das Licht an, während einige Bühnenarbeiter mühselig von Hand – ja, Leute, wir sind hier im Theater! Alles handmade. Nix Zauberkasten Bühne! – eine gefühlte Ewigkeit zur Musik die Akten-Wände mühsam auf die Hinterbühne schieben, arrangiert und zelebriert, als wohnten wir einem besondern Kunstereignis bei. Dieser Hilsdorf ist schon ein Teufelskerl. Danach wird ein rot-weißes Tatort-Trassierband beamtenkorrekt an der Rampe verspannt. Dahinter werden von eben diesen famosen Bühnenarbeitern nun zwei Stühle gestellt. Oh, wie schön ist es doch, anderen Menschen bei der Arbeit zuzuschauen …
Der dritte Akt, und damit die 337 Jahre alte Geschichte, endet mit einem verblüffenden Theatercoup: Emilia setzt sich auf den Fenstersims ihres Hotelzimmers. Man zieht einen dunklen Vorhang vor ihr zu, dann zieht man den Vorhang wieder auf – schwups, ist die weg. Ja, das ist schon hochspannend und schockierend gemacht. Die Erkenntnis allerdings, warum die Wirkung des Lebenselixiers sich in der Tochter des Kanzleivorstehers Vitek fortsetzt, ist allein dem Regisseur gegeben.
Petra Schmidt singt die undankbare, höllische Hauptrolle, mit der man eigentlich nur seine Stimme ruinieren kann, phänomenal. Wobei ihr die Altherrenriege nur wenig nachsteht. Gediegene Leistungen sind durch die Bank weg allen zu attestieren.
Besonders erwähnenswert, dass mit dem mittlerweile 83-jährigen Mario Brell als Hauk-Šendorf ein Gigant der MiR-Geschichte noch einmal zu sehen war, der agierte, wirbelte und sang, als habe er das Lebenselixier geschluckt. Da kommen schöne Erinnerungen auf … Keiner sang in meinen Ohren, pars pro toto, Zemlinskys Zwerg, den Paul aus Korngolds Toter Stadt oder Wagners Tannhäuser je schöner und ergreifender. Unvergessene Meilensteine in einem bisher über 45-jährigem Kritikerleben. Alleine dafür lohnte sich der Abend.
Die Neue Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann besserte sich nach dem langweiligen und farblos uninspirierten Vorspiel in trägem Tempo bis zum Ende hin stetig. Man hatte sich schließlich durchaus zufrieden stellend eingespielt. Großer hinreißender, farbenfroher und explosiv mitreißender Janáček klingt allerdings anders.
Fazit: Zu bescheinigen ist immerhin eine gute Ensemble-Leistung. Und es ist der Ansatz von Intendant Schulz grundsätzlich zu loben im Programmangebot – im Vergleich zu den meisten anderen NRW-Bühnen – doch ausgefallene, seltene Wege zu gehen. Der begeisterte Beifall des Premieren-Publikums im halbleeren Haus dankte es. Ob so etwas das Abovolk begeistert sei dahin gerstellt …
Fotos von Monika und Karl Forster
Peter Bilsing 10-11-2019
Weitre Credits
Kostüme Nicola Reichert
Licht Patrick Fuchs
Chor Alexander Eberle
Dramaturgie Anna Chernomordik
Herrenchor des Musiktheater im Revier
Albert Gregor Martin Homrich
Dr. Kolenatý Joachim G. Maaß
Vítek Timothy Oliver
Krista Lina Hoffmann
Jaroslav Prus Urban Malmberg
Janek Khanyiso Gwenxane
Hauk-Šendorf Mario Brell
Bühnentechniker Gerard Farreras
Requisiteurin Karla Bytnarová
Kammerzofe Rina Hirayama
OPERNFREUND PLATTENTIPP
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