Genauso wie hier am kleinen aber feinen Ernst Deutsch Theater in Hamburg müssen die Opéras Bouffes aus Offenbachs Feder für das heutige Publikum auf die Bühne gebracht werden, dann beweisen sie ihre Daseinsberechtigung. Denn nichts wäre tödlicher für sie als gepflegte, moralinsaure Langeweile, wie „Barkouf“ am Opernhaus Zürich zum Beispiel.
Der Regisseur dieser Hamburger Produktion, Anatol Preissler, hat zusammen mit seinem Team, den sieben umwerfenden Darstellern, den vier Musikern, der Choreografin Kerstin Ried, den für Bühne und Kostümen zuständigen Heiko Mönnich respektive Ulli Kremer herausragende Arbeit geleistet. Das Ergebnis ist urkomisch, bitterböse, überdreht im besten Sinne und vom ersten Trockennebel (Schlachtennebel), der unter dem Vorhang hervorkriecht bis zur finalen Erkenntnis der Großherzogin „Wenn man nicht kriegen kann, was man liebt, liebt man eben, was man hat“- eine sich rasant abspulende Satire mit Biss!
Immer wieder führen die klugen, herrlichen Wortspielereien („Sie sind Gesandter, aber sind sie auch geschickt?“, “ Da hat ja mein Jogurt mehr Kultur!“) und aktuellen Bezüge (es wird von Sondervermögen zur Kriegsführung und Spezialoperation zur Entnazifizierung geredet) zu Lachern und Schmunzeln im Publikum. Der Regisseur hat ein exzellentes Septett an zwei Schauspielerinnen und fünf Schauspielern zur Verfügung, um diese gekonnte Offenbachiade, wo oben zu unten und unten zu oben wird, umzusetzen (man nennt dies das Inversionsverfahren, wie Volker Klotz in seinem lesenswerten Artikel im Programmhefte ausführt).
In der Titelrolle begeistert die grandiose Schauspielerin und Daniela Ziegler mit einer Parforce Leistung als liebeshungrige, alterslose Großherzogin. Ihre wunderbar klingende, tiefe Stimme setzte sie für ihre mit unterschwelliger Laszivität vorgetragenen Arien und Couplets ganz fantastisch ein und bereichert die Ensembles mit ihrem unverwechselbaren Timbre. Verliebt ist sie in den Gefreiten Fritz, den sie flugs zum Generalmajor befördert. Da richtige Männer Gesichtsbehaarung brauchen, lässt er sich schnell einen Hitler-Oberlippenbart wachsen – und schon nimmt man ihn als an Chaplin erinnernde Slapstick-Parodie auf den unsäglichen Gefreiten aus Braunau wahr. Mark Weigel wird in dieser Rolle zum umwerfenden Sympathieträger, Aufstieg und Fall eines Emporkömmlings und mit voller Fahrt in die wohl zukünftig sich als Hölle erweisende Ehe mit Wanda schlitternd.
Diese Wanda ist eine Quasselstrippe ohne Ende, Dagmar Bernhard macht das brillant, ihre ununterbrochen fließenden Wortkaskaden allein lohnen einen Besuch der Aufführung. Nachdem die Großherzogin realisiert hat, dass sie bei Fritz nicht landen kann, nimmt sie dann halt den nächstbesten zum Mann, den Prinzen Paul, der im Auftrag seines Vaters um sie freit. Dieser Paul ist eine schreckhafte Transe, tuntig von Anfang bis zum Ende – und echt komisch, herrlich gespielt von Jan Rogler. Die Verbindung zwischen Paul und der Großherzogin soll Graf Grog in die Wege leiten. Oliver Warsitz spielt ihn in einer Art Doktor Mirakel, gekonnt durchtrieben und amorph. Und komplettiert wird das Septett von den beiden Vertretern des Staates, dem General Bumm (bassgewaltig singend und eitel agierend Daniel Schütter) und dem Staatsminister Baron Puck, dargestellt von Frank Jordan, der dickwanstig im Rokoko-Kostüm über die Finanzen und die Intrigen wacht. Sie alle agieren mit einer bass Erstaunen machenden Präzision, einer augenzwinkernden Subtilität und füllen die Gesangsnummern mit charaktervollen Stimmen.
Tjaard Kirsch hat das Ganze musikalisch arrangiert und spielt auch das Keyboard. Er ließ auch eine Papageno-Tamino-Szene in sein Arrangement Einfließen oder die Barkarole aus Hoffmanns Erzählungen als „Koffer-Duett“ singen. Uwe Granitza und Felix Konradt steuern mit Posaune, Tuba, Euphonium und Kontrabass die nötigen instrumentalen Akzente bei und Helge Zumdieck gibt am Schlagzeug die Rhythmen vor.
Einen Besuch dieser rundum gelungene Offenbachiade kann man Jung und Alt empfehlen und ans Herz legen. Großartig!
Kaspar Sannemann 19. Dezember 2022
„Die Großherzogin von Gerolstein“ Jacques Offenbach
Hamburg, Ernst Deutsch Theater
Besuchte Aufführung: 12. Dezember 2022
Inszenierung: Anatol Preissler
Musikalische Leitung: Tjaard Kirsch (+ Keyboard)