Besuchte Aufführung: 24.4.2016, Premiere: 9.4.2016
Kriegsverherrlichung in der Militärakademie
Haftet Wagners romantischer Oper „Der fliegende Holländer“ irgendetwas Militärisches an? So muss man sich fragen, wenn man sich diese Oper am Theater der Stadt Heidelberg ansieht. Regisseurin Lydia Steier hat diese Frage mit einem Ja beantwortet und die Geschichte um den geisterhaften Seefahrer kurzerhand in einer amerikanischen Militärakademie im Stile der 1950er Jahre angesiedelt. Das von Susanne Gschwender geschaffene Einheitsbühnenbild stellt ein Klassenzimmer dar, in dem sich während des Vorspiels die von Gianluca Falaschi mit blauen kurzen Hosen und Kappies sowie roten Hemden versehenen Kadetten auf einer Videoleinwand Schwarz-Weiß-Filme vom Zweiten Weltkrieg ansehen. Johlend applaudierend beobachten die jungen Militärschüler unter der Aufsicht ihres Lehrers, des Admirals Daland, wie Bomben über Deutschland abgeworfen werden und die Alliierten in der Normandie landen.
Diese noch gänzlich unreifen, allesamt blonden Kadetten scheinen sich überhaupt nicht darüber im Klaren zu sein, welche Schrecken der Krieg in sich birgt. Je krasser die in dem Film gezeigten Szenen werden, desto mehr jubeln sie. Für sie ist der Krieg das Höchste. Ihm kommt gleichsam die Funktion einer Ersatzreligion zu, was doch recht bizarr anmutet. Hier wird Böses produziert, man ist grausam und gefällt sich darin, Außenseiter zu quälen und zu verspotten. Der Steuermann, der darob am Ende seines Liedes in bittere Tränen ausbricht, wird von ihnen übel gemobbt. Auch die ebenfalls rot-blau gewandeten platinblonden Frauen sind in diese gleichgeschaltete Gesellschaft integriert. Ihnen kommt im zweiten Aufzug die Funktion zu, Bomben und Torpedos herzustellen. Dieser Aufgabe kommen sie nur allzu bereitwillig nach. Eifrig gehen sie ans Werk und erzeugen sowohl kleinere als auch größere Sprengkörper. Ein Mädchen nimmt sogar behände auf einem der Torpedos Platz. Bereitwillig fügen sich die Frauen in diese fragwürdige Welt ein, die Grausamkeiten begeht, ohne sich dessen richtig bewusst zu sein. Es findet eine totale Kriegsverherrlichung statt. Alles am Krieg ist positiv, seine schlechten Aspekte werden ausgeblendet. Alles Negative wird aus dem Blickfeld verbannt.
Johanni van Oostrum (Senta), Chor und Extrachor des Theaters und Orchesters Heidelberg
Einzelgänger und Individualisten haben es in diesem Umfeld schwer. Der Holländer hat den Krieg erlebt und kann es nicht verstehen, dass dieser in der Militärschule ins Positive umgedeutet wird. Für ihn ist Krieg der Inbegriff der Schrecknisse und Gefährdungen. Trotzdem lässt er sich von den Kadetten anstelle seines braunen Seemannmantels eine blaue Akademiejacke anlegen. Ein Teil von ihnen wird er dennoch nicht. Diese Mentalität ist ihm fremd. Er hat zuviel Schlimmes erlebt. Der auf ihm lastende Fluch wird zur Metapher für eine ausgeprägte Psychose. Einfühlsam zeigt Frau Steier das Bild eines traumatisierten Menschen, der schon viel Schlimmes erlebt hat, dies aber nicht verarbeiten kann und sich nichts sehnlicher wünscht als Frieden. Seine seelischen Wunden sind voll und ganz Ausgeburt der brutalen Gesellschaft, die den Frieden verachtet und den Krieg verherrlicht.
An dieser Gemeinschaft krankt auch Senta. Wie der Holländer – an die Stelle seines Bildes tritt hier ein Buch – ist auch sie das Produkt einer Welt, mit deren Werten sie sich in keinster Weise identifizieren kann. Das lässt sie ebenfalls zur Außenseiterin werden und dem Spott der Mädchen anheim fallen, die die „Johohohoe“-Rufe zu Beginn von Sentas Ballade immer wieder durch hämisches Lachen unterbrechen. Es dauert eine kleine Weile, bis die Daland-Tochter endlich richtig beginnen kann. Man merkt, dass sie innerhalb der Frauenliga keinen leichten Stand hat. Sie kann in diesem Ambiente nicht leben und lehnt den Krieg ab. Nachhaltig versucht sie ihrem Leben einen Sinn zu geben. Und hier tritt der Holländer auf den Plan. Ihn zu erlösen wird zum Zweck ihres Daseins. Die Mentalitäten der beiden sind sich sehr ähnlich. Sie lehnen die auf der Militärakademie vermittelte Kriegsbegeisterung ab und projizieren ihre Sehnsüchte und Wünsche auf den jeweils anderen.
Pedro Velázquez Diaz (Erik), Johanni van Oostrum (Senta)
Auch Erik wird hier als Außenseiter gezeigt. Er ist ein intellektueller Ausländer, der sich für die Werte seiner Umgebung wenig interessiert und jedwedem kriegerischen Treiben negativ gegenübersteht. Und Senta liebt er, weil sie ebenfalls so denkt und handelt. „Ihre Schattenseite ist der Negativspiegel der Gesellschaft“, sagt Lydia Steier im Programmheft, „Sie sind die Projektionsflächen der anderen“. Der Bezug zu Feuerbach wird offenkundig. Während des Festes im dritten Aufzug bricht diese heile Welt in sich zusammen. Mit den zombieartig schwarzen holländischen Matrosen, die mit ihren alten Militärhelmen wie Relikte aus vergangenen Kriegen aussehen, werden den Kadetten endlich einmal die Schrecken des Krieges vor Augen geführt. Nun werden sie mit der naheliegenden Möglichkeit konfrontiert, auf dem Feld der Ehre zu bleiben, wobei im Hintergrund das bis dahin ausgesparte Meer aufwirbelt. Jetzt wird ihnen schlagartig bewusst, dass Krieg etwas durch und durch Negatives ist, das sie nicht nur von außen bewundern. Dass sie sich ihm nun stellen müssen, lässt sie dem Wahnsinn verfallen. Am Ende erschießt sich Senta mit Eriks Pistole und der Holländer und seine Mannschaft sinken entseelt zu Boden. Das war alles gut durchdacht und mit einer flüssigen Personenregie auch imposant umgesetzt. Die von Frau Steier vorgenommene Neudeutung war durchweg überzeugend und einleuchtend.
Obwohl er sich wegen einer gerade überstandenen Krankheit ansagen ließ, ist James Homann in der Titelpartie eine gute Leistung zu bescheinigen. Sein Holländer atmete darstellerisch große Kraft und Impulsivität. Auch gesanglich vermochte er mit seinem markanten, gut sitzenden Heldenbariton, der zudem über eine schöne Pianokultur verfügt, zu beeindrucken. Eine schauspielerisch intensive Senta, die ihrem Part mit wunderbarer italienischer Technik, in jeder Lage samtenem Stimmklang und emotionaler Tongebung auch vokal voll und ganz entsprach, war Johanni van Oostrum. Diese vielversprechende junge Sopranistin sei Bayreuth ans Herz gelegt. Für den erkrankten Wilfried Staber hatte der über einen soliden Bass verfügende Marek Gasztecki den Daland übernommen. Obwohl er relativ kurzfristig eingesprungen war, fand er sich gut in die Regie ein und hat seine Rolle darstellerisch glaubhaft ausgefüllt. Eine etwas tiefgründigere Tongebung hätte man sich von dem den Erik mehr lyrisch als heldisch angehenden Pedro Velázquez Diaz gewünscht. Auch dem Steuermann von Namwon Huh fehlte es an einer vorbildlichen Verankerung seins Tenors im Körper. Ordentlich schnitt Ks. Carolyn Frank als Mary ab.
Eine ausgezeichnete Leistung ist GMD Elias Grandy am Pult zu bescheinigen. Er legte sich ungemein ins Zeug. Zusammen mit dem bestens disponierten Philharmonischen Orchester Heidelberg erzeugte er einen Klangteppich von feuriger Intensität und großer Wucht. Das soll aber nicht bedeuten, dass seine Herangehensweise an Wagners Werk lediglich dramatisch gewesen wäre. Auch fein auszelebrierte lyrische Aspekte und große angelegte Bögen kostete er genüsslich aus. Differenziertheit und Farbigkeit des Klangs wurden an diesem gelungenen Nachmittag ganz groß geschrieben und geben beredtes Zeugnis von dem großen Können des noch jungen Generalmusikdirektors, auf den das Heidelberger Theater zu Recht stolz sein kann.
Fazit: Eine spannende, gut durchdachte Neudeutung. Der Besuch der Aufführung sei jedem Opernfreund ans Herz gelegt.
Ludwig Steinbach, 26.4.2016
Die Bilder stammen von Annemone Taake