Derniere 10.10.2017 (Premiere am 27.9.2017 / Bericht weiter unten!)
Lohnende Wiederentdeckung
Nicola Antonio Porpora (1686-1768), nur ein Jahr jünger als sein großer Londoner Rivale Georg Friedrich Händel (1685-1750). In Italien wetteiferte er zunächst noch mit Leonardo Vinci (1690-1730) um den Rang des populärsten Opernkomponisten Italiens.
Während Vinci den gefragtesten Librettisten seiner Zeit, Pietro Metastasio (1698-1782), für sich lukrieren konnte, hatte Porpora die berühmteren Kastratensänger zur Verfügung. Die einzige musikalische Parallele zu Händels italienischem Opernschaffen besteht in der Arianna ebenfalls in der Verwendung einer im französischen Stil gehaltenen dreiteiligen Ouvertüre. Der Hauptunterschied in der Musik von Händel und Porpora liegt, wie man auch im Programmheft nachlesen kann, hörbar darin, dass Porpora gegenüber dem wuchtigen Orchesterklang Händels mit seinen „regelmäßigen Auftakten und Akzenten auf den schweren Taktzeiten“ wesentlich lebhafter, schwungvoller und weniger statisch komponierte. Anders als bei Händel weist so Porporas Musik bereits auf den galanten, weniger vom Generalbass und den Oberstimmen dominierten Stil voraus. Und durch die beträchtliche Anzahl von Accompagnato-Rezitativen unterscheidet sich Porporas „Arianna“ von 1733 ebenso von Händels „Arianna in Creta“ von 1734.
Zur Ehrenrettung Porporas bzw. seiner musikalischen Rehabilitierung hat das Theater an der Wien zumindest konzertant 2013 „Polifemo“ und vor wenigen Monaten „Germanico in Germania“ vorgestellt. Mit Porporas „Arianna in Nasso“ hat das Theater in der Wien in seiner Dependance in der Kammeroper eine langersehnte szenische Produktion einer Porpora Oper auf den Prüfstand gestellt und dafür die dreiaktige Oper auf ein Libretto von Paolo Antonio Rolli (1687-1765) in zwei Teilen zusammengefasst. Die verwirrende Handlung schildert zunächst Teseos Sieg über den Minotaurus, den Halbruder von Ariadne, und seine Liebe zu ihr sowie seine Freundschaft zu Piritoo. Diese Menage à trois wird von der eifersüchtigen Amazonenkönigin aufgeweicht. Was nun folgt ist sowohl im musikalischer als auch in inszenatorischer Hinsicht eine wahre Tour de Force an ekstatischen Gefühlsausbrüchen „in which everybody seems to become involved“ (frei nach Anna Russell „Ring Cycle“). Am Ende erhält die von Teseo, Antiope und Piritoo auf Naxos zurückgelassene Ariadne immerhin Onaro (Bacchus) zum Trost.
Regisseur Serge Morozov zeigt die handelnden Personen als pubertierende Jugendliche, die von ihren überstarken Gefühlen und Trieben geleitet, nach Selbstverwirklichung und sexueller Identität trachten. Da mag man sich schon mal in homoerotischer Zuneigung versuchen und in High Heels transgendermäßig ausleben. Immerhin entsteht dadurch niemals Langeweile auf der Bühne, denn das Vorgeführte wirkt so heutig so modern, dass es durchaus nachvollzogen werden kann. Ksenia Peretruhina hat dafür einen rund um das Orchester verlaufenden Laufsteg entworfen und im Hintergrund der Bühne eine einfache, studentische Küche positioniert. Die Kostüme von Lyosha Lobanov wirken trashig und reichen von Military Look über zerrissene Jeans bis zu goldglänzenden Uniformen und einem Playboy-Bunny-Kostüm. Das Bach Consort Wien unter Markellos Chryssicos zaubert wunderschönes Neapolitanisches Opernflair aus dem Graben.
Alle Sänger und Sängerinnen verdienen uneingeschränktes Lob für ihre herausragenden Leistungen. Da wäre einmal der Altist Ray Chenez als Teseo mit riesigem Tattoo auf seinem rechten Oberkörper, das er gerne und oft zur Schau stellt. Dann natürlich die beiden Damen Anna Gillingham und Carolina Lippo als Arianna und Antiope in ihren stimmgewaltigen Duellen. Die dunklen äußerst gefälligen Stimmen waren der georgischen Mezzosopranistin Anna Marshania als Onaro und dem Bariton Matteo Loi als Pintoo vorbehalten. Nach zweieinhalb Stunden spendete das Publikum der Derniere allen Beteiligten verdienten Applaus, dem sich der Rezensent mit dem Wunsch nach mehr Porpora (gegenüber dem im Theater an der Wien beinahe schon inflationär präsenten Händel) gerne anschloss.
Harald Lacina, 11.10
Fotocredits. Herwig Prammer