Stiftskirche Klosterneuburg, Vorstellung am 13.9.2019
Goldmarks Meisterwerk in neuem Arrangemen
Von Karl Goldmarks (1830-1915) insgesamt sieben Opern sollte seine erste zugleich auch seine bekannteste werden. Die Mezzosopranistin Caroline von Gomperz-Bettelheim (1845-1925), eine Schülerin Goldmarks, deren Schönheit mit jener der sagenumwobenen „namenlosen“ Königin von Saba verglichen wurde, inspirierte den Komponisten zu dieser Oper, der ihr die Titelrolle auf den Leib schrieb. Gesungen hat sie diese allerdings nie, denn bis zur Fertigstellung seiner „Grand opéra“ sollten noch ganze zwölf Jahre vergehen. Zur Zeit der Uraufführung der Oper wurde die opulente Klangwelt Goldmarks als Gegenstück zu den Monumentalgemälden von Hans Makart (1840-84) empfunden. Hermann Salomon Mosenthal (1821-77), der Librettist, verknüpfte eine tragische ménage-à-trois mit dem Besuch der Königin von Saba am Hof von König Salomon, wie man ihn aus dem 1. Buch der Könige 10,1-13 und als Dublette im 2. Buch der Chroniken 9,1-12 nachlesen kann. Und auch im Neuen Testament wird sie in Mt 12,42 und Lk 11,31 als „Königin des Südens“ bezeichnet.
Freilich wird die in der Oper erwähnte Liebesbeziehung weder in der Bibel noch in Sure 27,22-44 des Koran erwähnt, wo sie den Namen „Bilqis“ trägt. Flavius Josephus bezeichnete sie in den Antiquitates Judaicae 2:249 als Königin von Äthiopien, die den Samen des Weihrauchbaums nach Palästina brachte. Im äthiopischen Werk „Kebra Nagast“ (Der Ruhm der Könige) aus Aksum des 14. Jhd. trägt die Königin den Namen Mâkedâ und soll Salomo in Jerusalem besucht haben und mit ihm Menelik, den Stammvater der äthiopischen Könige, die bis 1975 über Äthiopien herrschte, gezeugt haben. Ob das Reich der Königin im antiken Saba des heutigen Jemen oder in der Region um Aksum in Äthiopien gelegen hat, ist jedoch bis heute ebenso ungeklärt wie die Frage, ob die legendäre Königin eine historische Person zum Vorbild hatte. Am 10. März 1875 wurde Goldmarks vieraktige Oper schließlich in der Wiener Hofoper uraufgeführt. Die für einen Mezzo geschriebene Titelpartie übernahm die hochdramatische Sopranistin Amalie Materna (1844-1918). Der andauernde Erfolg der Oper bis in die späten 20er Jahre des letzten Jahrhunderts beruhte einerseits auf dem damals populären orientalischen Kolorit des Werkes als auch der kongenialen Vertonung durch Goldmark, die sich an den Strömungen von Verdi, Meyerbeer und Wagner orientierte.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verschwand die Oper des jüdischen Komponisten fast gänzlich von den Spielplänen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde sie noch regelmäßig in Budapest aufgeführt und im Goldmarkjahr 2015 auch in Freiburg mit großem Erfolg wiederbelebt. Seit mehr als 80 Jahren wurde „Die Königin von Saba“ in der Stiftskirche von Klosterneuburg wieder szenisch aufgeführt. Der künstlerische und ökonomische Leiter des pianopinissimo musiktheaters, Peter P. Pachl, inszenierte den „Staatsbesuch“ der Königin von Saba bei König Salomo in einer sehr freien Interpretation des biblischen Stoffes vor dem Hintergrund von mehreren Jahrhunderten Menschheitsgeschichte. Die tragische ménage-à-trois entsteht durch die unglückliche Verstrickung von Salomo und seinem Vertrauten Assad mit der Königin, die schließlich in einem Desaster endet. Die Titelfigur der Königin erscheint bei Regisseur Pachl gleichzeitig auch als Lilith, die sich im jüdischen Midrasch, einer Sammlung von Auslegungen der heiligen Schrift, als erste Frau Adams seiner Herrschaft entzieht und im Gegensatz zu Eva, der zweiten Frau Adams, dem Teufel widersteht. Ihre Begleiterin Astaroth, ursprünglich die weibliche babylonische Göttin Ištar, ist ein Dämon, der erst zur westsemitischen Göttin Astarte und später zum androgynen Dämon Astaroth wurde. Um die Darstellung dieses androgynen Dämons Astaroth war im Vorfeld der Produktion ein wahrer Kirchenstreit ausgebrochen, da die Sängerin bei der öffentlichen Generalprobe noch in einem String-Tanga mit umgeschnalltem Dildo um den Altar geschritten war und eine solche Szene, so der Sprecher des Stifts Klosterneuburg, in einer Kirche nichts verloren habe.
In der vom Regisseur sodann „entschärften“ Version trug die Künstlerin dann einen hautengen Body und eine Riesenschlange um den Leib gewunden. Die bilderreiche Inszenierung spannte den Bogen von einer mythischen Urzeit bis hin zum palästinensisch-arabischen Konflikt der Gegenwart. Als ein Symbol des Friedens tauchte dabei immer wieder Marc Chagalls „Pegasus“ (Das Hohelied IV, 1958) auf. Filmeinspielungen zitierten den Konflikt im Nahen Osten in der älteren und jüngeren Vergangenheit. Überstrapaziert wurde aber ein immer wieder kehrender Gag, in dem eine Frau in einem Werbespot eine Dose mit Katzenfutter der Marke „Sheba“ (=das antike Königreich Saba im heutigen Jemen) anpreist und dabei lasziv mit ihrer Zunge über ihre Lippen streicht. Als Antipoden dieser Inszenierung stehen einander auch die Königin von Saba als femme fatale und Sulamith als femme fragile gegenüber, die ihre Bühnenverwandten in Carmen und Ortrud auf der einen Seite und Micaëla und Elsa auf der anderen Seite haben. In den eingestreuten Fernsehreportagen kommentierten eine Berichterstatterin und ein Journalist unhörbar, aber gestenreich, für diverse Fernsehstationen. Der Videokünstler Robert Pflanz, der auch das spärliche Bühnenbild verantwortete, legte die handelnden Personen in Großaufnahmen über die übrigen Videoprojektionen, was zu einer spannungsreichen Erweiterung der Inszenierung beitrug. Der Altarvorraum in Klosterneuburg bot einen prächtigen Rahmen für die Handlungen im Palast und im Tempel, während die Wüstenszenen durch ein einfaches sandfarbenes Bodentuch angedeutet wurden. Auf dem von Nikolaus von Verdun zwischen 1171-81 errichteten Verduner Altar, der in der Leopoldskapelle des Stiftes aufbewahrt wird, erscheint in der vierten Spalte des linken Flügels das Abbild der Königin mit schwarzem Gesicht und die Abbildung dieses Altares wurde als Hintergrundprospekt im Verlauf der Inszenierung mehrfach eingeblendet. Die Gastgeschenke der Königin bestehen aus Kisten, die später als Thron Salomos zusammengestellt und umgedreht als Radiogeräte Marke Saba erscheinen. Am Ende der Oper tritt noch ein Kinderchor auf, der israelische und palästinensische Fahnen schwenkt und als Hoffnung auf eine friedvolle gemeinsame Zukunft einander die Hände reicht.
Claudia Möbius ersann die praktikablen Kostüme und verpasste dem von König Salomo geächteten Assad eine Art Biene Maja Kostüm samt Beißkorb, dessen Bedeutung sich mir nicht erschloss. Manfred Müssauer und die von ihm gegründete Donau Philharmonie Wien oblag die musikalische Leitung der von Steven Tanoto neu arrangierten Fassung der Oper. In der Titelpartie der Königin von Saba glänzte Nadja Korovina mit ihrem feurig-erotischen Sopran. Mit ihrer Ausstrahlung machte sie den Zauber jener sagenumwobenen Königin begreifbar, der sowohl Salomo als auch ein zerrissener Assad nur allzu leicht erliegen mussten. Hans-Georg Priese bot darstellerisch einen äußerst leidenschaftlichen Diener Assad, sein Tenor war allerdings den Anforderungen dieser Partie nicht immer gewachsen. Selbstzerstörerisch wird er zwischen zwei Frauen voller Gegensätze aufgerieben. Axel Wolloscheck war ein wenig respektabler König Salomon mit sonorem Bariton, der die Krone mit den Zacken nach unten trägt, wohl als Zeichen mangelnder Autorität. Alessandra di Giorgio setzte in der Rolle der Astaroth, Sklavin der Königin, ihren eher dunklen Mezzo rollen- und kostümgerecht besonders sinnlich ein. Rebecca Broberg als Sulamith, der enttäuschten Braut Assads, hadert klagend mit ihrem Schicksal, vergibt aber ihrem untreuen Geliebten, der in ihren Armen stirbt. Maximiliano Michailovsky trat gleich in drei Rollen auf.
Als umtriebiger Hohepriester, als Palastaufseher Baal-Hanan und als Tempelwächter sorgte er stets für einprägsame Auftritte. Er trägt ein Brett vor dem Kopf, das mit Richtungspfeilen und roten Handschuhen versehen ist, als Symbol für seine geistige Beschränktheit. Für den „Bewegungschor“ standen jugendliche Flüchtlinge des ÖJAB-Hauses in Greifenstein zur Verfügung. In der heutigen Zeit gewinnt Goldmarks Oper auch dadurch einen besonderen Stellenwert, wenn man bedenkt, dass der Name Assad aus dem Arabischen kommt und „Löwe“ (al-asad) bedeutet. Hatte denn der jüdische Komponist Goldmark damit nicht in weiser Voraussicht die heutige Situation im Nahen Osten mit den verfeindeten Nachfahren der beiden Söhne Abrahams, der Halbbrüder Ismail und Isaak, abbilden wollen? Der warmherzige Applaus des Publikums goutierte die Leistungen aller Mitwirkenden an diesem lauen Spätsommerabend.