Aufführung am 7. Juli 2017
featuring: Christian Gerhaher (Bariton)
Ursprünglich war Christian Gerhahers jüngster Auftritt mit dem WDR Sinfonieorchester unter der Stabführung von Kent Nagano vorgesehen. Frank Martins „Cornet“ sollte bei dieser Gelegenheit Beethovens 5. Sinfonie gegenüber gestellt werden. Aber der Maestro sagte ab. Ersatz fand sich in Eivind Aadland, den WDR-Musikern durch eine Gesamteinspielung der Orchesterwerke Edvard Griegs vertraut, auch auf CD erfolgreich.
Das Einspringen bot dem 61jährigen, aber sehr viel jünger aussehenden Norweger Gelegenheit zu zeigen, dass Überzeugendes nicht nur bei nationaler Affinität zustande kommen kann. Die ursprünglich geplanten, sozusagen „schicksal“haft aufeinander bezogenen Werke wurden jetzt ersetzt durch die chronologisch nachfolgende Sinfonie („Pastorale“) sowie den Liederzyklus „Les nuits d’été“ von Hector Berlioz, bei dem naturhafte Atmosphäre ebenfalls eine Rolle spielt.
Die Berlioz-Lieder opus 7 weisen eine komplizierte Entstehungsgeschichte auf, darüber hinaus divergieren ihre verschiedenen Fassungen hinsichtlich der Besetzung. Zunächst entstand eine Version mit Klavierbegleitung, welche der Komponist wohl mit Überzeugung peu à peu durch eine mit Orchester ersetzte. Die ursprüngliche Verteilung auf vier Frauen- und zwei Männerstimmen macht dramaturgisch wenig Sinn, die atmosphärisch primär düsteren Lieder wirken bei einem einzigen Interpreten stimmungsdichter. Das „Meine Liebste“ in „Auf der Lagune“ nimmt man selbst bei Sopran/Mezzo unschwer hin. Und Frauenstimmen dominieren bei diesem Werk auch im Phonobereich. Nur eine einzige „männliche“ Aufnahme (von 1993) existiert derzeit, aber da ist ein Countertenor am Werk
Ein Bariton (auch Berlioz original) korrigiert das eben erwähnte marginale Detail automatisch. Christian Gerhaher hat den Zyklus sowohl mit Klavier als auch mit Orchester verschiedentlich aufgeführt. Für die sich oft genug in tonlose Kontemplation verlierenden Lieder besitzt er einen idealen Piano- besser: Pianissimo-Stil, der von Fall zu Fall mit markanten Ausbrüchen kontrastiert wird. Die einleitende „Villanelle“ mochte einem zwar etwas überpointiert erscheinen, doch ansonsten vermittelte der vom Publikum heftig akklamierte Sänger das Herz-Schmerz-Spektrum der Berlioz-Musik zutiefst berührend. Neuerliches Fazit: ein wahrhaft singulärer Künstler.
Eivind Aadland entlockte dem Orchester alles notwendige Kolorit, ließ den Klang aber nicht überborden, achtete auf dynamische Ausgeglichenheit und subtile Farben (Flöten). Überraschend dominant freilich die Trompeten in „Die unbekannte Insel“.
Auch bei der Beethoven-Sinfonie überzeugte die Interpretation in ihrer Ausgewogenheit, welche musikalisch Prozesse überzeugend steuerte und Naturschilderungen malerisch umsetzte. Doch nirgends Übertreibung oder gar eitle Vordergründigkeit. Keine spektakuläre Beethoven-Deutung, aber eine auf lebendige Weise dienende.
Christoph Zimmermann 8.7. 2017
Foto © Knut Bry