Hamburg, Konzert: „The dream of Gerontius“, Edward Elgar

Elgars THE DREAM OF GERONTIUS mag nicht das am leichtesten zugängliches Werk seines Schaffens sein. Ich muss gestehen, dass ich vor 50 Jahren, als ich den Komponisten der ENIGMA VARIATIONS entdeckt hatte, nach dem Kauf des Doppelalbums THE DREAM OF GERONTIUS leicht enttäuscht war. Ich nahm die LP Box (Leitung: Benjamin Britten, mit Peter Pears, Yvonne Minton und John Shirley-Quirk) erst wieder als Vorbereitung auf die gestrige Aufführung in der Laeiszhalle wieder aus dem Regal und hörte sie mir unter Mitlesen des Textes einige Male an. Was für eine Entdeckung! Für gewisse Werke braucht es wohl manchmal eine gewisse Reife ;-))). 

Als „awfully solemn and mystic“ kündigte der gläubige Katholik Elgar gegenüber seinem Freund und Verleger Jaeger das ins Auge gefasste Oratorium an. Und so erklang es dann auch gestern Abend in der bemerkenswerten Wiedergabe durch den Franz-Schubert-Chor Hamburg, dessen Leiterin Christiane Hrasky die Aufführung leitete. Frau Hrasky gab zu Beginn des Konzerts eine gut formulierte, sympathische Einführung ins Werk, die vor allem für Menschen, welche diesem Oratorium zum ersten Mal begegneten, sehr hilfreich gewesen sein dürfte. Denn vom englischen Text verstand man leider herzlich wenig. Nichtsdestotrotz ermöglichte das genaue, wunderbar ausbalancierte Musizieren der Symphoniker Hamburg, die fantastische klangliche Homogenität des Franz-Schubert-Chors Hamburg und des zugezogenen Konzertchors der HfMT Hamburg (einstudiert von Prof. Annedore Hacker-Jakobi) für den ersten Teil als auf dem Seitenbalkon positionierter Semi-Chor eine beinahe spirituelle Erfahrung.

Frau Hrasky hob mit ihrem fein ausgehorchten Dirigat vor allem das Metaphysisch-Mystische hervor, liess sich nicht zu aufgeregten dynamischen Ausbrüchen hinreißen, sondern versetzte das Publikum in einen ruhigen, beinahe hypnotischen Fluss innerhalb enger, dynamischer Bandbreiten. Doch wenn dann Emphase angesagt war, wirkte diese umso machtvoller. Damit kam sie bestimmt den Intentionen Elgars sehr nahe. Ich denke mal, es ist meist ein Vorteil, wenn ein*e Chordirigent*in ein solches Werk leitet, denn er/sie kennt das Notenmaterial meist weit besser als ein reiner Konzertdirigent, der meist nur für die letzten Gesamtproben vor Ort ist. Die große Partie des Gerontius wurde vom Tenor Richard Resch mit ganz wunderbarer Innigkeit gesungen. Höhepunkt sicher das ausdrucksstark vorgetragene Glaubensbekenntnis Sanctus fortis, Sanctus Deus. Richard Reschs Stimme klang berückend fein und sicher geführt, ihre sanft bronzene Färbung und die unangestrengt fließende Ansetzung der Töne, sowie sein gerundetes Phrasieren und das schöne Legato-Singen mit den feinen Piani waren bewundernswert. Im Finale des ersten Teils bereicherte der Bariton Johannes Schwarz als Priester mit seiner effektvoll-wuchtigen, schwarz gefärbten Stimme Gerontius‘ ergreifenden Übergang ins Jenseits.

Schon das Vorspiel des Oratoriums mit seiner Exposition der wichtigen Themen und Leitmotive war ausgesprochen differenziert erklungen. Diese feine Austarierung des Klangs gelang den Symphonikern Hamburg und der Dirigentin Christiane Hrasky auch in der Einleitung

zum zweiten Teil nach der Pause. Eine wunderbar parfümierte Süße des Klangs breitete sich aus. Nun trat Friederike Schorling als Engel in Erscheinung und führte Gerontius‘ Seele über Dämonen zu den himmlischen Engelscharen und zu Gottes Thron. Dieser zweite Teil wirkt mit den Dämonen-Chören und den dazu kontrastierenden Chören der Engel und der Seelen im Purgatory (das ja kein eigentliches „Fegefeuer“ sondern ein Ort der Reinigung von Schuld ist) ein Stück „opernhafter“ als der erste Teil; ein Hauch von PARSIFAL wehte durch den Raum. Friederike Schorling gestaltete ihre von Elgar so dankbar komponierte Partie mit wo geboten sanft, dann wieder dramatisch aufwallend eingesetztem Mezzosopran. Die Chöre begeisterten und berührten mit ihren mal dämonischen dahinflirrenden, dann wieder himmlisch erhaben leuchtenden Gesängen, der Bariton Johannes Schwarz als ausdrucksstarker Engel der Todesangst mischte sich effektvoll ein, die für Elgars Musiksprache so typischen Modulationen und Wendungen verbreiteten spätromantisches Glühen, eine nur von der Pauke begleitete a cappella Passage des fabelhaften Chors ließ aufhorchen und mit einem wunderschön tröstlich intonierten Praise to the holiest – Amen endete das Werk. 

Foto vom Rezensenten

„This is the best of me … this, if anything of mine, is worth your memory.“ Dieses Zitat von John Ruskin setzte Sir Edward Elgar unter seine fertiggestellte Partitur. Mag ja sein, dass der Komponist das so empfunden hat, persönlich aber möchte ich trotzdem weder seine ENIGMA VARIATIONS, noch die 1. Sinfonie noch das Cellokonzert missen!

Kaspar Sannemann 17. November 2025


The dream of Gerontius
Edward Elgar
Hamburg Laeiszhalle

15. November 2025

Leitung: Annedore Hacker-Jakobi
Franz-Schubert-Chor Hamburg
Konzertchors der HfMT Hamburg 
Symphoniker Hamburg