Kopenhagen: „Champagner-Galopp“, Hans Christian Lumbye

Wiener Walzer auf Dänisch: Release-Konzert der Champagne-CD des Concerto Copenhagen mit Ersteinspielungen des „Johann Strauß des Nordens“.

Der Glaspalast (Glas-Saal) des Tivoli heute / © Tivoli, Kopenhagen

Im Sommer kann man an den meist unerwarteten Orten Musik entdecken, so wie im Vergnügungspark Tivoli in Kopenhagen, der mit einem anspruchsvollen Konzertprogramm seinen 180-jährigen Geburtstag feiert. Denn Musik war 1843 die Hauptattraktion bei der Eröffnung des Lustparks. Ganz wie in den Vauxhall-Gardens in London, in denen Händel schon im 18e Jahrhundert viele seiner fröhlicheren Werke aufgeführt hatte, wie das Oratorium „Susanna im Bade“ und das spektakuläre „Music for the Royal Fireworks“ (mit echtem Feuerwerk!). Feuerwerke gab es noch nicht in Kopenhagen und die heute so beliebten Achterbahnen (damals Rutschbahnen) und Karussells wurden noch durch Pferde gezogen, aber bei jeder Attraktion gab es oft mehrere kleine Musik-Kapellen. Die Hauptattraktion war der „Glaspalast“, ein einfacher Saal, in dem man auch essen und trinken konnte, und aus dem durch offene Fenster die Musik nach draußen strömte, um das neugierige Publikum zu locken. Denn fröhliche Konzert-Musik war damals für 90 % der Bevölkerung Kopenhagens etwas ganz Neues – man kannte eben die sonntägliche Kirchen-Musik und nur die „oberen 10.000“ gingen damals in die Oper – wo in den 1840 Jahren auch Konzerte nachgespielt wurden, die meist erst am Hof gegeben waren. Der Spiritus Rector dieser Erneuerung war der dänische Kapellmeister und Komponist Hans Christian Lumbye (1810 – 1874), der kurz zuvor in den Gärten des damaligen Hôtel d’Angleterre (es steht heute noch) die Musik gehört hatte, die sich in einem atemberaubenden Tempo über ganz Europa verbreitete: die Walzer, Polkas, und Galopps von Johann Strauss I (1804 – 1849) und Joseph Lanner (1801–1843). Ein gewisser Herr Stiegl aus der Steiermark war mit 16 Musikern nach Kopenhagen gereist und hatte dort einen so großen Erfolg, dass Lumbye (ausgesprochen Lumbü), der anscheinend ein etwas eintöniges Leben führte als Trompeter (und gleichzeitig auch Geiger) in einer marschierenden Militärkapelle, beschloss, auch solche Wiener Walzer zu komponieren und diese mit einem eigenen Laien-Ensemble auf Tanzfesten aufzuführen. Der Erfolg war phänomenal, auch weil Lumby als erster dänischer Komponist galt. (Niels Wilhelm Gade war 1843 gerade nach Leipzig aufgebrochen, wo er einer der Lieblingsschüler von Mendelssohn wurde und als Geiger in den Gewandhauskonzerten mitwirkte – sein Ruhmeszeit als Komponist würde erst später beginnen.) Also Wiener Walzer auf Dänisch.

Der Glas-Saal des Tivoli 1843 bei seiner Einweihung und der Ernennung von Hans Christian Lumbye zum „ständigen Kapellmeister“ © CD-Booklet Champagne!

Wir kennen das Alte Musik-Ensemble Concerto Copenhagen schon seit 30 Jahren – aber nicht in diesem Repertoire. Obwohl es sich wie viele Spezialisten-Orchester auf Originalinstrumenten nun auch mehr und mehr dem 19. Jahrhundert zuwendet: einer ihrer letzten Platten war eine sehr besondere „Erlkönigs Tochter“ von dem gerade erwähnten Niels Wilhelm Gade. Die CD erschien 2019 und dann kam die Pandemie: Zeit für Recherchen zu Themen, für die man sonst keine Zeit hat. So vertiefte sich der Dirigent und künstlerischer Leiter Lars Ulrik Mortensen in die vollkommen unbekannten 700 Werke (!!) von Lumbye, auf die ihn der Musikwissenschaftler Henrik Engelbrecht aufmerksam gemacht hatte, der auch einen köstlichen Artikel im CD-Booklet geschrieben hat, „Top of the Pops in 1840s Copenhagen“. Engelbrecht leitete auch das Konzert ein und animierte es als Conférencier – offensichtlich mit sehr viel Humor, denn das Publikum hat so viel gelacht, wie man es selten in einem Konzert mit klassischer Musik hört. Leider sprechen wir kein Dänisch!

Das Concerto Copenhagen und sein energischer Dirigent Lars Ulrik Mortensen / © Foto
Mathias Løvgreen

Als der schöne alte Kronleuchter hochgefahren war und die Musik erklang, mussten wir erst einmal alte Hörgewohnheiten ablegen. Denn z.B. der berühmte „Champagnergalopp“, Lumbyes bekanntestes Werk, das gelegentlich auch auf den Neujahrskonzerten der Wiener Philharmoniker gespielt wird, klang ganz anders als wir es gewohnt sind. Das lag nicht nur an den historischen Instrumenten, auf 430 Herz gestimmt, sondern vor allem an der Orchester-Besetzung: Auf 11 Streicher kamen 13 Bläser, die ihre Kollegen etwas übertönten, auch weil sie anders klangen als gewohnt. Denn z.B. eine historische Oboe oder Klarinette spielt lauter als eine historische Trompete und der Ton selbst ändert sich andauernd, da ein Klarinettist in einer Stunde auf mindestens fünf verschiedenen Instrumenten spielte. (Die vielen alten Blasinstrumente, die wir zum Teil gar nicht kannten, werden übrigens anschaulich im CD-Booklet vorgestellt.) Dazu kam das sehr energische Dirigat von Lars Ulrik Mortensen, den wir als Barock-Dirigent bei z.B. Buxtehude ganz anders erinnern. Das war Absicht, denn er erklärte uns danach, dass Lumby weniger Wert auf Dirigieren legte (er spielte die erste Geige), als auf Schwung und gute Laune bei seinen Musikern, mit denen er von Frühling bis Herbst, den ganzen langen Sommer jeden Abend auftreten musste (nur bei starkem Regen, der dann in den offenen Glas-Saal drang, wurde abgesagt). Zusammen Trinken war dann das beste Bindemittel und wenn ein neues Stück offiziell 4 Stunden lang geprobt wurde, spielte man es einmal durch und verbrachte dann 3 Stunden vor der Vorstellung gemeinsam im Wirtshaus). Doch auf der CD klingt alles lupenrein und stimmt auch die Balance zwischen den Streichern und Bläsern. Der „Star des Abends“ – wenn man schon einen einzelnen Musiker in diesem seit vielen Jahren zusammengeschworenen Ensemble nennen will – war für uns der Perkussionist Jakob Weber. Nicht nur ein „Schlagzeuger“, denn er hatte aus der/seiner Sammlung von 300 Instrumenten (!) im Radio-Symphonie-Orchester, ganze 15 dabei, mit u.A. Vogelstimmen (z.B der Kukuck). Es fehlten nur echte Champagner-Flaschen, denn bei Lumbyes Konzerten im damaligen Tivoli wurden diese anscheinend auch im Zuschauerraum mit Knallen entkorkt durch eine zweite Kapelle hinten im Saal, die zwischen den Stücken des Hauptorchesters spielte. Die Musik hörte nie auf!

Plattencover für Musik, die wie Champagner klingt © Concerto Copenhagen

Zur Musik selbst kann man danach eigentlich nur noch wenig sagen. Der „Sølvbryllupsvals“, Waltzer für die Silberhochzeit von Königin Amalie, nach der noch die heute die Residenz der dänischen Könige Amalienborg benannt wird (1840), das „Andante cantabile e Tarantella“ für ein Konzert der großen schwedischen Sängerin Henriette Nissen (in Wien bekannt als Henriette Saloman- Nissen, 1843) und „Bellmans fest på Djurgården“ (für ein Fest der Bellmans auf der Djurgården-Insel) – alle drei Ersteinspielungen – klingen recht ähnlich. Der Galopp „Echo fra de gamle guder på Tivoliøen“ (Galopp für den Einzug der alten griechischen Götter auf der neuen Insel im Tivoli-See, 1844), ist viel origineller, weil man die Trink-Liebe der verschiedenen Götter richtig hört. So schlägt der Feuergott Vulcanus mit richtigen Hammern auf den Amboss – ähnlich wie einige Jahre später der Junge Siegfried bei Wagner. Aus „Figaro Vals“ (Figaros Walzer, 1841) hört man Rossinis Figaro und so ist es absolut passend, dass auch der erstaunliche Walzer „Die Mozartisten“ von Joseph Lanner (Opus 196, 1842) mit ins Konzert (und auf die CD) kam. Ein herrliches „Pot-Pourri“ mit Melodien aus der „Zauberflöte“ und „Don Giovanni“, die erstaunlich zusammengesetzt sind. Wir fangen an mit den „Zur Hilfe“-Rufen von Tamino, auf die erst die Königin der Nacht und Sarastro antworten – feierlich, passend zu dem gerade eröffneten „Ägyptischen Tempel“ im Tivoli (samt ausgestopften Krokodil, das anscheinend auch Champagner trank). Doch dann tanzen alle auf Papagenos Flöte und geben sich die Hand bei „Là ci darem la mano“ und enden natürlich mit „Fin ch’al dal vino“, der „Champagnerarie“, die mit Sarastros Priestern ausklingt. Dazu diente damals diese Musik – zu der übrigens nicht getanzt wurde. Sie brachte populäre Opernarien zu einem Publikum, das nicht in die Oper ging. Und das gelingt auch dieser vergnüglichen CD: Champagne!

Waldemar Kamer, 23. August 2023


Champagner-Waltzer
Hans Christian Lumbye

Glaspalast des Tivoli, Kopenhagen

Besuchte Vorstellung: 20. August 2023

Musikalische Leitung: Lars Ulrik Mortensen
Orchester: Concerto Copenhagen

CD: „Champagne! The Sound of Lumbye and his idols“ bei Naxos
Infos & nächsten Lumbye-Konzerte des Concerto Copenhagen: www.coco.dk

Champagne-Trailer