Wuppertal, Open Air Konzert: „Eröffnung der 163. Konzertsaison“, Sinfonieorchester Wuppertal & Patrick Hahn

Seit Jahren schon beginnt die Konzertsaison des Sinfonieorchesters Wuppertal in frischer Luft auf dem Laurentiusplatz Da kommt vor der Basilika Minor in Folge des Klimawandels mediterrane, südländische Stimmung auf, wenn Orchesterklänge in lauer Sommernacht das zahlreiche, bis in die Nachbarstraßen stehende Publikum begeistern. Ukrainekrieg, Nahostkrieg und Gaza, Naturkatastrophen, wie aktuell die Überschwemmungen in Pakistan, verschwinden nicht bei einem Konzert, aber werden für einen Weile wenigstens verdrängt. Das war bei dem Sommerabendkonzert unter GMD Patrick Hahn in Elberfeld – selbst das Wetter hat nach Starkregen am Ende noch mitgespielt – tatsächlich zu spüren.

© Johannes Vesper

Zu Beginn gab es die Ouvertüre der Märchenoper Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdink (1854-1021). Der musikalische Assistent Richard Wagners für die Parsifal – Uraufführung wurde wegen seiner Orientierung an des Meisters Orchestersprache gelegentlich, als dessen Epigone bezeichnet. Das Orchester, welches ja Wagners Ring als konzertante Gala-Aufführung in Kürze startet, legte mit heiligem Blech, getragenen Streichern, eingestreuter Cellokantilene ganz im Sinne des Meisters los. Unter Pizzicato und drohendem Bass unter hohem Holz nahm das Stück Fahrt auf, um zuletzt verhalten und leise zu enden. Die Oper stand in der letzten Spielzeit auf dem Spielplan der Barmer Oper, war dem Publikum also großteils bekannt. Patrick Hahn sprach nach dem Applaus davon, dass das Stück meist im Winter gespielt wird – schon die Uraufführung an hatte am 23. Dezember 1893 stattgefunden (unter Richard Strauss in Weimar) – und kündigte Felix Mendelssohn-Bartholdys Konzertouvertüre Die schöne Melusine an, sprach von der märchenhaften Liebe, von Gut und Böse, und dem Schicksal des Mädchens, welches als Meerjungfrau den Rest ihres Lebens mit Monoflosse verbringen musste. Die Ouvertüre, für Robert Schumann schießende Fische mit Goldschuppen, Perlen in offenen Muscheln begann in wogendem 6/8 Wagnerlawei hier der Streicher, vor allem der Celli (nicht wie im Rheingold der Rheintöchter), bis dann mit aufgeregtem Stakkati schneller Sechzehntel Repetitionen der Ernst der Emotionen Raum griff. Auch mit diesem Werk wird auf den anstehenden konzertanten des „Ring“ Bezug genommen. Nach einem letzten Wallala-Weiala-Wogen im Pianissimo brachten uns krächzend abfliegende Krähen zurück in die Realität und es regnete immer noch nicht.

Musikalisch aber gab es mehr Wasser, nicht zu bewältigende Fluten mit dem berühmtesten Werk von Paul Dukas (1865-1935) “Der Zauberlehrling“ (nach Goethes Ballade), Programmmusik von 1897. Da beginnt der Besen zunächst langsam als tiefes Blech und Holz, stampft aber bald mit den Wassereimern in steigendem Tempo hin und her. Das Wasser fließt und strömt bei steigendendem Engagement der Streicher bis in einer Generalpause der Besen zerbricht, sich aber tatsächlich wieder erholt (unanständig tief und rau Kontrafagott und Bassklarinette) und die Katastrophe erneut anhebt. Sie ging heute glimpflich und musikalisch amüsant zu Ende und große Teile des Orchesters verließen die Bühne. Denn das Konzert für Violoncello und Blasorchester von Friedrich Gulda (1930-2000) bedarf der Streicher nicht (bis auf einen Kontrabass).

© Johannes Vesper

Friedrich Gulda (1930-2000), Wolfgang Amadeus Mozart wesensverwandt im Geiste, war für jeden Spaß, für jeden Unfug zu haben, hat schon nackt auf der Bühne Krummhorn gespielt, und eigene Todesanzeigen verschickt, um wenig später im Konzert, sozusagen pianistisch wiederbelebt, aufzuerstehen. Als Pianist gehörte er zur Weltklasse und hat u.a. Martha Argerich unterrichtet. Sein Cellokonzert, für Heinrich Schiff geschrieben, bietet dem Solisten zahllose Möglichkeiten jeden noch so absurden Klang aus dem Instrument herauszuholen. Das Stück ist ein Potpourri zwischen Jazz, alpenländischer Blasmusik, Schubert, Schlaflied, barocker Sarabande zu Lautenbegleitung. Für das technisch außerordentlich anspruchsvolle Konzert hatte man mit Bryan Chen, in Kanada geboren und in Berlin lebend, einen jungen Weltklassecellisten gewonnen, der mit Spielwitz, dem Schalk im Nacken, zeitweise allen Fingern gleichzeitig auf dem Griffbrett und fliegendem Bogenarm in affenartigem Tempo seinem Cello von Stradivari (1699) ein hochamüsantes, aufregendes Klangchaos bot, wie man es nicht oft erlebt. Bei der eigentlich auskomponierten, langen Kadenz improvisierte er zusätzlich, ließ Martinshorn mit Vogelgezwitscher konkurrieren. Bryan Cheng hat mit 14 Jahren in der Carnegie Hall debütiert und mit 20 Jahren in der Elbphilharmonie (mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen) und spielt Cello überall auf der Welt. Wir erlebten rund 30 Minuten atemlos die Wonnen raffiniertester musikalischer Banalität und das Publikum jubelte.

Die Maskerade von Aram Chatschaturjan (1903-1978) entstand als Bühnenmusik für die Tragödie einer liebenden Frau, die von ihrem unberechtigt eifersüchtigen Mann getötet wird. Russische Leidenschaft und Liebe, ungezügelte Emotionen beherrschen das fünfsätzige Werk vom rauen, robusten Walzer am Anfang bis zum Galopp am Ende. Wunderbar erhob sich die Solovioline Nicolai Mintchevs in den dunklen Abendhimmel. Für tosenden Applaus bedankten sich Patrick Hahn und das Sinfonieorchester tatsächlich ohne Gewitter aber doch mit Unter Donner und Blitz von Johann Strauß und mit dem Cancan aus Orpheus in der Unterwelt von Jaques Offenbach.  Der stimmungsvolle Konzertabend wird dem begeistertem Publikum Lust auf die neue Saison gemacht haben.  

Johannes Vesper 1. September 2025


Eröffnungskonzert der neuen Saison
Open Air
Laurentiusplatz Wuppertal
30. August 2025

Engelbert Humperdink: Ouvertüre der Märchenoper Hänsel und Gretel von
Felix Mendelssohn Bartholdy: Konzertouvertüre Die schöne Melusine

Robert Schumann: Schießende Fische mit Goldschuppen, Perlen in offenen Muscheln
Aram Chatschaturjan: Maskerade
Paul Dukas: Der Zauberlehrling

Friedrich Gulda: Konzert für Violoncello und Blasorchester

Solist: Bryan Cheng
Dirigat: Patrick Hahn
Sinfonieorchester Wuppertal