Flensburg, Ballett: „Equinox“, Emil Wedervang Bruland

Das Ballett des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters hat mit seiner jüngsten Premiere erneut bewiesen, dass berührende choreografische Abende nicht nur in den Metropolen dieser Welt, sondern auch in der sogenannten „Provinz“ in ebenbürtiger Qualität zu erleben sind.

© Henrik Matzen

Emil Wedervang Brulands neuer Tanztheaterabend EQUINOX kreist um den Moment des Gleichgewichts – jenen seltenen Zustand, in dem Tag und Nacht sich die Waage halten. Von diesem astronomischen Phänomen ausgehend, entwickelt der Choreograf eine vielschichtige Reflexion über das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt. Im Zentrum steht die Idee der Balance als dynamischer Prozess, als fortwährende Bewegung zwischen Gegensätzen: Licht und Dunkelheit, Natur und Technik, Kontrolle und Hingabe.

Bruland entwirft ein Ballett, das sich bewusst jeder linearen Erzählung entzieht. Statt klarer Figuren oder Botschaften entstehen abstrakte Bilder, in denen Körper, Raum und Klang zu einem poetischen System der Spiegelungen verschmelzen. Dabei bleibt den Tänzerinnen Perla GalloLaura Elizalde GarcíaYi-Han HsiaoKyoko OkuRisa TeroMeng-Ting Wu und den Tänzern Ben Silas BepplerChu-En ChiuWilliam Gustavo De BarrosYun-Cheng LinEmanuele Senese und Gijs Machiel Stenger genügend Raum, in solistischen Passagen ihre individuelle Klasse zu zeigen. Das eigentliche Wunder dieses Abends liegt jedoch im unglaublich vertraut wirkenden Zusammenspiel der Company: Harmonischer lässt sich eine Gruppe optisch so unterschiedlicher Menschen kaum aufeinander einstellen. Die Choreografie lässt das Publikum immer wieder über neue Formationen staunen – und man hat den Eindruck, selbst wenn die Tänzer nachts geweckt würden, um das Stück in völliger Dunkelheit aufzuführen, sie würden es ebenso souverän und harmonisch meistern wie an diesem Premierenabend im Stadttheater Flensburg.

Wie Dramaturgin Susanne von Tobien im sparsamen Programmheft treffend formuliert, ist EQUINOX weniger ein Gleichgewichtszustand als ein tastendes Ringen darum – ein Versuch, in einer Welt der Extreme die eigene Mitte zu finden. Die Bühne (Stephan Anton Testi) zeigt einen Ort des Übergangs – halb industrieller Raum, halb organische Landschaft –, an dem sich die Kräfte von Natur und Mensch nicht bekämpfen, sondern gegenseitig durchdringen. Nach der Pause erscheint das Bühnenbild gespiegelt: So könnte man sagen, dass der erste Teil des Stücks vor der Tag- und Nachtgleiche spielt und der zweite danach.

© Henrik Matzen

Das Bühnengeschehen bildet mit der Musik von John Adams, Erkki-Sven Tüür, Pēteris Vasks, Mieczysław Weinberg und Samuel Barber, live gespielt vom Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchester unter der Leitung von Sergi Roca Bru und der Pianistin Sang Ah Park, eine organische, in sich schlüssige Einheit.

Dramaturgisch wäre Zwischenapplaus an einigen Stellen denkbar gewesen, doch das Geschehen zog das Publikum so stark in seinen Bann, dass sich die konzentrierte Spannung erst beim Schlussapplaus in frenetischen Jubel verwandelte.

Marc Rohde, 11. November 2025


Equinox
Ballett von Emil Wedervang Bruland
Musik von John Adams, Erkki-Sven Tüür, Pēteris Vasks, Mieczysław Weinberg und Samuel Barber

Flensburg, Landestheater

Premiere am 8. November 2025

Choreografie: Wedervang Bruland
Dirigat: Sergi Roca Bru 
Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchester

Trailer auf Youtube.