Linz: „Der Rosenkavalier“, Richard Strauss

Vor acht Jahren gelangte Hermann Schneiders durchdachte und bewegende Inszenierung der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal am Musiktheater Linz zur Aufführung, die vom Österreichischen Musiktheaterpreis 2019 zurecht als beste Gesamtproduktion im Bereich Oper ausgezeichnet wurde. Nun widmet sich der Intendant, wiederum zusammen mit Markus Poschner am Pult des Brucknerorchesters, mit „Der Rosenkavalier“ der wohl bekanntesten Oper dieser kongenialen Zusammenarbeit. Dabei zeigt er, dass diese „Komödie mit Musik“ nur an der Oberfläche mit Komik und Witz spielt, sich dahinter aber weitführende Gedanken zurzeit, vor allem der unwiderruflich vergehenden, verbergen, auf Ebene des Individuellen wie in Hinsicht auf ganze Gesellschaftsformen. Innerhalb dieser Reflexion der Vergänglichkeit fokussiert Schneider jedoch auch auf das übergriffige Verhalten eines sich selbst überschätzenden Mannes, welches den konkreten Ochs übersteigt und als soziales Problem durch alle Zeiten hinweg sichtbar wird. Auch musikalisch bot diese Premiere durch eine glanzvolle Besetzung, vor allem in den vier Hauptrollen, eine Aufführung auf hohem Niveau.

Die Zeit, die ist ein sonderbar’ Ding…

Inmitten einer Umbruchszeit, einem zeitlichen Vakuum reminisziert Hofmannsthal im „Rosenkavalier“ nicht ohne Wehmut die Welt der Monarchie, die bereits im Bewusstsein ihres Niedergangs lebt. Repräsentantin dieses schon nicht mehr glanzvollen Adels ist die Marschallin, nicht zufällig Marie Theres genannt, die zwar vorrangig über ihr eigenes Älterwerden und das Flüchtige aller schönen Dinge sinniert, damit aber zugleich die zu Hofmannsthals Zeit unausweichliche gesellschaftliche Veränderung versinnbildlicht. Während ihre würdevolle und ehrenhafte Zurückstellung des Eigenen und die Akzeptanz des Verstreichens der Zeit mit all seinen Folgen auf menschlich-individueller Ebene berührt wie beeindruckt, führen die dem zugrundeliegenden Gedanken nicht zu einer Reflexion des fürstlichen Standesdaseins, vielmehr scheint sie mit dem Festhalten an adeligen Gebräuchen zumindest äußerlich für Sicherheit sorgen zu wollen.

© Thilo Beu

Auch bei Hermann Schneider wird diese Welt des Adels im ersten Akt noch sichtbar: Das Gemach der Marschallin erscheint in gewohntem Rokoko-Stil, Kleider und Perücken greifen in moderner Brechung traditionelle Moden auf. Auch das morgendliche Lever findet in vorgesehener Manier, wenn auch etwas unruhig statt – der Hinweis des Dramaturgen Christoph Blitt, diese Szene sei dramaturgisch „völlig überflüssig“ lässt jedoch vermuten, die Gestaltung wolle der grundsätzlichen Anlage eben dieser entsprechen –, die üppige Dekoration des Bettes mit Sonnenmotiv erinnert gar an Ludwig XIV., der diese Form der Audienz zuerst einführte. Doch bereits zum Ende des ersten Aktes vollzieht sich eine dynamische Veränderung, noch während die Marschallin sich mit berührender Stärke dem Verstreichen der Zeit fügt, bewegen sich Bühnenelemente und führen so fließend in eine neue Epoche. Hinter den Türen des Gemaches werden nach der klassischen Hofeinfahrt eines Stadtpalais eine Jugendstilszenerie mit Palmen sowie die nächtliche Skyline einer modernen Großstadt sichtbar. Dieses szenisch und ästhetisch gelungen dargestellte Fließen der Zeit mit all seinen weitreichenden Folgen setzt sich im Laufe des Abends fort und enthebt damit die eben nur vordergründig komödiantische Handlung gewissermaßen der Zeit, sodass zeitunabhängige und immer unzeitige Themen in den Vordergrund rücken können.

Eine Reise durch die Epochen

Die bereits als Vision der Marschallin sichtbar gewordene Zeit des Jugendstils bildet sodann den Schauplatz des zweiten Aktes, ebenfalls in einer geschmackvollen Balance aus Authentizität und moderner Interpretation in Bühne (Dieter Richter) und Kostümen (Meentje Nielsen). Doch nicht nur die äußerlich sichtbare Welt hat sich verändert, auch der starke Kontrast zwischen Marschallin und Sophie im Umgang mit ihrer jeweiligen Lebensgestaltung und Vorstellung von glücklicher Liebe wird eindrücklich sichtbar. Tatsächlich fügt sich Sophies Auflehnen gegen eine Ehe mit dem widerwärtigen, übergriffigen Ochs besser in die hier gezeigte spätere Zeit – wenngleich es realiter auch in dieser wohl noch für die gleiche Reaktion Faninals gesorgt hätte – als in die Epoche Maria Theresias. Die zuerst überraschend klassisch dargestellte Schlüsselszene, die Überbringung der silbernen Rose durch den Kavalier, wirkt beabsichtigt antiquiert und rückt erneut sowohl die weitreichenden Veränderungen der Gesellschaft im Laufe der Zeit als auch die Bedeutung von überkommenen, womöglich nicht mehr zeitgemäßen, in diesem Fall trotz authentischer Wirkung nicht einmal realer Konventionen in den Blick. Besondere Aufmerksamkeit zieht die übergroße Abbildung von Franz von Stucks Gemälde „Die Sünde“ auf sich, dort positioniert, wo im ersten Akt die Marschallin sich selbst melancholisch in einem Spiegel betrachtet. Die dadurch angeregten Gedanken, ob und inwiefern sie jene auf dem Bild typisiert, gezeigte femme fatale ist, mit allen ikonologischen Implikationen, erhalten in der Inszenierung keine Beantwortung, sind aber auf assoziativer Ebene, wie auch rein ästhetisch, ansprechend. Auch die aufkeimende, die Konventionen der älteren Generation brechen wollende Liebe der Jugend fügt sich harmonisch in die Frische und Natürlichkeit des Jugendstils, findet aber vor allem im dritten Akt zu ihrer wahren Freiheit. Dieser ist bei Schneider in der Moderne angesiedelt, statt in einem Beisl spielt sich die Octavian’sche Farce in einem Nachtclub ab, dessen exzentrisch gekleidete Besucher perfekte Schauspieler für die durchdachte Entlarvung des Barons abgeben.

© Thilo Beu

Sowohl im Bühnenbild, dessen Zentrum die auf einer an Damien Hirst erinnernden Haiskulptur positionierte Bartheke bildet, als auch im überraschenden Beginn, wenn Strauss’ Musik zuerst einer Soundcollage von Christine Hinterkörner, in der Uhrenticken und das Zirpen von Grillen das Verstreichen der Zeit hörbar werden lassen, weichen muss, bildet dieser dritte Akt den zwar gewagten, aber äußerst gelungenen Höhepunkt der Inszenierung. Die Polizisten erscheinen in heute üblicher Uniform, die Marschallin fährt in einem Porsche vor, selbst Baron von Ochs trägt nun einen modernen Anzug. Die Verlegung in die Gegenwart birgt auch ein im Stück bereits angelegtes Spiel mit Geschlechterrollen und -normen in sich, denn Octavians weder eindeutig männliches noch eindeutig weibliches Aussehen führt am Ende zu einem gedanklichen Hinweis auf das Aufbrechen von Konventionen in Liebe und Sexualität.

Eine Spur Hofmannsthals durch die Zeit

Während in Hofmannsthals Libretto neben den zahlreichen am Lever beteiligten Personen noch einige weitere Bedienstete vorgesehen sind, konzentriert Schneider all diese in einer Figur, die nun auch das gesamte Stück über als Faktotum präsent ist, jedoch nicht nur dient, sondern gleichsam für die Zeit verantwortlich zu sein scheint. Diese Figur trägt den Namen Loris – jenes Pseudonym, das Hofmannsthal als Schüler wählte, um bereits publizieren zu können. Dadurch eröffnen sich mehrere Bedeutungsebenen, die der Inszenierung weitere Tiefe verleihen. Zum einen scheint es, als wäre Hofmannsthal selbst im Hintergrund stets als derjenige präsent, der alles Gezeigte gestaltet hat und durch das Verfassen dieses die sich verändernde Zeit reflektierenden Werkes gewissermaßen mit den Konventionen und Bräuchen spielt. Zum anderen erweckt die Figur, unaufdringlich, aber eindrücklich gespielt von Christine Hinterhäuser, deren eigene Soundinstallation so als Musik des Nachtclubs fungiert, den Eindruck der Zeit selbst, wie dies zum Beispiel in Barrie Koskys „Rosenkavalier“-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper eindeutig der Fall ist. Auch diese personifizierte Darstellung der Zeit, die geschickt in das sich wandelnde Geschehen eingefügt ist, als Figur gewissermaßen schwankend zwischen Faktotum und Fatum, birgt einen großen Reiz und lässt die dem gesamten Werk zugrundeliegende philosophische Ergründung der Zeitlichkeit präsent werden.

… hat sich nicht so, wie er sollt’, betragen.

Das Durchschreiten dreier Zeitepochen, das zu einer Überzeitlichkeit führt, die das an sich sehr zeitlich konnotierte Werk auf eine davon abstrahierte Ebene führt, wird von Schneider jedoch auch genutzt, um auf das eigentlich zentrale, inakzeptable Verhalten des Barons zu fokussieren und den „Rosenkavalier“ damit gewissermaßen in die „Me too“-Debatte einzuordnen. Das ohnehin widerliche Verhalten des Ochs wird in dieser Inszenierung noch deutlich zugespitzt, besonders im zweiten Akt, wenn er Sophie nicht nur bedrängt, sondern sie gar aufs Bett wirft und ihr gegen ihren Willen seine körperliche Nähe aufzwingt. Doch bereits bei seinem ersten Auftritt dringt er gegen mehrfache Mahnungen in das Gemach der Marschallin vor, obwohl er sicherlich nicht akzeptierter Teil des Levers ist, belästigt den als Mariandl verkleideten Octavian und setzt dieses Verhalten noch zugespitzt im „Beisl“ fort. In diesem lässt ihn Schneider mit Rollator erscheinen, der klare Erinnerungen an Harvey Weinstein vor Gericht wachrüttelt. Doch bedeutender noch als das Verhalten des Barons sind die Reaktionen der Anwesenden: Die Marschallin findet seine Gegenwart zwar sichtlich unangenehm, unternimmt jedoch nichts gegen die Bedrängung des Mariandl. Als sich der Ochs zum ersten Mal Sophie vorstellt, sind dort zahlreiche andere Personen, die zwar im Falle der Intriganten bereits Pläne schmieden, unmittelbar aber nicht eingreifen. Nicht einmal die Duenna, deren einzige Aufgabe es wäre, für Anstand zu sorgen, lässt es einfach geschehen, dass dieser widerwärtige Kerl ihren Schützling misshandelt – von Sophies Vater ganz zu schweigen, der all dies geschildert bekommt, dem aber kein Gehör schenkt, sondern umso mehr auf die Eheschließung drängt. In der Farce des dritten Akts gehört das Geschehen lassen zwar zum größeren Plan, doch zumindest die Polizisten müssten stärker auf das strafbare Verhalten achten. Typisch ist auch die Reaktion, als der Baron leicht verwundet wird, jedoch sofort eine Szene macht, als wäre er nicht derjenige, der viel größere Verletzungen zugefügt hat. Das als Dekoration im Nachtclub eingefügte Zitat „A rose is a rose is a rose“ von Gertrude Stein deutet so nicht nur auf dessen vorrangige Bedeutung hin, die in Bezug auf die Handlung ebenso relevant ist, sondern lässt auch ernüchternd feststellend, dass Zeitalter vergehen, Generationen wechseln, Regeln und Moral sich ändern können, gewisse Dinge, wie das in mehrfacher Hinsicht missbräuchliche Verhalten mancher Männer und der Umgang damit, sich aber nicht ändern, obwohl sie sich dringend ändern sollten. In dieser zwar inszenatorisch dezenten, doch dadurch umso zentraleren Thematisierung liegt die größte Kraft dieser Produktion, die zeigt, wie mit problematischem, in diesem Fall im Werk selbst bereits kritisiertem Verhalten umgegangen werden kann.

Leuchtende Stimmen und hohe Energie im Orchester

Bereits der Blick auf die Besetzung ließ hohe Erwartungen aufkommen, die sodann mehr als eingelöst wurden. Erica Eloff glänzt als Marschallin in höchstem Maße, sowohl ihre äußerst würdevolle, gefasste, aber doch klar und stark wirkende Präsenz als auch ihre gesangliche Gestaltung sorgen für ein beeindruckendes Rollenportrait. Während die ersten höheren Töne noch etwas verhalten wirken, entwickelt ihre samtige Stimme bald eine große Freiheit im Klang, die bei aller Emotion stets Klarheit bewahrt. Besonders gelingen Eloff die leisen Passagen, in denen sie einen präsenten Ton behält, aber höchst feinfühlig im Ausdruck gestaltet. Dominik Nekel bringt für den Baron Ochs auf Lerchenau den notwendigen Dialekt mit und verkörpert dessen rüpelhafte Art sehr eindrücklich, ohne sie aber allzu lächerlich oder überzogen werden zu lassen. Auch stimmlich zieht er die Rolle nicht ins Groteske, sondern bleibt stets bei einem wohligen Klang, der besonders in den melodiöseren Passagen zur Entfaltung kommt, sich aber auch als sehr flexibel erweist, um die selbstgefälligen Äußerungen des Barons pointiert zu gestalten. Ebenfalls höchst überzeugend ist Angela Simkin als Octavian, die mit glockenklarem, fokussiertem, aber doch emotional bewegtem Mezzosopran vor allem in den Schlussszenen beeindruckenden Stellen erschafft. Das Mariandl interpretiert sie stimmlich gewollt nervig und darstellerisch womöglich etwas überzogen, doch ist dies der Rolle zuzuschreiben und im Kontrast umso mehr von Vorteil für ihre elegante und liebevolle Verkörperung des Octavian. Fenja Lukas sticht mit engelsklarer, leuchtender Stimme, die sie gekonnt für die verträumte, verliebte, aber ebenso für die durchaus bestimmte Art der Sophie nutzt, besonders aus dem Ensemble hervor. Zwar auch zu Zurückhaltung fähig, lässt sie scheinbar mühelos einen strahlenden, innigen Klang entfalten, der besonders im Schlussduett mit Simkin für traumhafte Momente sorgt. Auch Adam Kim bietet als Herr von Faninal einen gewohnt kräftigen, dennoch warmen Klang, genauso überzeugten Christian Drescher als eindringlicher Intrigant und Vaida Raginskytė besonders im dritten Akt als seine Begleiterin. Ebenso sorgten die zahlreichen kleineren Rollen sowie der Chor und der Kinder- und Jugendchor des Landestheaters Linz für einen stimmlich eindrücklichen Abend.

Markus Poschner wählte für die äußerst dichte und mit verschiedenen Stilen spielende Partitur rasche Tempi, die das Brucknerorchester Linz mit großer Energie und imposanten Klängen ausfüllte. Trotz des fulminanten Rausches, den diese Musik so entfalten kann, war stets eine hohe Präzision zu vernehmen, die besonders in den Streichern zu Beginn des dritten Akts zu einer beeindruckenden Interpretation führte. Mit viel Agogik und zahlreichen klanglichen wie stilistischen Ausbrüchen erhielten sowohl die Anklänge an wienerische Walzer den nötigen Schwung als auch die träumerischen Momente dieser Oper einen zart-süßen, innigen Klang. In dieser hohen Energie blieb alles stets im guten Sinne kontrolliert, doch es schien, als habe Poschner dem Orchester phasenweise freien Lauf gegeben, den dieses gekonnt nutzte.

© Thilo Beu

Dies führte zwar zu einem klanglich fulminanten Ergebnis, jedoch auch zu einer durchwegs eher kräftig angelegten Dynamik, die in den lauten Passagen zwar passend mitreißend und ausdrucksstark war, in den leiseren allerdings zu wenig Spielraum hatte. Gelegentlich kam es zu einer klanglichen Überdeckung der Sängerinnen sowie zwar zu einer hohen Intensität, die aber durch größere Differenziertheit und stärkeres Zurücknehmen die zarten, berührenden Momente noch eindrucksvoller gelingen lassen könnte.

Keine „Farce und weiter nichts“!

Dies schmälerte jedoch nicht den Gesamteindruck des Abends, der musikalisch sowohl von einem höchst virtuos, variierend stilsicher und kraftvoll agierenden Orchester als auch von einer beeindruckenden Besetzung getragen wurde, von denen manche hoffentlich noch oft in diesen Rollen, womöglich auch an anderen Häusern, zu erleben sein werden. Hermann Schneider gelang es zudem, an das hohe Niveau von „Die Frau ohne Schatten“ anzuknüpfen und erneut eine tiefgründige wie anregende Inszenierung zu erdenken. Die homogene Einordnung der grundsätzlichen Reflexion über Fragen von Zeitlichkeit und Veränderung in ein gedankliches wie ästhetisches Gesamtkonzept, darin aber auch die Verknüpfung mit einem konkreten Thema, das im Verhalten des Barons gründet, letztlich aber bis in die heutige Zeit reicht, führte zu einer stimmigen und klugen Aufführung. Vor allem konnte er damit auch zeigen, dass Produktionen des Regietheaters sich durchaus von den zeitlichen Kontexten einer Handlung entfernen und neue Konzepte ergänzen können, wenn diese im Werk selbst angelegt sind, durchdacht herauskristallisiert werden und so in einer Verschmelzung der vielfältigen Dimensionen einer Opernaufführung resultieren, zu denen auch die Zeit in mehrfacher Weise gehört.

Elena Deinhammer 8. Oktober 2025

Besonderer Dank an unsere Freunde und Kooperationspartner vom OPERNMAGAZIN


Der Rosenkavalier
Richard Strauss
Musiktheater Linz

Rezension der Premiere vom 4. Oktober 2025

Regie: Hermann Schneider
Dirigat: Markus Poschner
Brucknerorchester Linz