Seit der Gründung der Luisenburg-Festspiele im Jahre 1890 wurden immer auch Operetten angeboten und mit großem Erfolg aufgeführt. Früher die Münchner Operettenbühne Rösler, dann 20 Jahre die wunderbare Operettenbühne Hellberg. Die Vorstellungen waren fast immer ausverkauft, ich selbst jedes Jahr mit teilweise über 125 Freunden auf der Luisenburg. Legendär die Begrüßungsworte Heinz Hellbergs, die immer mit tosendem Applaus begleitet waren: „Es regnet nicht“ – und so war es auch meistens. Im Jahr 2019 wurde, aus mir bis heute unerfindliches Gründen, der Vertrag mit Heinz Hellberg nicht mehr verlängert und dann kam Corona. Danach begann man wieder mit der Operette, aber erreichte nie mehr das bisherige Niveau, sowohl von den Aufführungen als auch von der Qualität der Sänger, wie zu den Höhepunkten der Operettenaufführungen mit Wiener Schmäh. Ausverkauft waren diese „neuen Operettenaufführungen“ auch nicht mehr und so entschloss sich die Leitung wohl, ab 2025 die Operette ganz aus dem Spielplan zu nehmen. So wurde es mir jedenfalls von verschiedenen Seiten mitgeteilt. Ein weiteres Bollwerk für die immer noch zahlreichen Operettenfreunde, wurde nach 135 Jahren einfach mit einem Federstrich aufgegeben. Für mich eine der traurigsten Entscheidungen der Festspielleitung. Aber man kann leider nichts daran ändern. Da ich jedoch über 45 Jahre und meist mit überragenden Aufführungen mit meinen Freunden nach Wunsiedel gefahren bin, kann ich nicht einfach so meine Fahrten einstellen. Also machen wir im nächsten Jahr mit der Oper weiter und freuen uns auf die Carmen im Felsenrund.
In diesem Jahr bin ich – notgedrungen – mit 55 Freunden in das Musical „West Side Story“ gefahren und ich habe es nur für meine Freunde gemacht, da ich wahrlich kein Anhänger des Musicals bin und wohl auch nicht mehr werde.
Jedoch muss ich zugeben, und das ging meinen mitgefahrenen Freunden, die alle das Jugendalter weit überschritten haben, genauso, dass ich selten eine so stimmige, flotte, ja begeisternde Aufführung erlebt habe, wie in diesem Jahr. Die jungen Sänger und Darsteller haben sich mit einer solchen Leidenschaft in das Geschehen gelegt, dass es eine teilweise Angst und Bange wurde und man sich um die Gesundheit der Darsteller sorgen musste. Mit wahrer Urgewalt agieren sie auf der Bühne, bei den vielen Tanzszenen wirbeln sie nur so herum, hängen an den Metallgerüsten und bringen eine wahrlich leidenschaftliche Darstellung zum Tragen. Ich gebe ehrlich zu, dass mich der unbedingte Einsatz, ob körperlich, tänzerisch, oder auch gesanglich mehr als beeindruckte. Hier zeigen junge Darsteller, dass man mit Herzblut und bedingungslosem Engagement, ein Publikum mehr als begeistern kann. Und das haben sie getan. Einfach ein ehrlich gemeintes Bravo für diesen großartigen Einsatz, der das Publikum einfach mitzieht und berauscht. Tosender, fast nicht endend wollender Applaus am Ende einer ganz tollen Aufführung. Doch der Reihe nach.

Die West Side Story, 1957 am Broadway Premiere feiernd, ist, um es ganz profan zu sagen, eine Adaption der weltberühmten Geschichte William Shakespeares von Romeo und Julia. Die Handlung spielt im New York der 50er Jahre und erzählt die tragische Geschichte zweier verfeindeter Jugendbanden, die sich gegenüberstehen, die Jets und die Sharks. Das große Thema ist hier Rassismus und seine negativen Auswirkungen. Die zarte Liebesgeschichte zwischen dem Jet Tony und Maria von den Sharks steht im Mittelpunkt des Geschehens. Marias Bruder Bernardo, der Anführer der Sharks verbietet ihr den Umgang mit Tony, dem besten Freund von Riff, dem Anführer der Jets. Als bei einem gnadenlosen Kampf Riff von Bernardo erstochen wird, tötet Tony im Affekt Bernardo. Maria und Tony wollen gemeinsam fliehen, um alles zu vergessen, aber Chino, ein Shark, erschießt Tony um seinen Anführer zu rächen in den Armen Marias. Jetzt erst erkennen den beiden Banden, was aus blindem Hass erwachsen kann, dass man wegen solcher Konflikte keine Menschen töten darf und gemeinsam tragen sie die Leiche Tonys fort.
Das alles wird effektvoll von 26 Ensemblemitgliedern und einem Orchester aus 16 Musikern und dem Dirigenten auf die wundervolle Felsenbühne in Wunsiedel gebracht.
Die Inszenierung liegt in den Händen von dem in den Vereinigten Staaten geborenen Tim Zimmermann, der auch für die Choreografie verantwortlich zeichnet und dem aus Blankenburg im Harz stammenden Torsten Ankert, der im Stück auch die Rolle von Doc und dem Officer Krupke übernommen hat. Man orientiert sich überwiegend an der Originalfassung von Jerome Robbins und tut gut daran. Alle Szenen sind klar gegliedert, man achtet sehr stark auf Genauigkeit und Präzision. Alles sitzt auf den Punkt genau, jede Bewegung, jeder Satz, alles bis ins Kleinste ausgeklügelt. Alles eindrucksvoll inszeniert, vor allem die Szenen, in denen Maria und Tony im Mittelpunkt stehen, ganz ruhig, fast statisch inmitten des Getümmels. Eindrucksvoll sind auch die vielen Kampfszenen inszeniert, alle Charakteren erhalten den benötigten Raum zum Agieren. Eine insgesamt gesehen ausgezeichnete Regiearbeit.
Das Bühnenbild ist einfach und beeindruckend. Die Bühnenbildnerin, die in Münchberg geborene Sabine Lindner holt New York City auf die Naturbühne. Eisengerüste und Attrappen von Wolkenkratzern bringen die Häuser auf die Bühne. Weiter oben eine Stahlbrücke, auf der sich viel abspielt, auf der man tanzt, spielt und auch – teilweise beeindruckend – singt.
Marion Hauer, gebürtig aus Passau, ist zuständig für die Kostüme und sie hat hier die 50er Jahre farbenfröhlich wieder entstehen lassen. Man hat richtig Freude daran, sich diese damalige Mode wieder einmal ins Gedächtnis zurückzuholen.
Rechts oben auf der Bühne ist das 19köpfige Orchester drapiert, deren musikalische Leitung in den bewährten Händen, des in Lippstadt in Westfalen geborenen Dirigenten Peter Christian Feigel liegt. Er führt seine Orchestermannschaft ohne Fehl und Tadel durch die Klippen zwischen Broadwayklängen, klassischen Stücken und rasanten Musicalrhythmen. Man merkt den Orchestermitgliedern richtig die Freude am hektischen, teilweise furiosen Gestalten des Klangteppichs an und fühlt sich in die Zeit der 50er am Broadway zurückversetzt. Viel Applaus des begeistert mitgehenden Publikums nach praktisch jeder einzelnen Nummer.

Nun aber endlich zu den Darstellern, Schauspielern und Sängern. In diesem Musical muss eigentlich jeder alles können, singen, tanzen, sprechen, spielen und alles möglichst auf höchstem Niveau. Und ich muss ehrlich zugeben, dass ich von den jungen Künstler sehr beeindruckt bin. Wie die ältesten Bühnenhasen agieren sie auf der Bühne, teilweise mit einer Akrobatik, die schon sehr grenzwertig ist und man Angst um die Gesundheit der Künstler hat. Aber sie machen alles voll professionell, leidenschaftlich, voller Elan, Feuer und Spritzigkeit.
Als Marie erleben wir die geborene Wienerin Sarah Weidinger in ihrer ersten Rolle auf der Luisenburg und sie macht ihre Sache mehr als gut. Vielleicht sollte man auch erwähnen, dass sie ihr Theater- und Musikstudium in Wien vor wenigen Wochen erst beendet hat. Dafür bietet sie heute eine mehr als reife Leistung. Ihr zarter, silbriger, fast zerbrechlich wirkender, stimmschöner, weicher und geschmeidiger Sopran verzaubert nicht nur ihren Tony, sondern auch das Publikum. Dazu macht sie auch optisch eine mehr als gute Figur. Auch vom schauspielerischen her bringt sie eine, für ihr Alter, reife und überzeugende Darstellung. Wenn sie sich nicht verheizen lässt, hat sie mit Sicherheit eine große Karriere vor sich. So wie ihr kongenialer Partner als Tony, der gebürtige Hamburger Bosse Vogt. Er verkörpert mehr als glaubhaft den verzweifelten Liebenden, der sein Glück, durch ein unüberlegtes Handeln beim Tod seines besten Freundes, selbst zerstört. Mit feinem, leichtem, dennoch durchschlagskräftigem Tenor weiß er vollkommen zu überzeugen und im Zusammenspiel mit Maria steht hier wirklich ein Traumpaar auf der Bühne. Beide besitzen die Frische, die Unbekümmertheit und die Freude, an dem was sie tun, was ihre Leistung weit über den normalen Durchschnitt stellt und die beide, völlig zu Recht, starken und teilweise begeisterten Applaus einfahren. Man leidet mit dem Liebespaar und in meiner Gruppe hat so manche meiner Damen ein paar Tränen am Schluss verdrücken müssen.

Insgesamt gesehen, gibt es im gesamten Ensemble keinen einzigen Ausfall. Alle Darsteller sind voller Eifer und auch voller Können dabei, man merkt ihnen richtig die Freude am Spielen an und die Leidenschaft, mit der sie sich in ihre Rollen praktisch hineinwerfen.
Bei so vielen Darstellern sprengt es den Rahmen auf jeden einzelnen einzugehen, deshalb dies als Komplettkritik für all die jungen Musicalschaffenden, die mit Leidenschaft, Eifer und Können sich hier auf der Luisenburg präsentieren.
Besonders erwähnen möchte ich jedoch noch einige Protagonisten, die eine etwas größere Rolle haben. Das sind einmal die Anführer der beiden Gangs, der aus Bonn gebürtige Bariton Nico Schweers, als Riff, der Anführer der Jets und Manuel Nobis als Bernardo, der Chef der Sharks, welcher in Kückhoven bei Köln geboren wurde. Beide am Beginn einer Karriere und beide beeindruckend in Spiel und Gesang. Nico Schweers als immer unter Strom stehender Anführer der Riffs, dem man anmerkt, dass sich jeden Moment etwas bei ihm entlädt und der eigentlich auch ständig auf Streit aus ist und Manuel Nobis als Marias Bruder und Oberhaupt der Familie, der darauf achtet, dass ihr niemand zu nahekommt, vor allem kein Amerikaner. Der Rassismus wird hier in Vollendung von beiden Parteien dargestellt und dazwischen die unglücklich Verliebten, die nur eines wollen, zusammen glücklich werden. Anita, die Freundin Bernardos, die im Endeffekt mit für die Eskalation sorgt, wird von der gebürtigen Wiener Musicaldarstellerin Karin Seyfried ausgezeichnet verkörpert. Sie bringt die Zerrissenheit dieser Rolle hervorragend auf die Bretter, die die Welt bedeuten und kann auch stimmlich voll überzeugen. Noch zu nennen wäre Torsten Ankert, der neben der Regiearbeit auch die Rolle des die Situation klären wollenden Doc und auch den Officer Krupke übernommen hat und dies auf besonnene zurückhaltende Art tut.

Die Felsenbühne ist an diesem Nachmittag sehr gut besucht und das Publikum ist mehr als zufrieden. Diese Vorstellung bereitet einfach nur Freude, ist frisch und leidenschaftlich, berührend und am Ende auch ein wenig traurig. Fast alle im weiten Rund des Zuschauerraums sind auf ihre Kosten gekommen und ich selbst habe meine Einstellung zu Musicals zwar nicht revidiert, aber muss zugeben, dass diese Vorstellung einfach nur klasse war. An diesem Nachmittag kann man feststellen, was mit jungen, „hungrigen“ Darstellern alles zu machen ist, eine Aufführung, die über die Luisenburg wie ein Orkan fegt. Und im nächsten Jahr freue ich mich auf die Carmen. Im Bus auf der Heimfahrt hat man noch lange über das tolle Erlebnis gesprochen.
Manfred Drescher, 12. August 2025
West Side Story
Musical von Leonard Bernstein
Luisenburg-Festspiele Wunsiedel
Premiere: 5. Juli 2025
Besuchte Vorstellung: 2. August 2025
Inszenierung Tim Zimmermann und Torsten Ankert
Musikalische Leitung: Peter Christian Feigel
West Side Story Orchester / Luisenburg Band GbR