Premiere 6. September 2018
„geraten ist… der Ring“!
Zweifel daran gab es auch früher nicht, aber nun haben wir es erlebt: Mit einer fulminanten Aufführung des dritten Tags , der „Götterdämmerung“, wurde im Theater des ostwestfälischen Minden unter der Intendanz von Andrea Krauledat die Aufführung des gesamten „Bühnenfestspiels“ „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner vollendet, wieder unterstützt von mehr als 100 Sponsoren. Wie bisher muß wieder der grosse persönliche und organisatorische Einsatz des dortigen Wagner-Verbandes und vor allem seiner Vorsitzenden, Frau Dr, Jutta Hering- Winckler hervorgehoben werden. Größte Anerkennung gilt vor allem der musikalischen Leitung des gesamten „Rings“ durch Frank Beermann, der die Nordwestdeutsche Philharmonie zu einem großartigen Wagner-Orchester formte, das hinter der Spielfläche auf der Bühne platziert war.
Das von den Vorabenden bekannte Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann mit dem verschiedenartig beleuchteten Ring im viereckigen Rahmen mit der Treppe nach oben links wurde jetzt ergänzt durch zusätzliche Stufengestelle von der Bühne nach rechts und links und in die Tiefe – letztere sehr passend für die Rheintöchter-Szenen aber vom Parkett schwierig einzusehen. Paßten die ebenfalls von ihm gestalteten Kostüme im „Rheingold“ zeitlich in graue Vorzeit, in der „Walküre“ ins Mittelalter, im „Siegfried“ in die Epoche der Industrialisierung, so trug man in der „Götterdämmerung“ zeitlich nicht genau fixierte Kleidung, vor allem in Schwarz, wobei im zweiten Aufzug die beiden ach so jungfräulichen Bräute entsprechendes Weiß trugen und Gunther sich für Brautfahrt und geplatzte Hochzeit einen weissen Pelz anlegte. Einzig Brünnhilde behielt ihr rotes Kleid aus den früheren Ring-Teilen.
Jetztzeit zeigte auch die Nornen-Szene – alle drei auch in Schwarz -, die ihr Seil mit Hilfe von Tablets schwangen, was auf dem bekannten Video-Viereck über der Bühne zu sehen war. (Videogestaltung wiederum Matthias Lippert) Zwischen den Darstellungen des Seils erkannte man dort Runen, vielleicht auch Algorithmen, die sich zum Ende des „ewigen Wissens“ auflösten. Auch die Rheinfahrten zwischen Brünnhildes Felsen und der Halle der Gibichungen oder die „starken Scheite“wurden dort angedeutet. Weitere Videos erinnerten an passenden Stellen an die vorigen „Ring“ – Teile, etwa Stacheldraht-Knäuel, fallende Felsbrocken oder auch die Hunde und Pferde aus der „Walküre“
Überhaupt nutzte Regisseur Gerd Heinz nicht nur wieder die Nähe der Sänger zum Publikum zu ausgefeilter kammerspielartiger Darstellung der spannenden Handlung, sondern zeigte auch dabei häufig, daß die vier Abende .eine Einheit bilden, heutzutage muß das ja besonders erwähnt werden. Als Beispiel sei genannt, daß Brünnhilde Siegfried beim Aufbruch zu den „neuen Taten“ mit Wotans Mantel bekleidete, mit dem dieser sie zum Schlaf zugedeckt und den Siegfried ihr bei ihrer Erweckung zur Seite gelegt hatte. Bei den Gibichungen angekommen zog Siegfried den Mantel natürlich sofort aus, behielt aber den ihm von Brünhilde in Form eines Amuletts am Hals umgehängten Speicher ihres Wissens bis zum Tod an.
Die Nähe der Sänger zum Publikum und deren trotz hochdramatischen Gesangs im kleinen Theater weitgehende Textverständlichkeit machte Übertitel wiederum fast überflüssig.
Als neben Wotan wichtigste Person des ganzen „Ring“ glänzte Dara Hobbs mit mächtigem hochdramatischen Sopran und ebenso hochdramatischem Spiel. Besonders lag ihr die Mittellage auch im p und bis zu tiefen Tönen, etwa zu Beginn des Terzetts im zweiten Aufzug „Welch Unholds List“ oder das lang angehaltene „Ruhe Du Gott“ beim Schlußgesang. In der Waltrauten-Szene hörte man etwa bei „in seiner Liebe“ den Triller. Ihre Spitzentöne klangen manchmal etwas forciert, dafür begann sie den Schlußgesang mit unforciertem Legato, um dann kurz vor dessen Ende noch einmal Grane vom mächtigen hohen b bis zum tiefen es herunterwiehern zu lassen.
Thomas Mohr war als Loge, Siegmund und jungem Siegfried schon bisher in allen Teilen des „Ring“ zu erleben, das setzte er nun mit dem „Götterdämmerungs-Siegfried“ fort. Stimmlich erfüllte er mit seinem helltimbrierten Tenor wiederum alle Anforderungen der Riesenpartie Zum Bariton konnte er seine Stimme als mit Tarnhelm verkleideter Gunther absenken. Heiterkeit strahlte er stimmlich im Terzett mit den Rheintöchtern aus und war neben grossen stimmlichen Steigerungen auch zu zartem p, etwa bei „Brünnhilde heilige Braut“ fähig. Dabei spielte er bis kurz vor dem bitteren Ende überzeugend den gutmütigen naiven Helden, der alles so gar nicht verstand,. Er trank mal diesen Trank, mal jenen, verliebte sich schnell, wunderte sich über die wütende Brünnhilde, scherzte mit den Rheintöchtern, ohne den machtpolitischen Hintergrund als Träger des Rings zu ahnen.
Eine Wucht in Stimme, Spiel und Gestalt war Andreas Hörl als Hagen. Gewaltig rief er die Mannen zusammen, auch stimmlich grimmigen Humor verbreitend, gefährlich trotzig und zum Mord entschlossen war sein Auftritt im dritten Aufzug. Hervorragend gestaltete er die langen auch extrem tiefen Töne seiner Partie. Sein traumhaft erlebtes Gespräch mit Vater Alberich (Frank Blees) zu Beginn des zweiten Aufzugs erinnerte daran, daß wir Alberich schon im „Siegfried“ mit seinem jungen Sohn Hagen erleben konnten, wie er ihn zu „zähem Haß“ erzog.
Früher als Wotan und jetzt in der undankbaren Rolle des Gunther war Renatus Mészár neben Thomas Mohr der meistbeschäftigte Sänger des „Ring“. Darstellerisch und stimmlich wandelte er sich vom Prahlhans zum verzweifelten Spielball von Hagens Intrige, sodaß das Verdi-ähnliche Rache-Terzett mit Brünnhilde und Hagen im zweiten Aufzug ein musikalischer Höhepunkt wurde. Magdalena Anna Hofmann – Sieglinde in der „Walküre . war stimmlich und darstellerisch eine passende Gutrune, die wohl vor Siegfried ein Verhältnis mit ihrem Bruder Gunther hatte. Zum Schluß wurde auch sie vom Bruder Hagen umgebracht.
Eine Wunschpartie für Wagner-Mezzosoprane ist die Partie der Waltraute, hat sie doch den kurzen aber eindringlichen Auftritt, in dem sie nach den Nornen das endgültige Scheitern von Wotans betrügerischem Streben nach Weltherrschaft beschreibt. Kathrin Göring – früher Fricka – vermittelte diese düstere Endzeit – Beschreibung szenisch ganz mitreissend, stimmlich beweglich und auch in hohen Lagen nie forcierend – eines der grossen Momente der Aufführung!
Als düstere Nornen und verführerische Rheintöchter waren wieder Tiina Penttinen, Christine Buffle und Julia Bauer erleben, letztere in bester Erinnerung als stimmlich und körperlich bezaubernder Waldvogel aus „Siegfried“
Hagens Mannen im zweiten und dritten Aufzug waren neben einigen „Profis“ ausgewählt aus verschiedenen Männerchören Mindens und der Umgebung und sangen von einer Empore hinter und über dem Orchester als „Wagner-Chor Minden“. Wohl auch dank der Einstudierung von Thomas Wirtz klappten etwa die schwierigen aufeinanderfolgenden Einsätzen im zweiten Aufzug perfekt. Die Chordamen wurden nebenbei von Solistinnen gesungen.
Hauptträger für das Gelingen des Abends war die Nordwestdeutsche Philharmonie – gibt es doch kaum eine aus Motiven und deren Entwicklungen von vier Abenden vielschichtigere, farbiger instrumentierte auch polyphone Entwicklungen umfassende „Opernmusik“ als die der „Götterdämmerung“. Dank der überlegenen Leitung Frank Beermanns und der Platzierung auf der Bühne war dies alles für das Publikum viel eindrucksvoller zu erleben, als wenn es aus einem Orchestergraben tönt bis hin etwa zu den Harfen Harfen bei Brünnhilds nacherlebter Erweckung.Es wurde zügig musiziert (1. Aufzug samt Vorspiel dauerte zwei Stunden), ohne auf langsamere Ruhepunkte zu verzichten. So wurden die Zwischenspiele zu Höhepunkten, die Streicher klangen ausdrucksvoll, viele instrumentale Soli konnte man geniessen, auch Siegfrieds Hornrufe. Für die „Mannenszene“ im zweiten Aufzug waren eigens von einem Hornisten drei Stierhörner verschiedener Stimmung und Länge angefertigt worden. Die Trauermusik zu Siegfrieds Tod unter einem blutroten Ring wurde so bei sichtbarem Orchester eine einzige gewaltige musikalische und emotionale Steigerung..
Danach war es passend, daß bei Brünnhildes Abschied nur zwei Fackeln tragende Statisten das verzehrende Feuer andeuteten. Nach der Entsühnung des Rings durch die Rheintöchter mit Hagens Tod wurde der endgültige Untergang Walhalls durch das jetzt wieder voll sichtbare Orchester nur akustisch dargestellt wurde mit immer hellerem Licht von oben (Michael Kohlhagen), szenische Lösungen schaffen kaum, was die Musik erzählt. Dazu traten zum abschliessenden „Erlösungsmotiv“ alle Mitwirkenden zunächst unerkannt auf die Bühne und bildeten mit dem Chor auf der Empore wohl die von Wagner vorgeschriebenen „Männer und Frauen“.
Da verwunderte nicht der riesige Applaus mit lautstarken Bravos des teilweise von weither angereisten Publikums für alle Mitwirkenden, besonders für Brünnhilde, Siegfried und Hagen und ganz zu Recht am allermeisten für das Orchester und seinen Dirigenten. Aus nachfolgenden persönlichen Gesprächen hörte man nur grosse Begeisterung. Viele, berauscht von dieser „Götterdämmerung“, wollten versuchen, im September und Anfang Oktober 2019 den nun wirklichen Höhepunkt in Form einer der zwei Aufführungen der gesamten Tetralogie in Minden zu erleben.
Sigi Brockmann 8.9. 2018
Fotos Friedrich Luchterhandt