B-Premiere am 10. September 2017
Beim Mindener „Ring des Nibelungen“, der vom lokalen Richard-Wagner-Verband veranstaltet wird, ist der Zuschauer hautnah am Geschehen dabei. Im kleinen Haus, das gerade einmal über 568 Plätze verfügt, ist das Orchester auf der Bühne positioniert, für die Akteure bleibt die gerade einmal 40 Quadratmeter große Vorbühne als Spielfläche. Das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann schafft mit seinem riesigen Ring, der das ganze Bühnenportal umschließt, ist eher ein atmosphärischer Raum, als dass hier Schauplätze gestaltet werden.
Das gleiche gilt für die assoziativen Videoeinspielungen von Matthias Lippert, die im Vergleich zu den vorangegangen Abenden mehr Raum einnehmen. Auf dem Vorhang der Bühne und Orchester abtrennt, unterstreichen sie die Stimmung: Die Mime-Szenen werden mit einen lauernden Spinne garniert, zum Walkürenfelsen gibt einen Sonnencorona und während der Schmiedelieder sieht man abstrakt geometrische Bilder von Wasser und glühendem Stahl.
Regisseur Gerd Heinz erzählt die Geschichte dicht am Stück. In dem kleinen Theater agieren die Sänger wie unter einem Vergrößerungsglas, sodass die Regie auch kleine gestische und mimische Akzente setzen kann, die in einem großen Haus verloren gehen würden. Die vielen Dialogszenen sind fein gearbeitet und in dieser Aufführung begreift man verschiedene Szenen auch als erfahrener Ring-Fan besser als in anderen Inszenierungen. Heinz macht zum Beispiel klar, dass sich der Wanderer in der Wissenswette Mime eigentlich als Berater zur Verfügung stellt und er erst Mime befragt, als dieser das Angebot mit sinnlosen Fragen vergeudet.
Großartig auch die Schlussszene, die in vielen Inszenierungen einfach nur langweilt. Heinz arbeitet sehr gut heraus, welche Verstörung es in Brünnhilde auslöst, als sie merkt, dass Siegfried sie sexuell begehrt. Die ehemalige Walküre lässt sich von Siegfried dann auch erst im kämpferischen Spiel erobern.
Die Schwächen der Regie finden vor allem in der Charakterisierung der Figuren statt. Thomas Mohr als Siegfried und Dan Karlström als Mime wirken hier kaum wie Ziehsohn und –vater, sondern wie eine Wohngemeinschaft aus Poet und Tüftler. Mohr erscheint mit seinen ergrauten Locken auch nicht wie das wild tobende Kind, das der Siegfried nun mal ist. Als Loge und Siegmund war Mohr von Ausstatter Schlößmann besser kostümiert worden. Dafür singt Mohr mit seiner hellen und kraftvollen Stimme einen imponierenden Siegfried. Dass er sich für den 3. Akt als indisponiert ansagen lässt, überrascht, denn Mohr singt diese Rolle scheinbar mühelos und gestaltet sie höchst intelligent.
Das gilt auch für Dan Karlstöms Mime, der seine Rolle weitab von jeder Karikatur anlegt. Jedoch singt er den Mime mit seiner hellen lyrischer Stimme so schön und ist auch von der Regie zu keinerlei „Knicken und nicken“ verpflichtet, dass Siegfrieds Abneigung gegen Mime vollkommen schleierhaft bleibt.
Mit großen balsamischen Bögen gestaltet Renatus Mészár den Wanderer und macht aus der Rolle fast schon eine Belkanto-Partie. Während der Wanderer hier eine Art Clochard mit Sonnenbrille ist, der einem Beckett-Stück entsprungen sein könnte, ist sein Gegenspieler Alberich eine Art Jäger mit Gamsbarthut. Oliver Zwarg singt die Rolle mit großem knorrigen Bariton. Recht grobschlächtig wirkt der Fafner von James Moellenhoff.
Als Erda lässt Janina Baechle ihre Stimme raumgreifend strömen. Ein quirliger Waldvogel ist Julia Bauer, wobei die Regie etwas ratlos ist, wer oder was denn dieses Wesen ist: Zwar ist die Sopranistin als junger Wanderbursche kostümiert, wackelt aber mit dem Kopf wie ein Vogel. Große Gänsehautmomente beschert Dara Hobbs als Brünnhilde im Finale. Mit ihrem metallisch leuchtenden Sopran macht die Sängerin die Schlussszene zu einem besonderen Ereignis.
Da die Nordwestdeutsche Philharmonie auf der Bühne quasi „nackt“ spielt, fehlt es den Vorspielen zum 1. und 2. Akt an ihrem mystischen Raunen. Gleichzeitig kann das Orchester im Fortissimo auch nicht so auftrumpfen, wie man es in anderen Theatern gewöhnt ist. Insgesamt erarbeitet Dirigent Frank Beermann aber einen schönen farbigen Wagner-Klang, in dem die Leitmotive gut ausgeformt werden. Die Dramaturgie der Akte disponiert er klug: So startet das Stück mit flinken Dialogen zwischen Mime und Siegfried, geht dann mit der Wissenswette zwischen Mime und dem Wanderer in eine Ruhephase, um schließlich in den Schmiedeliedern rasante Fahrt aufzunehmen.
Die räumliche Anordnung des Orchesters ist auch für die Sänger optimal. Sie müssen hier nicht über das Orchester singen, sondern ihre Stimmen werden von dem Orchester geradezu in den Raum getragen. So versteht der Zuschauer auch ohne Übertitel fast jedes Wort.
Wer sich jetzt schon auf die Fortsetzung freut: Am 6. September 2018 hat die „Götterdämmerung“ Premiere. Für 2019 sind zwei Zyklen angesetzt (12. bis 22. September/ 26.September bis 6.Oktober). Für weiter entfernt wohnende Wagner-Fans dürften solche Zyklen, die sich über 11 Tage erstrecken, eher ungeeignet sein. Wer in der Region zwischen Osnabrück, Bielefeld und Hannover wohnt, hat jedoch die Möglichkeit in Minden einen werktreuen „Ring des Nibelungen“ mit starken Sängern zu erleben.
Rudolf Hermes 13.9.2017
(Bilder siehe unten Premierenbesprechung)