Vorstellung am 29.07.12 (Premiere am 30.06.2012)
(Häschen-)Jagdszenen aus Oberbayern: Figaros Hochzeit einmal anders als freche italo-bajuwarische Komödie
Im Programm ist vermerkt: Spieldauer zweieinhalb Stunden, 30 Minuten Pause. Zum Glück zählt die Pause extra, denn schon bei zweieinhalb Stunden reiner Spielzeit ist das Stück ungewohnt kurz, wodurch es dramaturgisch nicht ganz stringent wirkt. So ist etwa die Auftrittsarie des Don Bartolo im ersten Akt gestrichen, wodurch der Auftritt der Marcellina etwas in der Luft hängt, obwohl die Regie sie als dralle offenherzig kostümierte, manns- (genauer: Figaro)-tolle Figur mit einigen stummen Extraauftritten profiliert. Auch die Duettszene Gräfin-Susanna im dritten Akt ist beim Briefchenschreiben gekürzt, weshalb man sich später wundert, wo dieses Briefchen mit der bedeutsamen Nadel herkommt. Auch hier ist Ausgleich durch die riesige Größe dieses Objekts als Hutnadel geschaffen, so dass die dann nicht mehr übersehen werden kann. Ansonsten ist im dritten und vierten Akt an den Rezitativen gekürzt worden, teilweise werden diese zur Straffung des Geschehens simultan vorgetragen, was zwar ebenfalls nicht zur Verklarung des Geschehens beiträgt, aber in dem einen Falle einer Überlagerung von sogar drei Duett-Rezitativen eine enorme Wirkung erzielt. Die Rosenarie ist umgestellt und wohl wegen ihrer Berühmtheit aus dem dramaturgischen Konzept herausgenommen. Im Ganzen aber geht das Spiel dramaturgisch auf, besonders im vierten Akt, in welchem das Verkleidungsspiel so in Grenzen gehalten wird, dass auch die weniger gewieften Figarokenner immer wissen, wer hier wer ist.
Waltraud Lehner zeichnet für die Regie verantwortlich und lässt ein frech-witziges Spiel aufführen, in welchem man mit einer Spaßgesellschaft der Jetztzeit konfrontiert wird. Wie in der Originalfassung ist es auch in dieser Inszenierung nur der Gärtner Antonio, der einer sinnvollen Beschäftigung nachgeht. Alle sind allen zugetan ; besonders die Gräfin in fast schon peinlicher Weise em Cherubino. Drei große Bretterverschläge bilden das gekonnte Bühnenbild von Elisabeth Pedross. Die Darsteller bringen während der Ouvertüre auf den Bretterverschlägen den Nebentitel der Oper an: « Der tolle Tag ». Bei der letzten Szene im vierten Akt steht « Wald » darauf. Da weiß man, wo man ist. Der Graf fühlt sich so wichtig, dass er schon während der Ouvertüre über die Bühne läuft und sich stolz vorstellt: « sono il conte Almaviva ». Wie bei Theaterbühnen der Vorhang geöffnet wird, werden die drei Verschläge bei Spielbeginn nacheinander in Position, d.h. ihre offenen Seiten nach vorne gedreht, so dass sie einzeln oder kombiniert die verschiedenen Spielorte der Komödie glaubhaft machen. Obwohl er in den ersten Szenen noch gar nichts darzustellen hat, sieht man den Grafen aber schon in einem Raum neben einem Fernsehsessel mit allem Komfort, wie er sich fit macht für die Abenteuer, die er sich verspricht : kein Alkohol, sondern ein isotonisches Getränk. Später wird dieser Sessel teilweise für die Stuhlszene gebraucht. Cherubino ist ein Tunichtgut in schwarzer Flatterhose, blauer Nylon-Weste und blauer Strickmütze; Susanna und die Gräfin in leicht bunter Sommerkleidchen kostümiert; Figaro in rotem Hemd und ärmelloser gestreifter Weste wie eben ein Gehilfe. Die hübschen Kostüme stammen von Yvonne Forster.
Vor einem der Bretterverschläge sitzt ununterbrochen ein altes Mütterchen und strickt. Die Gräfin hat sich viele Schuhe bestellt. Ein Kommis, der sich später als Don Curzio herausstellt, schleppt unermüdlich weitere Schuhkartons an und nimmt auch wieder welche mit: bei Nichtgefallen Rückgaberecht innerhalb von 365 Tagen. Die Kartons stapeln sich so hoch, dass man dahinter den Cherubino verstecken kann. Der Chor trägt Häschenkostüme und Hasenmasken. Bei Figaros « non più andrai » kommt eine lokale Bewegungstruppe in Häschenmasken und weißen Zielscheibenringen auf den schwarzen Oberteilen zum Einsatz: auf die wird mit Schießwerkzeugen eine Jagd simuliert, wobei die Häschen über die gesamte Bühnentiefe und -breite toben. Etliche, schon viel gesehene Regie-Stereotypen der Nozze mischt die Regisseurin neu auf und erzielt damit gute Wirkungen. Dazu kommen viele gelungene Regieeinfälle. Der Graf kommt nicht von der Jagd zurück, sondern hat seinen « Ausritt » auf einem modernen Sportfahrrad unterbrochen und kommt damit gerade zum Gemach der Gräfin geradelt. Zum Öffnen der Tür zum Cabinetto holt er sich eine lächerlich winzige Kettensäge aus der Bastelstube und tritt zu einer frisch komponierten dumpfen Schreckensmusik an die Schranktür. Die geht plötzlich von allein auf; dem Grafen fällt die Kinnlade hinunter; aber nicht Susanna tritt hervor, sondern der Graf zurück. Zu jeder Zeit hält Waltraud Lehner in ihrer Personenführung eine kleine Überraschung bereit und hat die Lacher immer auf ihrer Seite. Die meist jungen Sängerdarsteller bringen das alles durchweg gekonnt rüber.
Mit der Spritzigkeit des Geschehens auf der Bühne konnte das etwas über dreißigköpfige Festivalorchester 2012 nicht mithalten. Es setzt sich aus Musikern der Georgian Sinfonietta und Studenten der deds Mozarteums Salzburg zusammen. Es wurde zwar engagiert und auch inspiriert aufgespielt; aber es kam kein filigran-transparenter Mozart heraus, sondern ein breiter, teilweise breiiger Klang, noch dazu von vielen Unschärfen durchzogen. Auch im Zusammenwirken zwischen Sängern und Orchester herrschte vielfach diffuse Unschärfe, so als ob die Sänger nicht auf den Stab der Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock schauten, sondern sich nach den Einsätzen des Konzertmeisters richteten. Warum unterbricht eine gewaltige Generalpause den Fluss des genial konzipierten und komponierten Finales des zweiten Akts? — Gut eingebunden und hinreichend präzise erschien der Festivalchor Gut Immling, ebenfalls von Frau von Kerssenbrock einstudiert. Die Secco-Rezitative sind größtenteils uminstrumentiert, teilweise auch anders komponiert, um Verfremdungseffekte zu erzielen. Dazu gibt es von der Gräfin noch eine Sprecheinlage in Landessprache (ohne Übertitelung).
Das Sängerensemble erfreute das Publikum mit homogener Qualität auf hohem Niveau. Adam Kim gab die Titelrolle mit kernig-kräftigem Bariton in bester Textverständlichkeit und sehr bewegtem Spiel. Kontrastierend dazu der wesentlich heller timbrierte kultivierte Bassbariton von Adrian Marcan als Graf Alamaviva. Don Basilio (von der Regie in ein modernes Türkenkostüm gesteckt) wurde von Alik Ibrahimov mit klarem, hellem Tenor gesungen. Debra Stanley überzeugte mit schlankem Sopran und schlanker Statur als Susanna. Sieglinde Zehethauser, auch sie superschlank, war in ihrer Kavatine zu Beginn des zweiten Akts noch nicht ganz präsent. Aber ihr « dove sono i bei momenti » gestaltete sie so überzeugend, dass sie das Publikum völlig auf ihre Seite brachte. Tijana Grujic gab den pubertierenden Cherubino sauber und klar mit schön nuancierter Färbung. Das Nebenpersonal sei hier einfach nur aufgezählt, denn es wurde ja weitgehend seiner solistischen Einsätze enthoben: Antonela Barnat als Marcellina hatte neben ihren Ensembles noch den größten szenischen Einsatz als Marcellina; Jacek Janiszewski wirkte als Bartolo, Jenisbeck Piyazov als Gärtner Antonio, Andreas Smettan als Curzo, und Jennifer Riedel gefiel als Barbarina.
Alles in allem ein vergnüglicher und unterhaltsamer Abend, für den das Publikum aus dem fast ausverkauften Saal anhaltenden herzlichen Beifall spendete. Die letzte der insgesamt sechs Vorstellungen findet am 10.08. statt.
Manfred Langer, 03.08.2012
Fotos: Julia Binder
P. S.
Die Atmosphäre auf dem Gut Immling ist freundlich, locker und ländlich. Das Publikum von ganz leger bis hin zu gepflegtem Chique. Der Blick gleitet über Felder und Wäldchen über den weiten Chiemgau, nach Süden zu den dazugehörigen Alpen. Kuhglocken laden zum Einnehmen der Plätze ein. Wenn man mit dem PKW anreist, sollte man das Navigationsgerät nicht auf Immling einstellen, sondern am nördlich Ortsrand von Bad Endorf nach unscheinbaren Schildern Ausschau halten, die auf die Parkplätze in einem Gewerbegebiet hinweisen, von wo aus Pendelbusse über abenteuerlich schmale Feldwege das Publikum zum Spielort bringen.
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