
Aida ist nicht mein Fall. Die ersten zwei Akte bieten pompöse Leierkastenmusik, der Triumphmarsch ist die Lieblingsmelodie der Erbschleicher, die Gefahr, im banalen Bermudadreieck des Kitsches, markiert durch Sphinx, Obelisken und Pyramide zu verenden, groß. Dabei sind der dritte und der vierte Akt zauberhaft und wunderschön, indem die Personen des Dramas und deren Gefühle erst richtig zur Kenntnis kommen. Was hat man schon alles auf der Bühne gesehen; pompöser Arenakitsch in Verona, Feuerschlucker bei der Siegesparade in der Met, einen italienischen Opernfilm aus den fünfziger Jahren im faschistischem Stil, indem die Dienerinnen mit erhobener Pfote grüßen, neudeutsche Regieexzesse der übelsten Art in Hannover 2024 (mit einer großartigen Pumeza Matshikiza als Aida) und in den Achtzigerjahren im Opernhaus von St Francisco eine ellipsoid zwischen Bühne und backstage rotierende Siegesparade mit die Waffen und Kostüme andauernd wechselnden Statisten. Mehrmals seine Panzer mehr oder minder im Kreis paradieren zu lassen damit es nach mehr ausschaut, hat schon Rommel in Tripolis 1941 gemacht. Im Übrigen lernt man mit Aida problemlos italienisch; man kommt mit den Worten patria, gloria, victoria, amore und traditore gut aus. Genug davon.
Madalene Minnaar als Regisseur war – wie jeder, der Aida angeht – zwischen der Skylia des Kitsches und der Charybdis eines entseelten modernistischen Regietheaters platziert. Eigentlich eine unmögliche Position. Wurde diese Herausforderung bewältigt? Vollkommen, glanzvoll und überzeugend.
Wir schreiben das Jahr 3025, offenbar noch immer Anno Domini und Ägypten erlebt eine hochtechnisierte Zivilisation was nicht weit hergeholt ist. Schließlich sind die drei großen Pyramiden von Gizeh Denkmäler einer sehr hochstehenden Zivilisation; nicht daß ich an außerirdische Zivilisationsstifter glauben würde aber viele monumentale Bauten in Afrika, Asien und den Amerikas deuten auf eine vergessene, offenbar naturwissenschaftlich und technisch überlegene Kultur hin. Oder glaubt jemand wirklich, daß die gigantischen Monolithen von 70 Tonnen Gewicht (und noch mehr) auf Holzrollen im “Hau -Ruck’ Verfahren bewegt wurden? Auch der Bau des Suezkanals war eine technische Meisterleistung und die von Muhammed Ali gegründete albanische Dynastie konnte begründet hoffen, aus Ägypten einen modernen, politisch einflussreichen und wohlhabenden Staat zu machen nachdem Ägypten aus jahrhundertelanger osmanischer Misswirtschaft erweckt wurde.
Völlig richtig sieht diese Inszenierung die Oper zweiteilig; das pompöse Spektakel aus Macht und Militär, Krieg und Politik einerseits und andererseits die intimen Gefühle der Liebenden und Hoffenden, Aida, Amneris und Radames, die dabei völlig unter die Räder kommen. Radames muss Aida wirklich lieben, wenn er als Reichsfeldherr die angebotene Position als Schwiegersohn ausschlägt. Wie wir aus Politik und Wirtschaft wissen, ist Schwiegersohn ein sehr schöner Beruf, der in die höchsten Höhen führen kann. Aber auch Amonasro sind die Gefühle seiner Tochter wurscht, Hauptsache sie kann Radames zum Verrat anstiften. Radames hat zu viele Skrupel, um den Verrat vollständig zu machen; er könnte ja äthiopischer Reichsfeldherr und dort Schwiegersohn werden. Aber nein, er stellt sich den Priestern und erweist sich als politisch hilflos.
Amneris ist nicht zu beneiden: Wenn nur die Aida im Grabgewölbe eingeschlossen und verhungern würde, wäre das ja nicht so schlimm – Rivalin weg – aber so muss sie auch den Tod des geliebten Radames hinnehmen. Daß der Pharao und Amneris das Todesurteil der rachsüchtigen Priester hinnehmen müssen deutet darauf hin der Oberpriester Ramphis der wirkliche Strippenzieher ist. Kurzsichtig, denn mit welchem Feldherrn werden die Ägypter in Zukunft die Äthiopier bekämpfen?
Aber Radames ist halt politisch nicht korrekt – könnte ja vielleicht in der Zukunft mit seiner Armee gegen die Priester putschen – und der Kult der Korrekten fordert halt seine Opfer; sozialen oder körperlichen Tod durch “Absage” . Hungertod und Liebestod statt Schwiegersohn und Pharaonenkrone. Das ist traurig, aber wie sollte ein happy end hier ausschauen? (Beide Könige gestürzt, Radames als Kaiser eines vereinten Ägyptisch-Äthiopischen Reiches, Aida als Erst Frau und Amneris als Zweitfrau und die Priester aufgehängt? Auch banal-
Nun zur gesamten Produktion: Sehr stimmig und ästhetisch durchkomponiert und frei von jedem Kitsch. Die Bühnenelemente wurden sehr sparsam eingesetzt, sehr schön die Hintergrundprojektionen mit planetarischen Systemen und diversen graphischen Elementen. Blutrot geht die Sonne im Nil Akt unter; die Farbgebung jedes Aktes war stimmig. Sehr schön die Choreografie – Gregory Maqoma hat bestens gearbeitet- der Tänzer und die von Antoinette Huyssen einstudierten Chöre. Gottseidank wurde uns die Militärparade erspart; die “haute volée noir” in fantastischen Kostümen gewandet gibt sich das Spektakel von der Ehrentribüne – die Parade im Zuschauerraum gedacht ablaufend. Wer sich an großen Paraden ergötzen will – ein verständlicher Wunsch – kann ja Filme über die Geburtstagsparade ex 1939 oder sich Moskauer Paraden zum 8. Mai anschauen. Ein paar hundert schwachbrüstige Statisten auf der Bühne mit Schwert und Speer schauen ja manchmal wirklich wie der Volkssturm 1945 aus; nicht wirklich beeindruckend.
Wirklich berührend und intim war die Gestaltung des dritten und vierten Aktes. Ein Hochgenuß für Auge und Ohr. Daß Amneris am Ende im Grabgewölbe erscheint – zu mindestens im übertragenen Sinne – ist vollkommen stimmig. Die Politik hat auch Ihr Leben zerstört und ein Sterben aux trois erscheint gar nicht so weit hergeholt.
Albino Productions als Designer und Animationsgestalter, Roman Handt als Entwerfer der Kostüme, Oliver Hauser als Chef der Beleuchtung und Nadine und Louis Minnaar mit der Bühnenausstattung haben erstklassige Arbeit geleistet. Nicht zu vergessen das kühne, fantasievolle Make up Design von Clanelle Burger und Stephany Connolly.
Viele sind am Erfolg einer erstklassigen Produktion beteiligt, nicht alle können erwähnt werden sonst wird die Besprechung endlos. Das ist ungerecht, da gerade das gesamte Team bis zum letzten Bühnenarbeiter aus einem Guss sein soll – hier war es der Fall – und zum Erfolg wesentlich beiträgt. Stellvertretend für alle sei Brenda Rein als Repetitor erwähnt und bedankt.
Zu den Sängern: Bemerkt sei, daß das Opernhaus Kapstadt alle Rollen doppelt (nämlich für Schulvorstellungen) besetzen konnte; das ist so einfach nicht – als Beispiel: die glänzende dramatische Mezzosopranistin mit Wagnerpotential Asisipho Petu als Amneris ist sozusagen Reserve, könnte aber auch in der ersten Reihe brillieren – und beweist wieder einmal die Vielzahl sängerischer Talente in Südafrika .Für die anderen Zweitbesetzungen gilt gleiches.
Van Wyk Venter ist ein erstklassiger Bote, Khayakazi Madlala eine sehr gute Tempelsängerin – beide mir schon mehrmals angenehm aufgefallen – Garth Delport ein souveräner Pharao; Conroy Scott ein ebenso im Spiel skrupelloser wie sängerisch nobler Amonasro. Lukhanyo Moyake überzeugte als Radames. Den Gassenhauer, den wir alle kennen muß Radames – noch kalt; nicht nett von Verdi -ganz am Beginn absolvieren dabei ergibt sich die Schönheit der Rolle erst aus den Melodien und Szenen der Akte 3 und 4 und da klang er wunderbar.
Nonhlanhla Yende ist eine in Spiel und Gesang absolut überzeugende Amneris und Nobulumko Mngxekeza – die schon als Tosca brillierte – eine in Spiel und Gesang berührende, großartige Aida. Abgesehen davon haben beide Wagnerpotential. Gerade in den Akten 3 und 4 haben alle drei wunderbar zusammengespielt und zusammengeklungen und diese Akte zu einem stimmlich wie ganz allgemein ästhetisch wunderschönen Erlebnis gemacht. All die genannten Sänger sind Ihrem Berichterstatter wohl bekannt und waren die erstklassigen Leistungen nicht im Geringsten überraschend und können international bestehen. Da war aber doch noch jemand?
Lonwabo Mose als Ramfis war für mich die Entdeckung des Abends. Ein sehr schöner, sicherer Bass; im wahrsten Sinne des Worts “seriös”, gut in der spielerischen Gestaltung der Rolle. Den wollen wir öfters hören; aber natürlich alle der erwähnten Sänger.
Kamal Khan war wiederum – wie bei Tosca – ein erstklassiger Dirigent, der das Orchester wohl dosiert und präzise durch die Partitur führte. Nicht so einfach, weil die Musik der Akte 1 und 2 knallig und wenig berauschend ist. Wunderschön wahr dafür die Musik der Akte 3 und 4 anzuhören; ein lyrischer Hochgenuss.
Magdalene Minnaar hat als Regisseur Mut bewiesen; wir erleben einen radikalen Bruch mit dem Kitsch aber dennoch ästhetisch ansprechend; nicht modernistisch-nihilistisch, aber zeitlos überzeugend. Den Kitsch überlassen wir ab jetzt Verona und für überzeugende, unkonventionelle Regielösungen wenden wir uns Kapstadt zu.
Ein paar Einwände, die aber den überragenden Gesamteindruck nicht schmälern können:
Ganz am Beginn haben die Aida Trompeten Radames bei “Celeste Aida’ akustisch zugedeckt. Ich will nicht beckmessern, aber hat da nicht eine Trompete gekickst? (Da muss man aber dazusagen, dass die Aidatrompeten in der Folge ein Hochgenuß waren, präzise und brillant).
Im Trio des 1. Aktes waren die Handbewegungen von Aida, Amneris und Radames nicht so überzeugend; das war in den Akten 3 und 4 viel besser., Daß ein Pharao wohlbeleibt ist, überrascht nicht – die herrschende Klasse hungert nicht, sondern lässt hungern; da gibt es genug Beispiele aus Afrika – aber daß er ausschaut wie mit 21 Embryos schwanger hat sich mir nicht erschlossen, Im zweiten Akt spielt die Szene “zu ebener Erde und im 1. Stock”. Gut und schön, aber die haute volée noire gehört nach oben und der Elendszug der äthiopischen Gefangenen nach unten. Im 4. Akt führen die Priestereleven (??) im Hintergrund Tänze auf, die mich wenig überzeugten. Waren es Freudentänze der Klerikalen über das Todesurteil?
Grundsätzlich sehr gut ist es, daß der Text des Librettos auf Englisch und Xhosa über der Bühne angezeigt wird. Aber wieso nicht auch auf Afrikaans und leider zu klein. Das lässt sich hoffentlich korrigieren.
Definitiv zu korrigieren ist, daß nur ein Vorhang gegeben wurde. Die Leistung der Solisten, des Chores und des Balletts waren erstklassig und das Publikum in Applaudier Laune. Das kann man nicht abwürgen; so eine Vorstellung verdient viele Vorhänge! Aber alles in allem: großartig.
Harald Sitta, 5. Juni 2025
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Aida
Giuseppe Verdi
Cape Town Opera, Kapstadt
1. Juni 2025
Regie: Madalene Minnaar
Dirigat: Kamal Khan
Cape Town Philharmonic Orchestra