Oldenburg: „La Traviata“, Giuseppe Verdi

Während des Vorspiels zu Verdis La Traviata sieht man Violetta nackt auf dem Bett liegen, während sich ihr Freier die Hosen zuknöpft und Geldscheine aufs Bett wirft. Die Szene erinnert an Edward Hoppers Bild „Excursion into Philosophy“. Regisseur Jan Eßinger macht in seiner Inszenierung zu Beginn sehr deutlich, dass Violetta eine Prostituierte ist. Im 1. Akt gibt es kein rauschendes Fest der eleganten Pariser Halbwelt, sondern eine hemmungslose Sex-Party mit viel nackter Haut und heruntergelassenen Hosen. Violetta singt das Trinklied in ihrem Bett, das von den Party-Gästen gierig umrundet wird. Violetta gibt statt einer Kamelie eine Sonnenblume an Alfredo. Ihre große Arie „E strano“ singt sie ganz allein auf der leeren Bühne – das Motiv der Einsamkeit klingt hier schon an. Auch Violetta Krankheit deutet Eßinger früh an, indem er sie bereits im 1. und 2. Akt kurz husten lässt.

© Stephan Walzl

Das Bühnenbild von Sonja Füsti zeigt im 2. Akt ein lichtdurchflutetes Meer von Sonnenblumen. Die Saat des ersten Liebesgeschenks ist also prachtvoll aufgegangen. Nur für kurze Zeit, wie wir wissen, denn Alfredos Vater drängt sie zum Verzicht. Diese Szene gerät zu einem emotionalen Höhepunkt der Aufführung.

Bei der Rückkehr Violettas nach Paris greift Eßinger zu einem sehr überzeugenden Trick: Violetta steht am Rand der Bühne und erlebt alles als Albtraum, während ein Double (Selma Goebel) das gedemütigte Opfer einer dekadenten Gesellschaft wird. Das Double wird entkleidet und wie in einer Prozession zum Bett getragen. Dieses Bett dient auch als Spieltisch für das Kartenspiel; das hier allerding zum Ringkampf wird.

© Stephan Walzl

Auch im letzten Akt arbeitet Eßinger mit dem Double. Die Rückkehr Alfredos findet nur in Violettas Phantasie statt. Sie „beobachtet“, wie Alfredo am Bett des Doubles sitzt. Violettas Sterben vollzieht sich auf leerer Bühne in trostloser Einsamkeit. Nur Anina (Friederike Hansmeier) und Dottore Grenvil (Seungweon Lee) sitzen (dunkel und wie Zwillinge gekleidet) am linken und rechten Bühnenrand – archaische Wächter des Todes. Eßinger ist in seiner durchweg inspirierenden Inszenierung insbesondere ein nachhaltig ergreifender Schluss gelungen.

Die Hauptpartien sind doppelt besetzt. In der von uns besuchten zweiten Aufführung konnte vor allem die argentinische Sopranistin Laura Pisani als Violetta begeistern. Die unterschiedlichen Anforderungen der drei Akte erfüllte sich in geradezu perfekter Weise. Mit sicheren Koloraturen und einer ebenmäßigen Stimmführung gelang ihr  eine beseelte und tief berührende Gestaltung der Partie. Diese Leistung bleibt in Erinnerung. Neben ihr gefiel Luis Olivares Sandoval als viriler und leidenschaftlicher Alfredo. Er konnte ordentlich auftrumpfen, fand aber auch (etwa bei „Parigi, o cara“) Töne von berückender Zärtlichkeit. Der britische Bariton Eddie Wade war als Vater Germont eine solide Besetzung und konnte vor allem durch seine Persönlichkeit überzeugen.

Unter der Leitung von Carlo Goldstein zeigte sich das Oldenburgische Staatsorchester von seiner besten Seite. So spannend und differenziert, so voller Rhythmus und aufblühendem Melos hört man „La Traviata“ nicht alle Tage. Auch der spielfreudige und klangvolle Chor (Einstudierung Thomas Bönisch) trug wesentlich zum guten Gesamteindruck bei.

Wolfgang Denker, 18. September 2025


La Traviata
Giuseppe Verdi
Oldenburgisches Staatstheater

Premiere am 13. September 2025
besuchte Aufführung am 17. September 2025

Inszenierung: Jan Eßinger
Musikalische Leitung: Carlo Goldstein
Oldenburgisches Staatsorchester

Weitere Vorstellungen: 27., 30. September, 3., 9., 16., 31. Oktober, 9. November, 5., 19. Dezember 2025, 28. Februar 2026