Premiere am 15.02.2020
Kein Wasser weit und breit
Dvořáks Oper handelt von der Nixe Rusalka, die unbedingt ein Mensch werden will, weil sie sich in einen Prinzen verliebt hat. Die Hexe Ježibaba erfüllt ihr den Wunsch, allerdings um den Preis, dass sie stumm bleiben muss. Der Prinz wendet sich von ihr ab und der Fremden Fürstin zu. Rusalka kehrt als Irrlicht in das Reich des Wassermanns (ihres Vaters) zurück. Von ihrem Fluch kann sie nur durch den Tod des Prinzen befreit werden.
Ist Rusalka die Geschichte von einer romantischen, aber unerfüllbaren Liebessehnsucht oder geht es eher um Loslösung und Befreiung? Bei der Rusalka in Bremen vor gut zwei Jahren ging es um einen Konflikt zwischen Vater und Tochter. Bei der Oldenburger Inszenierung von Hinrich Horstkotte will Rusalka sich vor allem aus ihrem Milieu befreien. Und das ist keine märchenhafte Wasserwelt, sondern im 1. Akt ein schäbiger Hinterhof in Prag um 1900. Der Wassermann ist ein alkoholabhängiger Penner, die Elfen sind Bordsteinschwalben. In der Hexe Ježibaba sieht Horstkotte eine Art Puffmutter. Ein angetrunkener Herr aus „besseren“ Kreisen erscheint in Frack und Zylinder. Es ist der Prinz auf der Suche nach einem flüchtigen Abenteuer. Horstkotte erläutert im Programmheft seine Assoziationen zu Rusalka, die von Jack the Ripper über „My Fair Lady“ bis zu Abnormitätenshows reichen, aber nicht alle Eingang in die Inszenierung finden. Seine Umdeutung und seine scheinbare Abwendung vom Märchenhaften sind dabei etwas unentschlossen.
Denn letztendlich erzählt er doch eine romantische Liebesgeschichte, die allein schon wegen seiner opulenten Bühnenbilder (auch von Horstkotte unter Assistenz von Larissa Moreno) mit Schneefall und gelungenen Lichtstimmungen wunderschön anzuschauen ist. Im 1. Akt werden die Häuserfronten heruntergefahren und geben den Blick auf eine zauberhafte Szene über den Dächern von Prag frei. Dort spielt auch der Schluss, bei dem sich Rusalka in die Tiefe stürzt. Prunkvoll ist der Festsaal im Schloss des Prinzen mit dem ironischen Einmarsch der Hochzeitsgäste, düster dessen Außenansicht. Hier wird sehr deutlich, dass Rusalka hilflos zwischen den Welten steht. Auch wenn ihr im Kabinett der Hexe brutal die Schwimmhäute aus den Fingern geschnitten wurden, bleibt sie doch ein Zwitterwesen mit krankhafter Blässe – nicht Fisch und nicht Fleisch.
Die dramatischen Aufschwünge in der Partie der Rusalka – und davon gibt es viele – bewältigt Lada Kyssy mit kraft- und glanzvoller Entfaltung ihres üppigen Soprans. Nur dem „Lied an den Mond“ bleibt sie einiges an zarter Entrücktheit schuldig. Begeistern kann auch Jason Kim als Prinz, der seinen prächtigen Tenor mit glutvoller Leidenschaft führt. Sein heldischer, aber dennoch dem Belcanto verpflichteter Gesang ist einfach mitreißend. Ill-Hoon Choung sichert dem Wassermann mit schlankem Bass trotz seines Penner-Kostüms und dem ständigen Griff zur Flasche durchaus Autorität. Trefflich porträtiert Melanie Lang mit dunklem Mezzo die abgetakelte Hexe. Äußerst attraktiv gibt Ann-Beth Solvang die Fremde Fürstin – verführerisch, aber eiskalt und berechnend.
Paul Brady und Nian Wang sorgen als Heger und Küchenjunge für heiterte Akzente. Die Elfen werden von Martha Eason, Martyna Cymerman und Erica Back lebenslustig verkörpert.
Das Oldenburgische Staatsorchester vollbringt unter Vito Cristofaro ein kleines Wunder. So farbenreich, so ausdrucksvoll und so klangschön wie hier musiziert wird, erlebt man es nicht alle Tage. Der von Thomas Bönisch und Piotr Fidelus einstudierte Chor rundet den guten Eindruck von der musikalischen Präsentation eindrucksvoll ab.
Wolfgang Denker, 16.02.2020
Fotos von Stephan Walzl