Frankfurt: „Così fan tutte“, Wolfgang Amadeus Mozart (zweite Besprechung)

Es sind große Fußstapfen, in die Mariame Clément mit der Neuproduktion dieses letzten Gemeinschaftswerks von Mozart und seinem Librettisten Da Ponte tritt. An der Oper Frankfurt war vor 17 Jahren Christof Loys maßstabsetzende Inszenierung der Così herausgekommen, war mit dem Theaterpreis „Faust“ ausgezeichnet worden und erlebte in gekürzter Corona-Fassung 2020 eine vielbeachtete Wiederbelebung bei den Salzburger Festspielen. Loy war es gelungen, in einem schmucklosen, gänzlich weißen Bühnenbild mit präziser, kongenial auf die Musik bezogener Personenregie eine dichte, spannende, psychologisch tiefschürfende und dabei die doppelbödige Heiterkeit perfekt auslotende Musterproduktion zu schaffen. Frankfurts neuer Generalmusikdirektor Thomas Guggeis hatte dazu bei der Präsentation des neuen Spielplans die despektierliche Bemerkung fallen lassen, die inzwischen abgesetzte Produktion sei „staatstragend“ und „sehr lang“ gewesen und hatte angekündigt, man wolle „kürzer“ und „humorvoller“ werden.

Teona Todua (Fiordiligi) und Ensemble / © Barbara Aumüller

Das weckte Befürchtungen, die sich nun als weitgehend unbegründet erwiesen haben. Tatsächlich ist die Bruttospieldauer bei der aktuellen Premiere um gerade einmal 15 Minuten kürzer ausgefallen, was vor allem daran liegt, dass man sich mit den Rezitativen weniger Zeit zur Ausdifferenzierung nimmt, auf Momente des Zögerns, des Innehaltens auch der Stille, die Loy effektvoll eingesetzt hatte, weitgehend verzichtet. Die Rezitative schnurren ab, wie man es landauf, landab eben so macht. Thomas Guggeis begleitet sie durchaus phantasievoll auf dem Hammerklavier. Ansonsten legt der junge Dirigent ein forsches Tempo vor. Daß sich trotzdem selten der Eindruck von Gehetztheit einstellt, liegt an einer hörbar sorgfältigen Ausarbeitung von Phrasierung, Dynamikabstufungen, Klangfarben und Balance zwischen den Orchestergruppen. Die Musiker im halbhochgefahrenen Graben sind in Bestform und folgen ihrem Chef auf den Punkt. Einzelheiten mögen Geschmacksache sein, etwa die mitunter geradezu in den Klang krachende Pauke, doch insgesamt ist eine durchdachte, in sich geschlossene und vorzüglich ausgeführte Umsetzung der Partitur zu erleben.

Kelsey Lauritano (Dorabella) und Ensemble / © Barbara Aumüller

Auf der Bühne hat dazu Etienne Pluss zwei hohe Festsäle errichten lassen, die symmetrisch aufgebaut sind. Dazwischen befindet sich ein schmaler und schmuckloser Serviceraum mit Lastenaufzug, der gleichsam als Spiegelachse der beiden Säle fungiert. Diese sind jeweils mit Stuhlreihen und einem altarartigen Podest für eine Hochzeitsgesellschaft ausgestattet. Schon zur Ouvertüre sieht man im rechten Saal die Hochzeit des Guglielmo mit Fiordiligi. Gerade beugt sich die Braut in Hochzeitskleid und Schleier zur Unterschrift über die Ehepapiere, als die Szene einfriert und der als Standesbeamter eingesetzte Don Alfonso sein zynisches Menschenexperiment um Treue und Verrat in Gang bringt. Solche Momente des Einfrierens ziehen sich wie ein roter Faden durch die Inszenierung. Die Regisseurin fängt so die dem Libretto eigene Unglaubwürdigkeit ein, daß es lediglich einer Verkleidung und falscher Bärte bedürfe, um vertraute Verlobte füreinander unkenntlich zu machen. Sie deutet das als Traumsequenzen, nach außen gekehrte, sonst verborgene innere Zweifel und Befürchtungen. Von diesem Setting abgesehen unterscheidet sich die Haltung der Regisseurin allenfalls graduell von ihrem großen Vorgänger. Auch hier gibt es Momente, in denen Clément – unterstützt von der Lichtregie (Joachim Klein) – die im Laufe der Handlung bei den vier Protagonisten entstehenden Enttäuschungen und Verletzungen plastisch herausarbeitet. Das ist angemessen und gelingt durchaus überzeugend. „Humorvoller“ ist die Inszenierung aber nicht geworden. Der Humor ist mitunter lediglich etwas banaler als der von Loy herausgearbeitete. Auch vermißt man gerade in den Ensembleszenen und Finali die seinerzeit präzise auf den Rhythmus der Musik choreographierten Bewegungen. Da im Übrigen die Handlung entlang dem Libretto locker abschnurrt, sämtliche Darsteller sich szenisch ins Zeug legen und mit ansteckender Spiellaune agieren, kann man mit der Inszenierung insgesamt zufrieden sein. Interpretationsgeschichte wird sie nicht schreiben, aber einen optisch attraktiven Rahmen für den Repertoirebetrieb liefern.

Kelsey Lauritano (Dorabella) und Teona Todua (Fiordiligi) / © Barbara Aumüller

Das junge Ensemble auf der Bühne ist perfekt gecastet und läßt musikalisch wenige Wünsche offen. Jonas Müller debütiert als Guglielmo und führt sich zugleich als neues Opernstudiomitglied ein. Er zeigt dabei einen schlanken, attraktiv timbrierten und äußerst beweglichen Bariton, starke Bühnenpräsenz und ein treffsicheres Gestaltungsvermögen. Als seine Braut Fiordiligi debütiert als Gast Teona Todua, Preisträgerin des Wettbewerbs „neue Stimmen“ im Jahr 2024 (mit dem Frankfurter Intendanten Bernd Loebe in der Jury) und begeistert mit einem jugendlich frischen, blühenden, höhen- wie koloratursicheren Sopran. An Frankfurter Stammkräften überzeugen als zweites Paar Kelsey Lauritano als Dorabella, deren Mezzo sich farblich vom Sopran der Todua gut abhebt, in der Mittellage einen zartbitteren Ton besitzt und in der Höhe ein attraktives Glühen, und Magnus Dietrichs frischer, bereits ein wenig ins Heldische ausgreifender jugendlicher Tenor, mit dem er den Ferrando als forschen Draufgänger charakterisiert. Das paßt zu „Una bella serenata“ besser als zu „Un‘aura amorosa“, wo er den Übergang zur Reprise ein wenig verhuscht und dann den Ton unterschwelliger Melancholie verfehlt. Daniel Behle hatte hier in der Vorgängerproduktion Maßstäbe gesetzt, an die Dietrich (noch?) nicht heranreicht. Eine Idealbesetzung für die Despina ist Bianca Tognocchi. Sie gibt die durchtriebene Strippenzieherin mit quirligem Spiel und quecksilbrig-hellem Sopran. Liviu Holenders gedeckter Bariton kommt in der Partie des Don Alfonso dagegen nicht optimal zur Geltung. Optisch wirkt er trotz künstlich graumelierter Haarpracht ein wenig zu jung. Darstellerisch hingegen fügt er sich ohne Abstriche zur übrigen Besetzung. Der Chor überzeugt in seinen wenigen Einsätzen mit frischem und homogenem Klang.

Teona Todua (Fiordiligi), Liviu Holender (Don Alfonso) und Kelsey Lauritano (Dorabella)
© Barbara Aumüller

Mit dieser kurzweiligen und die äußere Handlung im gewählten Rahmen nachvollziehbar abspulenden Neuproduktion kann man szenisch gut leben. Zusammen mit den überzeugenden musikalischen Leistungen war es ein runder, aber nicht überwältigender Premierenabend.

Michael Demel, 24. September 2025


Così fan tutte
Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart

Oper Frankfurt

Premiere am 21. September 2025

Inszenierung: Mariame Clément
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Frankfurter Opern- und Museumsorchester