Frankfurt: Nachbetrachtung zum „Tannhäuser“, dritte Kritik

Tannhäuser als regietheatralischer Homosexueller…

Die Oper Frankfurt, in jüngerer Vergangenheit unter der Intendanz Bernd Loebe immer wieder zum Opernhaus des Jahres in Deutschland gewählt, hat mit dem Barenboim-Schüler Thomas Guggeis offenbar ein ganz großes und für diesen Posten noch sehr junges Talent als Generalmusikdirektor gefunden. Was Guggeis an diesem Abend mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu Richard Wagners romantischer Oper „Tannhäuser“musikalisch zu sagen hatte, war schlicht eine erstklassige musikalische Interpretation von Wagners Problemwerk. Großartige transparente Linien und Steigerungen, aber auch sublime Momente, wie bei Elisabeth im 3. Akt, kennzeichneten ein den Intentionen Wagners wohl sehr nahekommendes Dirigat, für das es am Ende verdient auch den meisten Applaus gab. Eine wesentliche musikalische Säule wurde hierbei der von Tilman Michael einstudierte Chor und Extrachor der Oper Frankfurt, der ebenfalls mit großer Transparenz und kraftvollen Stimmen in allen Lagen auf Festspielniveau sang. Michael wird nach Abschluss dieser Saison von Frankfurt and die Met in New York gehen. So weit, so sehr gut!

© Barbara Aumüller

Aber die Inszenierung! Der südafrikanische Regisseur Matthew Wild, von 2015 bis 2021 Künstlerischer Leiter der Cape Town Opera, verortet Tannhäuser in seiner ganz speziellen Lesart des Stücks als Homosexuellen und deshalb von der konservativen Wartburgwelt, die allerdings gar nicht vorkommt, ausgegrenzt. Wir sehen also wieder einmal eine knallharte Regietheater-Produktion, wie an der Oper Frankfurt meist üblich und nicht nur von der Presse auch meist sehr geschätzt. Tannhäuser alias Heinrich von Ofterdingen ist bei Wild kein Sänger, sondern ein Schriftsteller, der vor den Nazis fliehen musste und wie viele andere Intellektuelle in Kalifornien akademisch tätig wurde. Er kam an die katholische Maris Stellar Universität, wo er mit seinem Buch „Monsalvat“ 1956 den Pulitzer-Preis gewann. Auf einmal verschwindet er aber, ohne dass jemand weiß, wo er ist.

© Barbara Aumüller

Noch während der – wieder einmal – vollständig bespielten Ouvertüre werden wir in das Jahr 1961 versetzt. Tannhäuser kehrt im 2. Akt in den Hörsaal der Universität (Bühnenbild Herbert Barz-Murauer) als viel bewunderter Pulitzer-Preisträger aus Kalifornien zurück, bis sich herausstellt, dass er im Venusberg weilte. Der ist bei Wild aber nichts anderes als eine Art Motel mit drei Räumen, in denen zur Ouvertüre der 1875 revidierten Fassung Tannhäuser nervös an einem neuen Buch schreibt, aber von Venus mit zum Teil mythologischen Gespielen und Gespielinnen aus Wagners Regieanweisungen des Vorspiels der Pariser Fassung versorgt wird. Dabei kristallisiert sich seine homoerotische Nähe zu dem berühmten Jungen aus Viscontis Film „Tod in Venedig“, also seine Homosexualität, heraus.

Der Regisseur postuliert, „dass die verführerische Kraft von Wagners Musik in ein Verhältnis zu seiner Biografie und seinen teilweise problematischen Ideologien zu setzen“ sei. Nun war aber Wagner alles andere als homosexuell, wie das Studium seiner Biografie belegt. Ja, eher das absolute Gegenteil ist der Fall, wenn man nur an die abenteuerlichen Vorkommnisse in Bordeaux denkt. Dort wollte ihn der reiche Weinhändler Eugene Laussot erschießen, weil Wagner eine leidenschaftliche Affäre mit seiner jungen Frau Jessie hatte. Dafür stützt sich Wild auf die Homosexualität von Wagners Sohn Siegfried und Verehrern, die teilweise nach ihm gelebt haben, wie König Ludwig II., Oscar Wilde, der nach dem Bekanntwerden seiner Homosexualität und darauffolgendem Gefängnis und Schreibverbot seine Biografie ebenfalls in enge Beziehung zu Tannhäuser setzte.

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Diese Personen bezeichnet der Dramaturg dieser Produktion, Maximilian Enderle, in einem nahezu entfesselt wirkenden Interesse am Gendern als „queere Rezipient*innen“, nachdem er König Ludwig II. von Bayern im Gespräch mit dem Regisseur als wohl „einen der ersten queeren Hörer*innen“bezeichnet hatte. Das muss man sich einmal vorstellen!! Könnte Ludwig II. entgegen allen auch nachweislich dokumentierten Erkenntnissen auch eine Frau oder eines noch anderen, nicht näher definierbaren Geschlechts gewesen sein…??

Was den fiktiven Schriftsteller Heinrich von Ofterdingen alias Tannhäuser angeht, so sieht Wild Parallelen zu homosexuellen Autoren wie Thomas und Klaus Mann sowie Christopher Isherwood. Gründe: Für Thomas Mann „war die Musik Wagners eine Art Schlüssel zu seinem eigenen gleichgeschlechtlichen Begehren, das er hinter einer heterosexuellen Fassade verbarg und lediglich in seiner Literatur ausagierte.“ Isherwood wanderte ebenso wie Thomas Mann während des Zweiten Weltkriegs nach Kalifornien aus, „wo er aber viel offener mit seiner Homosexualität umging als sein deutscher Kollege.“ In seinem Roman von 1964, „A Single Man“, der für Wilds Inszenierung eine visuelle und inhaltliche Referenz abgab, griff Isherwood Motive aus dem „Tod in Venedig“ auf. Das begründet aber noch lange nicht die Charakterisierung Tannhäusers als Homosexuellen. Wagner sah sich als eindeutig binärer Mann in der Figur Tannhäuser selbst, in der Ablehnung seiner neuen Musiktheater-Kunst durch eine konservative Gesellschaft.

© Barbara Aumüller

Gleichwohl wird das Konzept von Wild bis zum Ende voll durchgezogen. Tannhäuser entlarvt sich im „Sängerkrieg“ im Hörsaal selbst, in dem er dem Jüngling aus dem „Tod in Venedig“ einen heißen Kuss gibt, woraufhin die vornehmlich Studentinnen in großem Tohuwabohu (Choreographie Louisa Talbot) sein Buch zerreißen, in dem sie ihn zuvor noch um ein Autogramm gebeten hatten. So zerbricht er unter dem Druck der Reaktion des Hörsaals schließlich an seiner Homosexualität, wegen der sich auch Elisabeth trotz aller Sympathie und Einsatz für ihn von ihm abwendet, ja abwenden muss. Er wählt im 3. Akt den Freitod. Sie überlebt bei Wild, wieder anders als bei Wagner, und schreibt später ein Buch über das Leben des Schriftstellers Heinrich von Ofterdingen…

De US-Amerikaner Corby Welch verkörperte als Einspringer für Marcus Jentzsch das ungewöhnliche Rollenprofil des Tannhäuser mit schauspielerischer Intensität und kraftvoller Stimme. Er konnte den erschütternden Niedergang des einstmals sehr verehrten Schriftstellers zu einem Nichts beklemmend nachvollziehbar darstellen. Christina Nilsson war eine stimmlich strahlende Elisabeth mit recht hellem Sopran und ein Hort der Menschlichkeit in diesem Drama. Eine einnehmende Dshamilja Kaiser spielte eine schon gleich zu Beginn das tödliche Ende andeutende nahezu furchterregende Venus mit Totenkopf-Maske und einem ebenso kraftvollen wie farbenreichen Mezzo. Erotik Fehlanzeige! Domen Krizaj war einen balsamisch klingender Wolfram und Andreas Bauer Kanabas ein respektgebietender Landgraf Hermann mit gut geführtem Bass. Allein, es war nicht einsehbar, warum beide in einem privaten priesterlichen Ornat mit Kollar auftraten, während alle anderen profane Alltagskleider unserer Tage von Raphaela Rose trugen.

© Barbara Aumüller

Magnus Dietrich als Walther von der Vogelweide, Erik van Heyningen als Biterolf, Michael Porter als Heinrich der Schreiber und Magnús Baldvinsson als Reinmar von Zweter waren in ihren Rollen bestens besetzt. Karolina Bengtsson erschien als stimmlich sehr guter junger Hirt vor einer tristen und die Spielfläche auf zwei bis drei Meter verengenden hellgrauen Wand, der Hinterseite des nun weggedrehten Hörsaals. In einem übrigens kaum Unterschiede machenden Licht von Jan Hartmann war sie kein Hirt, sondern eine Reinigungskraft mit dem obligaten Plastik-Putz-Set, schon lange ein postmodernes Stereotyp. Das konnte man in dieser Inszenierung freilich erwarten. Alles, nur keine Romantik in Wagners Romantischer Oper „Tannhäuser“!

Klaus Billand, 2. Juli 2024


Tannhäuser
Richard Wagner

Oper Frankfurt

Besuchte Vorstellung: 20. Mai 2024
Premiere am 28. April 2024

Inszenierung: Matthew Wild
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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