Köln: „Idomeneo“, Wolfgang Amadeus Mozart

Mozarts Idomeneo gehört vielleicht zu den unterschätztesten Opern des Komponisten und tritt allzu oft hinter die gängigen Werke des Kanons zurück. Dass dies ein Irrtum ist und das Werk eigentlich eine Schlüsselposition im Schaffen Mozarts einnimmt, wird jedem, der die unglaubliche Musik des 25jährigen Komponisten hört, schnell bewusst. Freilich atmet das Werk noch den Geist der Barockoper mit all ihrem heldischen Pomp, gleichwohl bricht sich Mozarts musikalisches Genie und die Gabe, Figuren so menschlich zu zeichnen, immer wieder Bahn, und neben großer Bravour-Arie stehen anrührende, emotionale Duette und Ensembles, denen vermutlich nur die etwas sperrige Handlung des Werkes im Weg gestanden hat, genau so populär zu werden wie die Gassenhauer seiner später entstandenen Opern.

© Sandra Then

In Köln hat sich der international renommierte Regisseur Floris Visser mit dem sicherlich nicht leicht zu inszenierenden Werk befasst und beweist bereits schon vor der Ouvertüre, dass er dem Werk und seiner musikalischen Substanz keine Sekunde vertraut. Noch bevor der erste Ton der Ouvertüre ertönt, öffnet sich der Vorhang und es beginnt ein stummes Spiel. Dabei ist der Ansatz nicht uninteressant: Der alte Idomeneo sitzt in der Gummizelle einer psychiatrischen Anstalt und malt immer wieder den Gott Neptun als Strichmännchen an die Wand. Nach einem Ausraster und einer Beruhigungsspritzt fällt er ins Delirium, die Zelle verwandelt sich zu einer weiten Bühne (Frank Philipp Schlössmann) und der alte Idomeneo erlebt den Weg in seinen desaströsen Zustand noch einmal mit all seinen Kriegserfahrungen, emotionalen Wirren und der Aufforderung Neptuns, den eigenen Sohn zu opfern. Es ist bei dieser Oper sicherlich nicht verwerflich, Handlungsstränge zu ergänzen, zu erweitern oder auch zu erfinden – wenn es einen Sinn ergibt. Denn, das muss man dem Werk als Schwachstelle ankreiden: Für so wenig Handlung ist dann doch sehr viel Musik da. Was Visser hier macht, misslingt aber leider komplett. Es bleibt nicht bei dem einen Auftritt des alten Kreter-Königs, nein, er ist permanent auf der Szene und wandelt mit schlossgespensthafter Gestik über die Szene, flankiert von einer weiteren erfundenen Figur, die im Programmheft „Das Trauma“ genannt wird und nicht minder penetrant mit einer Axt auf der Bühne erscheint. Überhaupt ist eigentlich ständig eine absolut entbehrliche Heerschar an Statisten auf der Bühne, die konsequent von Musik und Sängern ablenkt. Auffällig ist, dass Visser eigentlich keinen Sänger mal eine Arie allein singen lässt. Er traut hier weder der Musik und leider auch nicht den Protagonisten und schafft es, derart unvirtuos Statisten immer wieder auftreten zu lassen, dass der Zuschauer ständig abgelenkt ist und meistenteils zu der Erkenntnis kommt, dass diese ganzen Auftritte überhaupt keinen für ihn erkennbaren Mehrwert haben oder gar verständlich sind. Das wird letztlich wirklich lästig, denn Visser reitet seine Idee wahrlich zu Tode und lässt den Zuschauer an vielen Stellen allein.

© Sandra Then

So ist überhaupt nicht klar, in welchem Setting er die Oper sieht: Mal gibt es Anleihen an den Zypern-Konflikt, ein bisschen Guantanamo, ein bisschen Flüchtlingskrise, ein bisschen Kriegsdrama, Irrenanstalt, Staatsbegräbnis, Kriegerfriedhof und am Ende auch noch Zombies. Ja, wirklich: Zombies. Und als diese aus den Gräbern gefallener Soldaten erstehen, sorgen sie teils für Verstörung, teils für Erheiterung, so sehr, dass wieder alles von den Sängern abgelenkt ist. Am Ende ist diese Inszenierung leider Gottes ein „riesiges Durcheinander mit schöner Musik“, so der zufällig aufgeschnappte Ausspruch einer Dame in der Pause, der das massive dramaturgische und inszenatorische Problem des Abends auf den Punkt brachte.

Die musikalische Seite des Abends ist in jedem Fall ein absoluter Höhepunkt, wobei die gleich vier Rollendebüts in den Hauptrollen allesamt bravourös gelingen. Tenor Sebastian Kohlhepp ist ein nahezu perfekter Idomeneo, der bei aller tenoralen Strahlkraft es nie an der nötigen Sanftheit fehlen lässt, der die Höhen so mühelos meistert, wie er die endlosen Koloraturen in „Fuor del mar“ perlen lässt. Als Idamante überzeugt Shooting-Star Anna-Lucia Richter, die erst vor wenigen Jahren ins Mezzo-Fach gewechselt ist und hier zeigt, dass diese Entscheidung genau richtig war. Engagiert im Spiel, dramatisch im Ausdruck zeigt sie alle emotionalen Facetten ihrer Figur. Aus dem Kölner Ensemble stammt Kathrin Zukowski, die als Ilia mit feinem, perfekt nuanciertem Sopran die Gefühls-Achterbahnfahrt ihrer Partie vortrefflich auslotet. Gerade in den Piani ist diese Stimme von einer so betörend schlichten Klarheit, dass man wirklich aufhorcht. Anna Maria Labin als giftige Elettra lässt die Funken nur so fliegen und vermag szenische wie stimmlich absolut zu überzeugen. Sie findet in der stetig größer werdenden Verzweiflung immer mehr zu der Schärfe, die diese Figur braucht. Anicio Zorzi Giustiani fügt sich in der Partie des Arbace mit seinem leichten, aber markanten Tenor in ein insgesamt ausgesprochen homogenes Ensemble ein, das durch die Leistungen der weiteren kleinen Partien abgerundet wird.

Der Chor der Kölner Oper ist in seinem Part mit Spielfreude bei der Sache und zaubert einen idealen Mozart-Klang, der den Zuhörer über kleine Wackler in der Koordination mit dem Graben hinwegsehen lässt.

© Sandra Then

Am Pult des Gürzenich-Orchesters entfacht Ruben Dubrovsky ein wahres Mozart-Feuerwerk. Wie zuletzt als Fachmann für Barock in Köln bei Händels Giulio Cesare am Pult vermag er hier genau auszuloten, wo barocke Strenge gefragt ist, die er mit Klarheit und Exaktheit musizieren lässt und wo er den Schalter in Richtung „Mozart-Sound“ umlegen muss. Dieses sehr genaue Ausloten von verschiedenen Klangqualitäten ist bemerkenswert. Dabei folgt ihm das Gürzenich-Orchester aufs Genaueste und präsentiert einen klugen, fein abgestimmten Mozart, der in Tempi und Dynamik auf den Punkt ist.

Das Publikum am Premierenabend zeigt sich am Ende der Vorstellung zwiegespalten. Sänger und Sängerinnen, Chor, Orchester und Dirigent werden mit Jubel überschüttet, beim Auftritt des Inszenierungsteams ebbt der Applaus nahezu komplett ab, einigen wenigen Buhs wird ein einzelnes Bravo entgegengebrüllt, wobei dies vermutlich noch den Protagonisten gegolten hat, denn eigentlich vermag diese Inszenierung in keinster Weise zu überzeugen, was schade ist, denn die musikalische Seite tut es um so mehr.

Wer die Produktion besuchen möchte, möge beachten, dass es für einige Partien auch Alternativbesetzungen gibt, die auf der Homepage der Oper nachzulesen sind.

Sebastian Jacobs, 18. Februar 2024


Idomeneo
Wolfgang Amadeus Mozart

Oper Köln

Premiere: 18. Februar 2024

Inszenierung: Floris Visser
Musikalische Leitung: Ruben Dubrovsky
Gürzenich Orchester Köln