Ein Hingucker ist sie auf jeden Fall, diese Neuproduktion von Richard Strauss‘ Komödie für Musik DER ROSENKAVALIER am Opernhaus Zürich: Zur Saisoneröffnung im Bereich Oper und mit Antritt der neuen Intendanz unter Matthias Schulz‘ Leitung war das Haus berstend voll, auch das Fernsehen war hier und übertrug diese Premiere zeitversetzt auf SRF 1 und ARTE. Später wird man sich in den Mediatheken der betreffenden Sender diese opulente Produktion immer wieder anschauen können und das Auge am prächtigen Spiel der Farben und der Kostüme laben dürfen!

Denn was hier in der Gesamtkonzeption des österreichisch-irischen Künstlers Gottfried Helnwein zu sehen – und zu genießen – war, vermochte als ästhetisches Erlebnis zu beeindrucken. Die drei Akte wurden in den Primärfarben Blau – Gelb – Rot gehalten. Im ersten Akt, dem Schlafgemach der Marschallin, waren die Wände blau, die Bettwäsche, die Bettvorhänge, die Körperwäsche der Feldmarschallin und Octavians, alles in Blautönen. Blau steht für Ruhe, Vertrautheit, Sicherheit. Einzig der Ochs tritt in knalligem Gelb auf, stört diese Ruhe und Intimität des Blauen. Im zweiten Akt, diesem grosszügigen Entrée mit der beeindruckenden, geschwungenen, barocken Doppeltreppe ist dann alles in Gelb (Optimismus, Energie, Glück, aber auch Gefahr) und gelblichen Brauntönen gehalten, doch auch hier tanzt der Ochs erneut aus der Reihe: Er tritt in Rot auf. Im letzten Akt sind Bühne, Kostüme und Licht ganz in Rot- und zarten Rosatönen gehalten (Leidenschaft, Wut, Aggression): An den roten Wänden in dieser Kunsthalle hängen riesige Fotoporträts mit traurig und verletzt blickenden Mädchen, welche sich dann in horrorartige Totenschädel verwandeln. Einzig die Marschallin hat ihren aufsehenerregenden Auftritt in diesem roten Inferno in einem ausladenden Rokoko-Reifrock in zartestem Hellblau, verströmt Ruhe und trauerumflorte, altersweise Gelassenheit mit einem zarten Hauch von Wehmut. Wie bereits in den Monologen im ersten Akt gestaltete Diana Damrau diese Gefühlsregungen mit bewegender Ausdruckskraft und feiner Nuancierung in der Linienführung, der Dynamik und der Diktion. Die Regisseurin Lydia Steier (sie war in Los Angeles vor 20 Jahren auf Helnweins für die Los Angeles Opera erarbeitete Installation des ROSENKAVALIER aufmerksam geworden) erfüllte diese fantastischen Räume nun mit ausgezeichneter Personenführung, fürchtete auch die Darstellung expliziten Liebesspiels (Marschallin-Octavian, Octavian-Sophie und die perversen Bedürfnisse des Ochs sowie seiner gewalttätigen Dienerschaft) nicht. Das war alles mit einem leichten Augenzwinkern inszeniert, locker und unverklemmt (natürlich nicht die Vergewaltigung der Annina durch die pöbelhaften Diener). Es ging viel ab in den ersten beiden Akten, beim Lever der Marschallin mit den vielen skurrilen Figuren und z.B. wo die „Bagagi“ selbst vor dem Himmelbett nicht Halt machte. Der Sänger (hervorragend: Omer Kobiljak) trat wie ein Louis XIV gekleidet, direkt im Bett auf. Im zweiten Akt interpretierte Lydia Steier die Rollen von Octavian und Sophie völlig neu. Es gab beileibe keinen glanzvollen Auftritt des Octavian zur Überreichung der silbernen Rose, die Strauss so punktgenau und effektvoll komponiert hatte. Hier nun schlenderte Octavian gelangweilt und unwillig herein, die Überreichung der Rose war für ihn eine reine Pflichtübung, und er war immer noch verärgert über die Auseinandersetzung mit der Marschallin am Ende des ersten Aktes. So trommelte er also desinteressiert mit den Fingern auf das Treppengeländer, wenn Sophie vom Duft der silbernen Rose zu sprechen (zu singen) begann.

Erst als sie mit ihrem Gesang in himmlischen Höhen ankam, schaute er sie zum ersten Mal richtig an – und nun machte es Klick. Sophie wurde aber auch gleich als sehr selbstbewusst, junge Dame gezeigt, mit eigenem Willen, die beiden fanden sich nun und nur im dritten Akt kam es noch zu einer größeren Auseinandersetzung zwischen den beiden (die Marschallin wusste das in ihrer Altersweisheit zu schlichten) und Sophie und Octavian genossen ihre Liebe in sexueller Erfüllung in einem Himmelbett, das eine exakte Replika des Himmelbettes der Marschallin war, nun allerdings mit roter Bettwäsche und roten Vorhängen. Man hatte in diesem dritten Akt, dieser museumsartigen Fotogalerie mit den bedrückenden Bildern an den Wänden nichts zu lachen. Hier, wo eine beinahe schwank artige Verwechslungs- und Verkleidungskomödie stattfinden sollte, war alles szenisch mit bedrückenden Metaphern aufgeladen. Sophie war von Beginn weg über alle geplanten Vorgänge informiert. Auf einem fahrbaren Metallgestell sahen wir knapp und aufreizend bekleidetet Prostituierte. Der Lustmolch Baron Ochs entpuppte sich als Masochist, ließ sich von Mariandl (dem verkleidete Octavian) auf dem Unterleib herumtreten und schließlich ans Metallgerüst Ketten und gnadenlos auspeitschen. Vorher hatte er noch seine Hose ausgezogen (nicht wie in konventionellen Inszenierungen die Perücke abgenommen, so musste dann auch Faninals Text abgeändert werden in „vielleicht weil er keine Hos‘ (anstatt Haar) nicht hat“. Für mich persönlich kippte die Inszenierung da leider etwas ins allzu Ernste, bekam eine Verbissenheit, die der Komödie nicht gerecht wurde. Wir sollten in einem ROSENKAVALIER zwar melancholisch und nachdenklich gestimmt werden dürfen, doch hier wurde meines Erachtens der Bogen leicht überzogen. Dies minderte aber nicht Lydia Steiers Leistungen in der Personenführung und der Choreografie der Massen in den anderen Akten. Die Besetzungsliste ist ja bei diesem Werk sehr lang: Die schöne Gestaltung von Diana Damrau als Marschallin habe ich bereits erwähnt. In der Titelrolle vermittelte die Mezzosopranistin Angela Brower ganz hervorragend die Gefühle des draufgängerischen – und schnell beleidigten – Jungspunds Octavian. Emily Pogorelc war ein darstellerisch bemerkenswerte Sophie, ganz stimmstark in der Mittellage, in der Höhe schlichen sich einige etwas unschöne Schärfen und Verhärtungen ein, vielleicht Premierennervosität, die sich bestimmt legen wird im Verlauf der weiteren Aufführungen. Günther Groissböck gab einen darstellerisch und stimmlich souveränen Ochs, der mit allen Wassern gewaschen war, hier ein heimlicher Masochist, der seine Neigungen durch forsches Auftreten zu verheimlichen versuchte. Bo Skovhus war stimmlich und in der Darstellung der Servilität des reichen Emporkömmlings ausgezeichnet, doch Strauss und Hofmannsthal haben eigentlich für diese Baritonrolle nicht viel übrig gehabt und sei eher undankbar für den Sänger angelegt. Nathan Haller und Irène Friedli waren das agile Intriganten Paar Valsecchis und Annina, Christiane Kohl die Leitmetzerin, welche stimmstark die Ankunft des Rosenkavaliers im Hause Faninal ankündigte. Die kleineren Partien waren alle ausgezeichnet aus dem Ensemble besetzt: Stanislav Vorobyov als Polizeikommissär in Cop-Uniform und mit Sonnenbrille, Johan Krogius als Haushofmeister bei der Marschallin, Daniel Norman im selben Beruf tätig bei Faninal, Max Bell als Notar, Rebeca Olvera als Modistin und Sandro Howald in der stummen Rolle des Sohnes von Ochs, Leopold, der hier als Autist mit fehlerhafter Körperbildung dargestellt wurde. Sylwia Salamonska-Baczyk, Thalia Cook-Hansen und Cashlin Oostindië hatten einen bemerkenswerten Auftritt als drei adelige Waisen im ersten Akt. Wichtige Aufgaben nahmen auch der Statistenverein am Opernhaus Zürich und der Kinderchor wahr, welche alle mit den Solisten zusammen den Abend doch insgesamt zu einem farbenfrohen Fest machten, mit einigen Wermutstropfen szenischer Art im dritten Akt.
Am Pult des Orchesters der Oper Zürich (wie es nun wieder heisst) stand zum ersten Mal die gefeierte Dirigentin Joana Mallwitz. Sie gab zum Teil so horrende Tempi vor, dass die Präzision des Zusammenspiels nicht immer gegeben war und die in den Konversationsstellen leicht überhastet wirkten. Andererseits liess sie in den lyrischen Passagen viel Raum zur Entfaltung des Strauss’schen Silberklangs, der auch die vielen solistischen Passagen des Orchesterparts herrlich aufschimmern ließ.
Ganz am Ende zog Sophie die Vorhänge des roten Himmelbettes zu, sprang mit freudigem Schrei zu Octavian ins Bett. Doch zur Schlussmusik kam nicht der kleine Mohammed und hob ein Spitzentaschentuch der Marschallin auf, sondern ein tierisches Wesen mit einer zu einem diabolischen Grinsen verzerrten Maske schlüpfte zu den beiden Liebenden ins Bett. Das verheißt nichts Gutes.
Kaspar Sannemann, 25. September 2025
Der Rosenkavalier
Richard Strauss
Oper Zürich
21. September 2025
Inszenierung: Lydia Steier
Musikalische Leitung: Joana Mallwitz
Orchester der Oper Zürich