Premiere am 06.04.2014
Großtat des Pfalztheaters
Liebe und Mord sind die ewigen Themen der Oper. Da geht es allerdings meistens um echte Liebe und um schicksalhafte Morde aus Verstrickung oder Verzweiflung. Nicht so in der Geschichte der Katerina Ismailowa, der Titelheldin in der Lady MacBeth von Mzensk. Hier geht es nicht um Liebe, sondern um sexuelle Befriedigung; die Morde sind nicht schicksalhaft, sondern entspringen der Lust der Titelheldin, das aus dem Wege zu räumen, was ihrem Verlangen im Wege steht, wobei das sexuelle Verlangen mit dem Wunsch gekoppelt ist, der Langeweile sowie der inneren und äußeren Unfreiheit eines vom Haustyrannen dominierten Großbürgerhaushalts zu entkommen. So etwas hatte man bislang noch nicht auf der Bühne gesehen; und die drastische Art, wie die Musik das Geschehen akustisch verstärkt, war zur Entstehungszeit der Oper 1932 auch noch nicht geschrieben worden. Stalin, „not amused“ über Stoff und Musik ließ 1936 in die Prawda unter dem Titel „Chaos statt Musik“ eine Verdammung der Oper einsetzen, die dann in der Sowjet-Union für 30 Jahre von den Spielplänen verschwand. Übersetzte Auszüge aus der Prawda („Wahrheit“): „Ungeordneter chaotischer Schwall von Tönen, Krachen, Knirschen und Gewinsel; Geschrei statt Gesang, musikalisches Chaos, Kakophonie, ungezügelter Rhythmus, musikalischer Lärm, Negierung der Oper, linke Entartung (!), negativste Eigenschaften; Musik schnattert, klopft, stöhnt, keucht; Liebe in vulgärster Form beschrieben; für formalistische Ästheten…“
Schostakowitschs weichgespülte überarbeitete Fassung in der Chruschtschow-Ära von 1963 machte zwar wieder auf das Werk aufmerksam, setzte sich aber nicht durch. Heute ist die Oper in der Originalfassung von den Spielplänen nicht mehr wegzudenken. Sie gehört zu den eindrücklichsten Schöpfungen des Musiktheaters im 20. Jahrhundert, ist aber trotz der buffonesken Aufmischung mit Popen und einem lächerlichem Zug Polizisten im Stile einer semi-seria nichts fürs Mädchenpensionat.
Yamina Maamar (Katerina), Wieland Satter (Boris)
Katerina Ismailowa, die Titelfigur, langweilt sich im goldenen Käfig einer großbürgerlichen Besitz-Familie. Ihr Ehemann Sinowi muss auf Geschäftsreise; sie sieht sich Belästigung seitens ihres Schwiegervater Boris und des neu eingestellten Sergej ausgesetzt und bevorzugt den Letzteren. Boris wird, als er die beiden in flagranti erwischt und Sergej auspeitschen lässt, von seiner Schwiegertochter mit Rattengift getötet. Als Sinowi in die ehebrecherische Situation hinein zurückkehrt, wird er von dem Paar ermordet. Als die versteckte Leiche des Juniors gefunden wird, platzt die Hochzeit zwischen Katerina und Sergej, die in den Gulag verbannt werden. Sergej, der von Katerina nun kaum noch etwas „erben“ kann, wendet sich dort der Lagerhure zu. Katerina wird vom Volk gedemütigt. — Es gibt keine positiven Helden, keine Sympathieträger in diesem Stück. Noch am ehesten die Titelfigur, weil sie für die zwei Morde Reue zumindest andeutet; deswegen erscheint ihr gar der Geist des Schwiegervaters. Die Schlechtigkeit der anderen erreicht ihren Höhepunkt im vierten Akt, dessen trostloses Geschehen und Ende die Zuschauer mit nach Hause nehmen: Katerina bringt ihre „Rivalin“, die Lagerhure Sonjetka, um und wird von Wachleuten erschossen (im Original nimmt sie sich das Leben.)
Mitte: Wieland Satter (Boris), Boden: Alexey Kosarev (Sergej); Chor und Extrachor
Das Libretto zu der Geschichte, basierend auf einer Erzählung von Nikolaj Semjonowitsch Leskow (1865), wurde vom Komponisten und Alexander G. Preiss verfasst. Die Personal- und Motivkonstellation des Stücks passt natürlich in jede Zeit und fast jede Gesellschaft. Aber die Entourage ist wohl kaum von ihrem russischen Lokalkolorit zu trennen, das allerdings, wie Urs Häberli, Intendant des Pfalztheaters und Regisseur der Produktion zeigt, ebenso in die Zeit der Parteidiktatur passt wie in die Ära der Zarenherrschaft. Häberli siedelt das Geschehen in der kalten Betonarchitektur einer nicht genau bestimmten Nachkriegszeit mit Bezugnahme zur Stalinzeit an; einige Versatzstücke weisen auch auf die unmittelbare Gegenwart hin. Dem Haustyrannen Boris verleiht er Stalin-ähnliche Züge. Thomas Dörfler hat ein gut durchdachtes großteiliges Bühnenbild entworfen: trostlose nackte Betonwände mit Fenstern und Türen begrenzen den großen Bühnenraum; davor jeweils in fünf Stufen zu den Türen ansteigende Betonränge; alles grau in grau. Inmitten dieser Grobarchitektur wälzt sich Katerina in einem Designer-Ehebett der Jetztzeit und bejammert ihr Schicksal. Die Bühnenmitte wird von einem großen eckigen Leuchter beherrscht. Zur Differenzierung der neun Bilder (vier Akte) des Werks kann ein mittleres Segment des Bühnenbilds in die Seitenbühne gezogen werden, der Leuchter verschwindet nach oben, logisch für die Szenen im Außenbereich. Die Kostüme von Christl Wein-Engel sind, wo nicht ironisch historisierend wie bei den Polizisten, in die Gegenwart verzeitet.
Häberli erzählt die Geschichte nahe am Libretto, lässt die Einzelheiten des Geschehens mit großer Klarheit ablaufen und lässt so wenig Interpretationsspielraum zur schon im Libretto angelegten Deutlichkeit aufkommen. Zur Direktheit trägt auch die Tatsache bei, dass die Aufführung im Pfalztheater auf Deutsch gegeben wird. Einer der zentralen Aspekte der Inszenierung ist die Gegenüberstellung der Protagonisten mit einer gesichtslosen manipulierbaren Masse, der, wenn sie schon einmal selbstbestimmt handelt, nichts Besseres einfällt, als die Köchin zu vergewaltigen. Diese Menge, an sich Opfer des Systems, sucht sich immer wieder eigene Opfer. Gut geführt ist der große Chor, überzeugend sind auch die Bewegungen der Einzelpersonen. Als die „Wahrheit“ über Sinowis Tod herauskommt, verstecken die Choristen ihre Köpfe hinter der „Prawda“ mit originalem Titeldruck. Sonst tritt der Chor meist mit anonymisierenden Masken auf. Handlungstragend wirkt sich auch die Lichtregie von Manfred Wilking aus. Projektionsfotos auf die Betonflächen stellen zusätzliche Assoziationen her.
Alexey Kosarev (Sergej), Yamina Maamar (Katerina)
Beste Zutaten also schon regieseitig für einen fesselnden Opernabend, dem sich auch die Qualität der musikalischen Realisierung anschließt. GMD Uwe Sandner hatte fast sein gesamtes Orchester im Graben versammelt und dabei zweckdienlich vor allem die Schlägertruppe (Verzeihung: die Schlagwerksgruppe) aber auch die Harfen von außen verstärkt. Es war bewundernswert, mit welcher Präzision das Orchester des Pfalztheaters dem Dirigenten bei der Musik folgte, die man als eine natürliche Verlängerung von Mussorgsky sehen kann. So war es bei dieser Oper wieder einmal die orchestrale Umsetzung der explosiven Gewalt dieser sehr direkten Musik, die das stärkste Moment des Abends bildete. Dabei hatte es Sandner noch nicht einmal auf Übertreibung der Passagen abgesehen, bei welcher die Musik zu Sex und Mord rhythmisch mit extremer Schärfung „abgeht“; aber die Dynamik lotete er voll aus und mutete damit den Sängern einiges zu. Die heftige Tonsprache wurde passagenweise grell dissonant musiziert, blieb aber in ihrer Tonalität doch immer auch einem Publikum mit konservativen Hörgewohnheiten vermittelbar. Der mit dem Extrachor mehr als verdoppelte Chor des Staatstheaters (Einstudierung: Ulrich Nolte) vervollständigte mit präziser Stimmgewalt das Klangtableau.
Yamina Maamar (Katerina), Daniel Kim (Sinowi), Alexey Kosarev (Sergej)
Solistisch sind 23 Positionen sind zu besetzen, Dabei griff das Pfalztheater bei den Nebenrollen auch auf Chorsolisten zurück; fünf Solisten waren jeweils zwei Rollen zugeordnet. Zudem mussten zu dem kleinen Ensemble vier Gastsänger verpflichtet werden. Yamina Maamar als Gast war mit der Titelrolle betraut, die sie schauspielerisch und gesanglich glaubhaft darstellen konnte. Ihr auf einer warmen Mittellage basierender Sopran wies zwar zu Beginn noch eine gewisse Schärfe in den Spitzenlagen auf; aber im Verlauf „rundete“ sich das Gesangsbild zusehends. Ihren Abgesang im vierten Akt gestaltete sie mit großer Hingabe und Innigkeit. Wieland Satter zeigte eine große Leistung als Boris Timofejewitsch Ismailow, den er mit durchschlagskräftigem, kernigem Bassbariton mit viel Stimmschwärze ganz überlegen gestaltete. Als er sich als Geist wiedermeldete, hätte es der Verstärkung gar nicht bedurft. Satter gab außerdem im vierten Akt die melancholische Rolle des „alten Gefangenen“ (nicht im Programmheft verzeichnet) und bewies hier mit weich geführter, sehr kultivierter Stimme, über welche Variationsbreite er stimmlich verfügt. In der Oper reicht das „Weichei“ Sinowi Borissowitsch bezüglich Kraft und Bosheit nicht an seinen Vater heran; Daniel Kim tat das in dieser Rolle auch stimmlich nicht; die Höhen gerieten etwas schwankend und dünn. Alexey Kosarev als Gast sang den Sergej. Rein von der Bühnenerscheinung konnte man verstehen, warum Katerina sich von dem so schnell herumkriegen ließ. Auch stimmlich überzeugte er mit seiner Kraft in seiner baritonalen Mittellage, aber nicht besonders fokussiert in der Höhe.
Mitte: Daniel Böhm (Polizeichef), Herren von Chor und Extrachor
Gut gefiel Arlette Meißners eingedunkelter Sopran in den Rollen der Köchin Axinja und der Zwangsarbeiterin im vierten Akt; sie erfreute mit schlanker, klarer Stimmführung. Gastsänger Peter Floch, als Schäbiger ausstaffiert wie ein Buchhalter und als Charaktertenor schon in etlichen vergleichbaren Rollen bewährt, geisterte schon in den ersten beiden Akten über die Bühne und konnte sich stimmlich im dritten Akt überzeugend in Szene setzen. Als Pope gefiel Tobias Pfülb als Gast mit volltönendem, zwanglos strömendem Bass. Melanie Lang mit ansprechender Bühnenerscheinung und ihrem gut fokussierten, klaren Mezzo rundete das insgesamt überzeugende Sängerensemble in der Rolle der Sonjetka ab.
Solch ein Stoff und dessen drastische musikalische Umsetzung kann natürlich nicht aller Leute Geschmack sein. So war leider diese fulminante Premiere am Pfalztheater deutlich nicht ausverkauft. Aber das Publikum, dass schon vor der Pause sehr freundlich mit herzlich-langem Beifall auf die Vorstellung reagierte und nach dem Ende fast eine Viertelstunde lang (ganz besonders dem Orchester und dem GMD) applaudierte, war ganz offensichtlich voll auf seine Kosten gekommen. Mund-zu-Mund-Empfehlungen und Kritiken werden der Produktion sicher noch zur verdienten Anerkennung verhelfen. Gelegenheit zum Besuch besteht in dieser Spielzeit noch sechs Mal bis zum 04.07.14 (siehe: Pfalztheater )
Manfred Langer, 07.04.2014
Fotos: Jörg Heieck