Bayreuth: „Il Generoso Cor“, Suzanne Jerosme

Il Generoso Cor – das edelmütige Herz: das Motto des mit einer Stunde kurz-konzentrierten Konzertnachmittags sagt schon, wie die Stimme klingt. Suzanne Jerosmes hat im wahrsten Sinn des Worts allerlei gesungen, sie kann die Mimi wie die erste Dame wie die Susanna, sie kann barocke Dramatik und Lyrik, sie kann Koloraturen und tief Versenktes so singen, als sänge sie nichts Anderes als eben das, was sie gerade singt. Sie entzückt ihr Publikum in der Schlosskirche – und sie animiert es zu Beifallsstürmen, die zumal das generoso cor zu zwei Zugaben animierSchon der Beginn macht mit einem sanften Sopran bekannt, der einen gleichsam unschuldigen Ton anschlägt, bevor er in den Jubel umschlägt. Händels Kantate La bianca rosa gehört mit seinem Nichts von Inhalt („Lob der Rose“, so könnte das auch heißen) zu den Edelsteinen der Gattung Händel-Kantate; Jerosmes ist sofort drin im bukolisch angehauchten Stil, bevor sie, gleichsam musikalisches Heimatland betretend, mit Händels Kantate Sans y penser nicht nur einen französischen Text, auch eine französische Musik singt. Das klingt ganz im Stil einer galanten höfischen Kultur in den Raum, die doch alles andere als trivial ist. Sie macht aus dem Stück, das eigentlich von einem Mann und einer Frau gesungen werden müsste, ein kleines Liebesdrama in sieben Sätzen. Sie besingt die Liebe und das Leben – und sie versteht, so singend, dass der in Moll getauchte Hymnus auf die irdischen Freuden nichts anderes ist als die Erkenntnis der Endlichkeit allen Daseins: ein barockes, kein rokokohaftes Wissen und Gefühl.

© Clemens Manser Photography

Alessandro Scarlattis Se il generoso cor aus dessen Seducia, Re di Gerusalemme enthält, im schnellen Siciliana-Rhythmus, eine flehende Bitte, die fröhlich bewegt scheint. Der Appell an das edelmütige Vaterherz, dem eine Arie aus einem geistlichen Werk auf dem Fuße folgt, auch der zweite Block eröffnet wird, in dem vornehmliche Arien aus Werken weiblicher Wiener Komponisten erklingen. Der Klangzauber, verursacht vom Trio aus Theorbe, Violoncello und Cembalo (Jörg Halubek hat zwei seiner Partner vom Gusto Barocco nach Bayreuth geschickt), wird überwältigend, wenn Camilla de Rossis Ogn‘ affetto fora impuro aus dem Oratorium Santa Beatrice D‘Este zur sanft wiegenden, Sechsachtel-Pizzicato-Köstlichkeit – das Cembalo mit Lautenzug – wird. Fast nebenbei erfährt man in Maria Margherita Grimanis Si grave `il tormento aus der Decollazione di San Giovanni Battista, dass Jerosmes auch a capella äußerst wohlklingend tönt; sie könnte, denkt man, ein Programm auch als Solistin gestalten. Die Übergänge zwischen dem sog. Geistlichen und dem eindeutig Weltlichen verschwimmen schon schnell, die weich wiegende Siciliana in Scarlattis Sento a l‘alma nova vita aus der Maddalena penitente könnte auch von Händels Silvia angestimmt werden, die sich bei ihrem Geliebten Tirsis für ihre Schwäche und Untreue entschuldigt – als sei sie ein Prototyp der Zerlina. Auch Grimanis Sol fia pago il tuo desio aus der Visitazione di Elisabetta macht nicht den Eindruck, dass der dio, der Gott, von dem sie da schwärmerisch singt, in irgendeinem mystischen Raum zuhause ist. Man denkt da eher an Berninis ekstatisch entzückte Heilige Teresa als an die Theres von Konnersreuth… Und Cielo pietoso aus de Rossis San Alessio macht nicht den Eindruck, dass es das Oratorium mit allzu himmlischen Affekten zu tun hat. Jerosmes singt an diesem Nachmittag ihre ersten Koloraturen, ja: ein Koloraturfeuerwerk als Attacke auf den angesungenen Gegner – wieder einem „Untreuen“. Umgekehrt besitzt Non è mai sereno un ciglio aus dem San Alessio den selben Gestus und Ton wie Händels Kantate über die unschuldige, weiße Rose, dieses Symbol weiblicher „Reinheit“. Und die drei Musiker machen eine alpenländisch inspirierte Kunststubenmusik, die den Standort der Komponistin im kaiserlichen Wien subtil anklingen lässt.

Bleibt am Ende der Triumph über all die Affekte, die sich nicht dafür entscheiden, ob sie es nun mit irdischen oder himmlischen Freuden und Tränen zu tun haben. Jerosmes jubiliert sich im finalen „gloria mecé“ in Scarlattis All‘armi o costanza (aus dem Martirio di Santa Teodosia) in die Schlusskurve eines Konzerts, das wieder mit schönen Raritäten der Musikgeschichte und einer wohltuend ausgeglichenen wie facettenreichen Stimme glänzen konnte. Sie schwebt über allem, die Antwort ist ein Beifall, der die Frage nach irgendwelchen Gattungskategorien am Ende völlig überflüssig macht.

Frank Piontek, 16. September 2025


Il Generoso Cor
Suzanne Jerosmes
Bayreuth Baroque

Schlosskirche Bayreuth
13. September 2025