„O tuneful voice“… Der Beginn könnte kaum besser gewählt sein – denn hat Miriam Kutrowatz nicht eine „melodische Stimme“?
Sie ist die Tochter des Pianisten Eduard Kutrowatz, Halbteil des pianistischen Bruderpaars Kutrowatz, das in Bayreuth auftrat, als sie 14 Jahre jung war. Damals spielte man im Liszt-Jahr im Balkonsaal der Stadthalle, heute steht die singende Tochter – ein Wiener Shooting Star der internationalen Opernszene – im Saal von Haus Wahnfried: dort, wo im vorletzten bzw. im letzten Jahrhundert zwei der Komponisten zu Besuch waren, die heute Abend auf dem Programm stehen. Ob Haydn jemals bei den Wagners zu Gast war, entzieht sich meiner Kenntnis – doch halt: auch der Wiener Klassiker wurde gelegentlich am Klavier „durchgenommen“, wie es in Cosima Wagners Tagebüchern so schön heißt.

Mit Haydn beginnt also der Abend – mit der Tuneful Voice Hob. XXVIa: 42. Vier englische Lieder: Der Beginn ist, zumindest für Wahnfried, ungewöhnlich – aber passend. Denn mit den „klassischen“ Songs werden die Hörer nein: nicht auf Größeres vorbereitet (die Kunstgeschichte ist keine Olympiade), aber eingeschwungen. Denn die Sängerin bezaubert sofort durch einen Stil, der in genau jenem Maß opernhaft ist, wie er den Liedern zuträglich ist, ja vielleicht kann nur eine Opernsängerin diese Lieder singen, um sie zum rechten Leben zu erwecken. Wunderbar quecksilbrig klingt da The Mermaids Song, gelind rokokohaft Pleasing Pain – und endlich bezwingend das seelische Miniaturdrama She never told her love. Wie Miriam Kutrowatz die himmlische Länge des „i“ in „Smiling“ mit einer Stimme auskostet, die jeden der ausgehaltenen Spitzentönen vollkommen trägt, hat schon Klasse. Weniger Klasse hat, man muss es leider sagen, die Wortverständlichkeit. Die tuneful voice verzichtet oft, allzu oft, darauf, das mitzuteilen, was den Dichtern und den Komponisten wichtig war. Bei Miriam Kutrowatz herrscht mehr Sinnlichkeit als Sinn, wenn man denn nicht annimmt, dass der pure Klang schon den Inhalt der Lieder und ihrer Texte verbürgt. Dabei stammen sie von so bedeutenden Leuten wie „Shakespeare“ (also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Edward de Vere, dem 17. Earl of Oxford), Victor Hugo (alle vier Liszt-Lieder wurden auf Texte des großen Dichters komponiert), Clemens Brentano, Felix Dahn (der wird als einziger Autor im Programmhefterl genannt), Klopstock – und Pauline de Ahna, also der Frau, der der junge Strauss 1894 in Bayreuth begegnete, als er hier den Tannhäuser dirigierte und sie die Elisabeth sang, bevor er sie zu seiner Frau machte. Morgen, der Schlager, ein beliebtes Zugabenstück in Strauss’ reichem Lied-Oeuvre, kommt denn auch als zweites Encore. Sie singt es bezaubernd, latent wortunverständlich (wieder versteht man es nur, weil man es einigermaßen kennt) – und sie singt einige unbekannte Strauss-Perlen. Die drei Lieder der Ophelia gehören auch dazu; selten hat Strauss für seine Liedsängerinnen moderner komponiert als in diesen schrägen Gebilden, die, dem Sujet angemessen, die Gesänge der im wahrsten Sinn des Wortes Verrückten auskomponieren. Miriam Kutrowatz spielt die arme, irre Ophelia. Natürlich ist ihre Stimme zu groß für den Raum, der seinerzeit, ab 1874, mit Teppichen und jeder Menge verziertem Mobiliar einen diskreteren Klang ermöglichte als heute. Natürlich ist die Stimme manchmal sehr laut – aber das macht nichts. Mit den sanften Übergängen zwischen Kopf- und Bruststimme, der goldenen Weichheit ihres Vokalorgans und den bisweilen unhörbaren Wortendungen schmeichelt sie sich in unsere Ohren ein. Rein zerbinettahaft klingen da Ich wollt’ ein Sträußen binden und Säusle liebe Myrte. Ernst Krause, der großartige Strauss-Biograph, hatte schon Recht: „Wie hervorragende Liedsänger aus neuer, klarer Stilhaltung auch das Wesen solcher Lyrik in einem Maße enthüllen, dass sie in dieser Wiedergabe ins Künstlerische gehoben wird.“ Ita est! Und so geschehen auch bei jenen Liedern, die nicht auf Clemens Brentano, sondern auf mindere Dichter basieren: beim Rosenband wie beim Ständchen, dem anderen Schlager dieses Strauss-Programms.
Im Französischen heißt. das: Tendresse. Mit dieser Zärtlichkeit erfasst Miriam Kutrowatz auch die Lieder Franz Liszts, die vier Mélodies auf Texte von Hugo, der übrigens auch von Wagner in Musik gesetzt worden ist. Liszts Lieder sind, trotz mehrerer Kompletteinspielungen, immer noch so etwas wie ein Geheimtipp. Schön also, S’il est un charmant gazon und Comment, disaient-ils, auch Enfant, si j’etais rois und Oh, quand je dors zu hören. Der leidenschaftliche Liszt hat sich mit seinem persönlichen Ton nie verleugnet, auch nicht in diesen kleinen, melodischen und gut gemachten Gebilden, die das Beste des Salon repräsentieren. Auch hier tendiert Kutrowatz’ Stimme und Artikulation zu reinen Vokalisen, nun gut. Es passt auf seltsame Weise zum Klavier – nicht zuletzt muss Andreas Fröschl, der Mann am Steinwayflügel, erwähnt werden, denn er erweist sich, relativ diskret und genau, dabei immer präsent und um einen selbst bei der irren Ophelia erfolgreich um einen schönen Klang bemüht, als vollkommener Liedpianist. Begleitung? Nein, denn die Stimmen passen schon sehr gut zusammen.
O tuneful voice – das gilt für die Sängerin und ihren Partner.
Frank Piontek, 31. Juli 2025
Liederabend mit Liedern von Strausss, Liszt und Haydn
Haus Wahnfried, Bayreuth
30. Juli 2025
Miriam Kutrowatz und Andreas Fröschl